KOMMENTAR - Amazon-Daten-Ausfall: Firmen, die auf nur eine Cloud setzen, haben eine zu wenig

Der AWS-Blackout vom Montag zeigt, wie systemkritisch Cloud-Dienste geworden sind – und wie gefährlich die Abhängigkeit von ein paar wenigen US-Konzernen ist.
Anushree Fadnavis / Reuters
Brennt zu Hause die Sicherung durch, geht auf einen Schlag gar nichts mehr: Man sitzt im Dunkeln, ohne Internet oder Kaffee, und die Tiefkühlkost im Eisfach droht zu verderben.
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Wenn die Cloud-Dienste von Amazon Web Services (AWS) ausfallen, wie am Montag geschehen, ist das für Millionen von Unternehmen und deren Kunden vergleichbar mit einem Stromausfall: Plötzlich sind Webseiten von Banken und Behörden nicht erreichbar, E-Autos laden nicht mehr, Online-Shops und Zoom-Meetings fallen aus, Flugzeuge starten verspätet, Fabriken stehen still.
Denn Cloud-Computing ist im Jahr 2025 eine systemkritische Infrastruktur. Viele Firmen unterhalten keine eigenen Server mehr, auf denen sie ihre Daten speichern und bearbeiten oder IT-Anwendungen laufen lassen. Sie mieten diese. Und das ist meist sinnvoll, da die IT-Infrastruktur heute rund um die Uhr von Cyberkriminellen angegriffen wird.
Cloud-Dienste ermöglichen InnovationZudem bieten Cloud-Anbieter Datenanalyse oder Künstliche Intelligenz als sofort nutzbare Module an. Das senkt die Eintrittsbarriere für Innovation erheblich. Viele Technologie-Firmen wie Airbnb, Netflix oder Spotify sind nur dank Cloud-Diensten entstanden.
Die Kehrseite dieser Medaille ist die Abhängigkeit von ein paar amerikanischen Grosskonzernen: AWS kontrolliert als Branchenführer rund ein Drittel dieses Marktes und macht mit diesem Geschäft wohl gegen 150 Milliarden Dollar Umsatz. Fallen die Datencenter des Amazon-Konzerns – oder jene von Google und Microsoft – aus, wird es für deren Kunden teuer. Das Software-Unternehmen Big Panda schätzt die Kosten eines ungeplanten Ausfalls der IT für das Jahr 2024 auf 12900 Dollar. Pro Minute.
Weil so viel auf dem Spiel steht, können sich Unternehmen und Behörden nicht länger leisten, von einem einzigen Anbieter abhängig zu sein. Eine Single-Cloud-Strategie ist zu riskant. Der AWS-Ausfall am Montag hat nur ein paar Stunden gedauert und war geografisch begrenzt. Doch es ist durchaus vorstellbar, dass die Datencenter eines grossen Anbieters einmal ein paar Tage am Stück ausfallen: Nicht alle Kunden würden das überleben.
Dazu kommt, dass viele Unternehmen die Erfahrung machen, dass sie über den Tisch gezogen werden, wenn sie all ihre Daten und Anwendungen beim gleichen Cloud-Anbieter haben: Sie sind diesem dann ausgeliefert, da es technisch komplex und zeitaufwendig ist, zu einem anderen Dienst zu wechseln. Wenn der Kunde keinen einfachen Ausweg hat, verliert er die Möglichkeit, Preise oder Vertragsbedingungen neu zu verhandeln. Dieses Problem ist als Vendor Lock-in bekannt.
Das Wort der Stunde heisst ResilienzEine Verteilung auf mindestens zwei Anbieter macht resilient und bewahrt die Verhandlungsmacht. So wie Firmen heute ihre Lieferketten diversifizieren, sollten sich auch ihre Cloud-Dienste von mehreren Unternehmen beziehen. In Zeiten geopolitischer Konflikte empfiehlt es sich sogar, europäischen Anbietern den Vorzug zu geben. Denn kommt es hart auf hart, sind AWS, Google und Microsoft der verlängerte Arm der US-Regierung.
Selbst wenn man vertraglich vereinbart, dass die Daten physisch in Europa bleiben, sehen die amerikanischen Gesetze vor, dass US-Behörden Zugriff auf Daten erhalten. Das könnte man als theoretische Gefahr abtun, wäre in Washington nicht eine gänzlich unberechenbare Regierung am Werk.
Der Königsweg punkto Datensouveränität ist ohnehin, auf einen Cloud-Dienst zu setzen, der ausschliesslich Open-Source-Technologie verwendet. Also Software, wie etwa das Linux-Betriebssystem oder den KI-Dienst Llama, die allen frei zum Download zur Verfügung stehen. So kann man jederzeit zu einem anderen Cloud-Anbieter wechseln, der die gleiche Software benutzt.
Firmen, die sich mit ihren wichtigsten Ressourcen – den Daten –gedankenlos in die Abhängigkeit eines Cloud-Anbieters begeben, werden das vielleicht bereuen.
nzz.ch