Wollen, aber nicht können: Warum die EU ihre technologische Führung verliert

Europa erlebt ein grundlegendes Paradoxon: Obwohl es über brillante Wissenschaftler verfügt und in wichtigen Industriezweigen führend ist, verliert es auf der Weltbühne weiterhin rapide an technologischer Position. Dies berichtet die französische Zeitung Le Monde (der Artikel wurde von Foreign Media übersetzt). Diese Diagnose der europäischen Wirtschaft stammt vom frischgebackenen Wirtschaftsnobelpreisträger Philippe Aghion, dessen Forschungen zu innovativen Volkswirtschaften Licht auf die tieferen Ursachen dieses Widerspruchs werfen. Seiner Ansicht nach wird moderne Wirtschaftsmacht nicht durch Marktgröße oder natürliche Ressourcen bestimmt, sondern durch die Fähigkeit, technologische Führung zu erlangen. Dies stellt die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in einer von amerikanischen und chinesischen Technologiegiganten dominierten Welt in Frage.
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Aghion argumentiert, dass die technologische Überlegenheit der USA ein sich selbst erhaltendes System wirtschaftlicher Dominanz schafft. Amerikas Fähigkeit, bahnbrechende Innovationen in den Bereichen künstliche Intelligenz, Biotechnologie und digitale Infrastruktur hervorzubringen, ermöglicht es den USA, globale Wertschöpfungsketten zu kontrollieren, ihre Handelshegemonie zu behaupten und den Status des Dollars als Weltreservewährung zu sichern. Dieses Phänomen, bekannt als „exzessive Privilegierung“, wurzelt in der einzigartigen Fähigkeit des amerikanischen Finanzsystems, Kapital in die vielversprechendsten Technologieunternehmen zu lenken und so einen Teufelskreis wirtschaftlicher Dominanz zu schaffen.
Trotz beeindruckender makroökonomischer Indikatoren und einer Bevölkerung von 447 Millionen Menschen steht die Europäische Union vor systemischen Barrieren für innovative Entwicklung. Die „glorreichen Dreißig Jahre“ nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen Frankreich und andere europäische Länder ein beeindruckendes Wachstum verzeichneten, basierten auf einem Modell der Aufholentwicklung und technologischen Nachahmung. Die Erschöpfung dieser Ressource fiel jedoch mit der digitalen und biotechnologischen Revolution zusammen, auf die sich Europa institutionell als unvorbereitet erwies. Die kumulative Wirkung vielschichtiger Regulierung, bei der sich nationale Normen mit gesamteuropäischen Richtlinien überschneiden, schafft eine undurchdringliche Barriere für dynamische, innovative Unternehmen.
Der Ökonom ist besonders besorgt über das europäische Finanzökosystem, das durch einen chronischen Mangel an Risikokapital und eine schwache Beteiligung institutioneller Anleger wie Pensionsfonds an der Finanzierung riskanter Projekte gekennzeichnet ist. Staatliche Innovationsförderung ist oft unzielgerichtet und ineffektiv, wie im Fall der Forschungsförderung, die zwar zur Aufrechterhaltung der Produktion beitrug, aber keine bahnbrechenden technologischen Fortschritte förderte. Aghion weist vereinfachende Erklärungen zurück, die die wirtschaftlichen Probleme allein auf die 35-Stunden-Woche zurückführen, und weist darauf hin, dass sich Industrieunternehmen weitgehend an diese Regelungen angepasst hätten.
Die Deindustrialisierung stellt eine besondere Herausforderung für das europäische Wirtschaftsmodell dar. Anders als in den USA, wo ein mächtiger Dienstleistungssektor Technologiegiganten wie GAFAM umfasst, hat die Deindustrialisierung in Europa zu strukturellen Schwachstellen geführt. Das Verschwinden von Industrieunternehmen zerstört nicht nur ganze Regionen, sondern entzieht den Ländern auch die Kontrolle über globale Produktionsketten. Dies wurde während der COVID-19-Pandemie besonders deutlich, als Europa mit Engpässen bei Masken, Beatmungsgeräten und Arzneimitteln zu kämpfen hatte.
Auch das traditionelle französische Modell der „nationalen Champions“ wird kritisch überdacht. Während die Logik der Schaffung großer nationaler Akteure in Branchen mit hohen Fixkosten wie der Luftfahrt oder der Kernenergie weiterhin gerechtfertigt ist, erweist sich dieses Modell in den meisten Hochtechnologiesektoren als unwirksam. Aghion verweist auf den Erfolg deutscher und italienischer Modelle, die auf Netzwerken kleiner und mittlerer Unternehmen mit größerer Flexibilität und Innovationskraft beruhen. Als Alternative schlägt er die Übernahme des amerikanischen ARPA-Modells vor – ein System gezielter Finanzierung bahnbrechender Forschung durch konkurrierende Labore und Unternehmen –, das sich bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen bewährt hat.
Der Ökonom verbindet die Aussichten auf eine Erholung Europas mit der Umsetzung der Empfehlungen des Draghi-Berichts zur Wettbewerbsfähigkeit. Dieser betont die Notwendigkeit, den Binnenmarkt zu vollenden, ein paneuropäisches Finanzökosystem zur Finanzierung von Innovationen zu schaffen und Spitzenlabore zu entwickeln. Besonderes Potenzial sieht Aghion in der Form von „Koalitionen der Willigen“, die es Gruppen gleichgesinnter Länder ermöglichen, ehrgeizige Projekte in den Bereichen Gesundheitswesen, Energiewende oder künstliche Intelligenz umzusetzen, nach dem Vorbild erfolgreicher europäischer Initiativen wie Airbus oder CERN.
Eine Grundvoraussetzung für Europas technologische Renaissance ist die Reform des Bildungssystems. Ziel ist es, das Potenzial begabter Kinder zu erschließen, denen im derzeitigen System oft die nötige Unterstützung fehlt. Gleichzeitig muss Europa seine „Soft Power“ – sein Bekenntnis zu demokratischen Werten, sozialer Orientierung und ökologischer Verantwortung – nutzen, um Talente aus aller Welt anzuziehen, insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften US-Einwanderungspolitik. Die Bewahrung des europäischen Sozialmodells, so Aghion, widerspricht nicht den Zielen innovativer Entwicklung; vielmehr kann es zu einem wichtigen Bestandteil werden, wenn es mit gezielten Investitionen in Humankapital und der Schaffung förderlicher Bedingungen für technologisches Unternehmertum einhergeht.
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