Prof. Dumanowski: Józef Piłsudski mochte Tee, Pflaumenkuchen und Zimtschnecken

Marschall Józef Piłsudski liebte sehr süßen Tee, Pflaumenkuchen und Zimtschnecken, erklärte der Historiker Dr. Jarosław Dumanowski, Professor an der Nikolaus-Kopernikus-Universität, gegenüber der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Er betonte, dass Polen, das 1918 seine Unabhängigkeit wiedererlangte, ein Land enormer Unterschiede sei, genau wie die Küche in den preußischen und russischen Teilungsgebieten.
Polnische Presseagentur : Polen erlangte 1918 nach 123 Jahren der Teilung seine Unabhängigkeit zurück. Der Kampf um die Befreiung einiger dieser Gebiete dauerte danach noch Jahre an. All diese Fakten sind aus dem Geschichtsunterricht bekannt, doch die polnische Küche jener Zeit wird in Schulen selten thematisiert. Was sind ihre Besonderheiten?
Prof. Jarosław Dumanowski : Hunger, Armut und sogar Elend. Von Festen und Völlerei ist keine Rede, sondern von furchtbaren Zerstörungen und Hungersnöten im Krieg. Wir dürfen jedoch die Unterschiede nicht vergessen, die in der Zwischenkriegszeit und weit darüber hinaus fortbestanden. Anfänglich waren Großpolen und Pommern, die Gebiete der preußischen Teilung, deutlich wohlhabender. Dort gab es keine Hungersnot. Selbst mit Rationierung und Strafen für die Nichtrückgabe von Butter an die Armee verhungerte niemand. Nach dem Großpolnischen Aufstand, als Polen das Gebiet um Posen und 1920, dank Hallers Armee aus Frankreich, Pommern einnahm, ernährten diese beiden Regionen größtenteils das gesamte Land. Die polnischen Gebiete unter russischer Herrschaft und Teile Galiziens wurden schwer verwüstet. Die Gebiete der preußischen Teilung hingegen waren reich und auf die Versorgung Deutschlands spezialisiert.
PAP : Was aßen sie? Was wurde aus Großpolen und Pommern in andere Teile der Zweiten Polnischen Republik transportiert?
JD : Die einfachsten Produkte, denn es geht nicht ums Kochen, sondern um Vorräte. Also Kartoffeln, Mehl, Brot, etwas Fett und Gemüse. Vor dem Ersten Weltkrieg und später in der Zweiten Polnischen Republik, als sich die Lage eine Zeit lang beruhigt hatte, gab es verschiedene Spezialitäten: Gans, Lamm und natürlich Kartoffeln und Getreide. Wir besitzen die Zeitschrift „Kuchnia Elektryczna“ (Elektrische Küche) aus der Zeit gegen Ende der Zweiten Polnischen Republik – von 1937 bis 1939 –, die von einem der pommerschen Kraftwerke in Toruń herausgegeben wurde. Die Novemberausgabe dieser Zeitschrift war dem Lammfleisch gewidmet. Darin wurde die Qualität dieses Fleisches in Pommern und Großpolen gelobt. Heute gibt es fast kein Lammfleisch mehr, da die Schafzucht lange Zeit auf Wolle ausgerichtet war, und heute haben wir keine Wolle mehr, nur noch Plastik.
PAP : Halten wir an den Anfang von Polens Wiedergeburt nach 1918. Was aß einer der Väter der polnischen Unabhängigkeit, Marschall Józef Piłsudski?
JD : Wer war Piłsudski? Er war ein Held, ein Verbannter, ein Politiker, ein Soldat, ein Mitbegründer der Unabhängigkeitsbewegung, aber vor allem ein Mann. Früher interessierten sich Männer nicht fürs Kochen, denn es galt als trivial, frivol und unmännlich. Piłsudski hingegen hatte eine Köchin aus seinem Bezirk in der Region Vilnius – aus seinem Heimatbezirk Świniec.
PAP : Er mochte also die Küche, die ihn an seine Kindheit erinnerte, aber was aß er denn genau?
JD : Er verspürte zweifellos Nostalgie, und das Essen erinnerte ihn an seine Kindheit und sein Elternhaus. Er liebte Süßigkeiten und sehr süßen Tee. Das war in den preußischen und österreichischen Teilungsgebieten undenkbar – selbst in den schlimmsten Kriegsjahren trank man dort Kaffee. Im russischen Teilungsgebiet hingegen gab es Samowar und Tee. Piłsudski mochte Pflaumenkuchen und süße Zimtschnecken. Kaffee mochte er allerdings nicht. Wir besitzen Kochbücher aus der Region Vilnius, die alte Rezepte wieder aufgreifen, und genau darin wird über diese Art von Speisen berichtet.
PAP : Wie schmeckte der Tee, den der Marschall damals trank?
JD : Ein zuckersüßes, sirupartiges, kaum gefärbtes Getränk. Damals nahmen die Leute oft ein Stück Zucker in den Mund und tranken Tee.
