Wirtschaftsministerin Reiche will bei Energieförderung streichen

Dass sie es spannend gemacht hat, weiß Katherina Reiche selbst. „Eine gewisse Unruhe“ habe sie festgestellt, sagt die Wirtschaftsministerin am Montagmorgen, als der lange erwartete Monitoringbericht zur Energiewende endlich vorliegt. „Ziemlich beschäftigt“ seien die Medien den Sommer über damit gewesen, zu vermuten, was denn nun drinsteht.
Nicht nur die Medien. Hinter der gesamten Energiebranche liegen vier Monate des Wartens und Rätselns. So lange hat sich die CDU-Politikerin für ihre Bestandsaufnahme Zeit genommen. Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte seine Eröffnungsbilanz bereits nach vier Wochen vorgelegt.
Dass die frühere Managerin des Netzbetreibers Westenergie für einen Kurswechsel plädieren würde, war allerdings schon vorher klar gewesen. Habeck ging es um Klimaschutz, Reiche legt den Fokus auf Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie.
Offen war lediglich die Frage, wie stark die Christdemokratin umsteuern würde. Fordert sie mehr Zeit, oder stellt sie gar das Klimaziel als Ganzes in Frage? Es gab nicht wenige in der Energie- und Klimaszene, die genau das erwartet hatten.

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Doch Reiche hält an dem Ziel fest. 80 Prozent Ökostrom bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045 – daran wollen sie nicht rütteln, betont die Ministerin. Allerdings korrigiert sie die Bedarfsprognose nach unten. War die Ampelregierung noch von einem Strombedarf von etwa 750 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2030 ausgegangen, rechnet Reiche nur noch mit 600 bis 700 Milliarden Kilowattstunden – und will die Ausbaupläne entsprechend anpassen.
Die Energiewende stehe „an einem Scheidepunkt“, sagt sie. Ein Erfolgsmodell werde sie nur bleiben, wenn fortan Verlässlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kostentragfähigkeit des Energiesystems für den Wirtschaftsstandort ins Zentrum rückten.
Im Prinzip ist das auch die Kernaussage jener Bestandsaufnahme, die das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) sowie die auf Energiethemen spezialisierte Beratungsagentur BET Consulting auf Grundlage vorhandener Studien und Berichte erstellt haben. „Für das Gelingen der Energiewende sollten neben technischer und wirtschaftlicher Machbarkeit auch Fragen der Finanzierung, Regulierung und Risikominimierung in den Blick genommen werden“, heißt es in dem Gutachten.
Deutschland sei zwar hinsichtlich der Ausbauziele „on Track“ sagt BET-Geschäftführer Alexander Kox. Da man aber die Kosten aus dem Auge verloren habe, sei eine Neufokussierung nötig, um bis 2045 klimaneutral zu wirtschaften. „Das wird verdammt komplex sein, verdammt herausfordernd, und es wird viel Geld kosten“, sagt Kox. Man müsse dieses Geld intelligenter als bisher ausgeben.
Ministerin Reiche legt am Montag eine ganze Reihe von „Schlüsselmaßnahmen“ vor, um die Kosten der Energiewende in den Griff zu bekommen.
So will sie etwa den Bau neuer Offshore-Anlagen und Übertragungsnetze an die reduzierte Bedarfsprognose anpassen. Auch soll die fixe Einspeisevergütung für Neuanlagen gestrichen werden. Stattdessen will Reiche Rückzahlmechanismen etablieren, die immer dann greifen, wenn Ökostromproduzenten wegen einer günstigen Marktlage besonders viel Geld verdienen.
Die Förderung privater Solaranlagen auf Hausdächern soll nach dem Willen der Christdemokratin komplett wegfallen. Dachanlagen rechneten sich auch ohne Zuschuss, betont sie,
Außerdem will Reiche den Zubau neuer Wind- und Solaranlagen stärker steuern. An die Stelle des möglichst schnellen Zubaus möglichst großer Erzeugungskapazität soll ein „netzfreundlicher Zubau“ treten.
In der Union und weiten Teilen der Wirtschaft stoßen die Ankündigungen auf Wohlwollen. Das Monitoring sei Grundlage einer realistischen und bezahlbaren Energiepolitik, sagt CDU-Politiker Tilman Kuban dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nicht nur die Netze, sondern auch die Haushalte dürften nicht überlastet werden.
Die Schlussfolgerungen der Ministerin seien richtig, findet auch der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup. „Bezahlbarkeit muss endlich wieder eine zentrale Rolle spielen.“
Massive Kritik kommt hingegen aus dem Lager der Klima- und Umweltschützer. Christoph Bautz, Geschäftsführer der Kampagnen-Organisation Campact, wirft Reiche einen „Angriff auf die Erneuerbaren“ vor. Sie lese das Monitoring, so wie es der fossilen Lobby – ihrem alten Arbeitgeber – gefalle.
Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung Klima-Wirtschaft, nennt die Absenkung der Strombedarf-Prognose alarmierend: „Dieser Trend bedeutet nichts anderes als eine sich weiter vertiefende Deindustrialisierung – vor allem in den zukunftsfähigen Märkten, die auf Strom basieren“, sagt sie. Nun gelte es, mehr in einen effizienten Ausbau, Smart-Meter und in die Elektrifizierung von Gebäuden und Verkehr zu investieren.
Ähnliche Forderungen kommen von der Denkfabrik Agora Energiewende. „Die Antwort auf eine schwächelnde Stromnachfrage sollte sein, die Elektrifizierung anzuschieben und die Netze fit für den zunehmenden Verbrauch aus Verkehr, Gebäuden und der Industrie zu machen – statt den Erneuerbaren-Ausbau zu bremsen“, sagt Agora-Deutschland-Chefin Julia Bläsius.
rnd