PAP : Im Laufe der Jahre der Zweiten Polnischen Republik haben sich diese Unterschiede etwas angeglichen.
JD : Ein bisschen, denn schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren sie sehr groß. Stanisław Grzesiuk beschrieb, wie er als Angehöriger einer armen Warschauer Familie zum Militärdienst eingezogen und in die Gegend von Kołomyja gebracht wurde. Als er sah, was die Menschen dort aßen, war er schockiert – nämlich Maispfannkuchen, nicht einmal Brot. Wenn Bauern kamen, um Essensreste zu holen, schütteten die Soldaten sie ihnen vor die Füße, weil sie dachten, sie seien für die Schweine bestimmt. Aber für diese Bauern war es das beste Essen überhaupt, so groß war die Armut dort. Die Warschauer wussten gar nicht, dass es solche Menschen auf der Welt gab.
Allerdings ist in den letzten 20 Jahren auch in ärmeren Regionen etwas mehr Fleisch und Fisch auf den Tisch gekommen.
PAP : Hat die Armee die Küche standardisiert?
JD : Ja, denn es war die größte Masseninstitution der Zweiten Polnischen Republik. Sogar Kochbücher für die Armee wurden veröffentlicht, die genaue Ernährungsstandards beschrieben. Sowjetische Soldaten konnten 1939 kaum glauben, dass Polen so viel Fleisch als Teil ihrer Militärrationen erhielten. Die kulinarische Integration wurde auch durch auflagenstarke Frauenzeitschriften und Kochbücher gefördert. Auch die koschere jüdische Küche fand Eingang in die Gesellschaft. Das lässt sich aber einfacher erklären – anhand eines einzigen Gerichts.
PAP : Versuchen wir's.
JD : Sprechen wir über Kutteln. Jeder kennt Suppe, aber nur wenige wissen, dass es ursprünglich ein Eintopf war. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Kuttelbrühe, oder das, was wir heute als Kutteln kennen, populär. In der Zeit der preußischen Teilung wurde Kuttel mit Wurst aus gehackter Gänseleber serviert – ein Symbol für Luxus und Wohlstand. Polen war ein wichtiger Gänseproduzent für den deutschen Markt. Für die Deutschen galt alles Polnische als vulgär; nur die polnische Gans war die beste. Bis heute ist sie in Deutschland eine bedeutende Marke.
PAP : Und Kutteln nach Warschauer Art?
JD : Es gab zwar Fleischbällchen, aber nicht die, die wir heute kennen. Es waren einfach nur durchweichte Brötchen, vermischt mit billigstem Fett. In Österreich wurde Kutteln immer mit Wurst serviert, die aber aus Krakauer oder Tschenstochower Grütze hergestellt wurde. Bis heute sind die Krakauer stolz auf ihre Grütze. Statt Brot oder Brötchen verwendeten sie Grütze.
PAP : Und wie sieht es mit Fisch aus?
JD : Störe sind definitiv erwähnenswert; wir kennen sie von Fotografien aus der Zwischenkriegszeit. Störe sind Wanderfische, die zweimal im Jahr auftauchten und riesig waren. Heutige Zuchtstöre erreichen diese Größe nicht, sie wiegen nur wenige Kilogramm, nicht mehrere Dutzend oder gar mehrere Hundert. Zwischen den Kriegen wurde Stör nicht mehr konserviert, sondern frisch verzehrt. Daher besitzen wir wunderbare Störrezepte aus dieser Zeit.
Auch Flunder wurde nach kaschubischer Art zubereitet. Dank des Zugangs zum Meer und des Ausbaus des Eisenbahnnetzes gelangten frische Seefische ins Land.
PAP : Zum Schluss noch ein Wort zum Speiseplan der Armee, dem täglichen Speiseplan.
JD : Hallers Armee hatte Suppen, Fleisch, Desserts und eine ausgezeichnete Küche. Und wie sah der Speiseplan in den Kasernen der polnischen Armee in der Zweiten Polnischen Republik aus? Zum Frühstück gab es Kaffee und Brot – 950 Gramm, ein großes Brot für den ganzen Tag. Zum Mittagessen Bohnensuppe, Rinderbraten und Kartoffeln mit Zwiebelsoße. 250 Gramm Fleisch, ganz schön viel. Zum Abendessen gab es Piroggen mit Speck und Kaffee. Für uns wäre das heute vielleicht nicht sehr abwechslungsreich, aber es war ein standardisiertes Modell, ein Weg, die Küche zu vereinheitlichen. Aus der Vielzahl an Gerichten nach der Teilung Polens wurden einige ausgewählt, und manche sind bis heute erhalten geblieben. Wir haben das in einer Folge der Serie „Geschichte der polnischen Küche“ gezeigt.
Interview mit Tomasz Więcławski (PAP)
Twi/ Teddybär/
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