Koffein, Kult & Kontroversen: Die lange Reise des Kaffees

Spirituelles Ritual, Revolution oder TikTok-Hype: Kaffee ist viel mehr als nur ein Getränk. Seine uralte Geschichte erzählt von Ziegen, Legenden, Kolonialismus - und Katzencafés.
Kaffee ist längst Popkultur - vom ikonischen Starbucks-Frappuccino, der dieses Jahr 30 wird, bis zu TikTok-Trends wie Dalgona oder Cloud Coffee. Doch all den Modetrends ist eine lange Geschichte vorausgegangen: Kaffee wurde über Jahrhunderte hinweg in Ritualen gebraut, in Salons getrunken und diente als Treibstoff für Revolutionen.
Gleichzeitig ist seine Geschichte eng mit dem Kolonialismus verknüpft - und heute mit dem Klimawandel: Durch steigende Temperaturen und unberechenbare Regenereignisse kämpfen viele Kaffeebauern ums Überleben, die Kaffeepreise schießen in die Höhe. Und trotzdem: Rund zwei Milliarden Tassen Kaffee täglich zeigen, wie eng das Getränk mit der Weltkultur verbunden ist. Ein kleiner Überblick über seine Reise durch Zeit und Kontinente.
Der Legende nach entdeckte ein äthiopischer Ziegenhirte namens Kaldi den Kaffee, als seine Tiere nach dem Naschen roter Beeren plötzlich wild herumsprangen. Auch wenn die Story wohl erfunden ist: Arabica-Kaffee stammt tatsächlich aus der Region Kaffa in Äthiopien, wo er bis heute in Zeremonien eine wichtige Rolle spielt. Bei der traditionellen äthiopischen Kaffeezeremonie werden Bohnen über offenem Feuer geröstet und in einer Tonkanne (Jebena) aufgebrüht - ein Moment der Gastfreundschaft und Gemeinschaft.
In Senegal ist Café Touba mehr als nur ein Getränk - mit Pfeffer und Nelken gewürzt, stammt er aus islamisch-sufischer Tradition und hat spirituelle Bedeutung. In vielen arabischen Ländern kommt Kardamom in den Kaffee.

In der Türkei wird das sehr fein gemahlene Kaffeepulver mit Wasser und Zucker in einer Kupferkanne (Cezve) aufgekocht - das ist der türkische Mokka, der auch in Griechenland so zubereitet und dort "Kafedaki" genannt wird. Ist die Tasse bis auf den Kaffeesatz leergetrunken, wird dieser anschließend gelesen - eine alte Wahrsage-Tradition, die sich bis heute gehalten hat.
In Italien schwört man auf den Espresso - am besten ist er als winziger öliger schwarzer Schluck in einer ebenso winzigen dickwandigen Tasse.
In Brasilien ist der Cafézinho - ein kleiner, süßer Kaffee - ein Symbol der Gastfreundschaft. Er gehört einfach überall dazu: ob zu Hause oder am Straßenstand.
Und 2020, mitten im Corona-Lockdown, machte ausgerechnet Südkorea den Kaffee wieder zum globalen Erlebnis: Mit Dalgona Coffee, eine fluffige Mischung aus Instantkaffee, Zucker und Wasser, wurde zum viralen TikTok-Ritual - simpel, beruhigend und wunderschön anzusehen.
Käse, Ei - und ja, auch KotWeltweit gibt es kreative und manchmal kuriose Varianten: In Finnland und Schweden etwa wird Kaffee über Käsewürfel aus Kuh- oder Rentiermilch gegossen - eine uralte Tradition.

In Vietnam entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus Milchknappheit der Egg Coffee - geschlagenes Eigelb mit süßer Kondensmilch und Kaffee - heute ein beliebter Klassiker.
Dann gibt's noch Kopi Luwak aus Indonesien - Kaffeebohnen, die durch den Verdauungstrakt einer Schleichkatze wandern und dann wieder eingesammelt werden. Die Idee: Durch Fermentierung wird der Geschmack milder. Doch der Tierschutz warnt: Viele Tiere werden dafür in Käfige gesperrt und zwangsernährt. Es gibt zwar Anbieter mit "wild gesammeltem" Kaffee - aber die Glaubwürdigkeit ist oft fraglich.

Kaffee reiste nicht nur in Säcken, sondern mit Handelsrouten, spirituellen Strömungen und kolonialen Eroberungen. Auch wenn die Pflanze aus Äthiopien stammt, stammt die erste dokumentierte Kultivierung aus dem Jemen - dort bekam er auch den Namen Qahwa, ursprünglich ein Wort für "Wein".
Sufi-Mystiker (islamische Spirituelle) nutzten Kaffee, um bei nächtlichen Gebeten wach zu bleiben. Der jemenitische Hafen Mokka wurde zum globalen Handelszentrum für Bohnen.
Einer Legende nach schmuggelte der indische Sufi-Heilige Baba Budan im 17. Jahrhundert sieben fruchtbare Bohnen aus dem Jemen nach Südindien - trotz arabischem Exportverbot. Das war der Anfang des Kaffeeanbaus in Indien.
Bald entdeckten europäische Kolonialmächte das Potenzial: Die Niederländer pflanzten Kaffee auf Java, die Franzosen in der Karibik, die Portugiesen in Brasilien - oft verbunden mit Gewalt, Sklaverei und Zwangsarbeit. Brasilien wurde so im 18. Jahrhundert zum größten Kaffeeproduzenten der Welt.

Selbst Australien, ein Spätzünder, hat heute eine lebendige Kaffeekultur. Fun Fact: Australien und Neuseeland behaupten beide, den Flat White erfunden zu haben - in den 1980ern.
Cafés als Hotspots für Ideen und WiderstandskämpferCafés waren immer mehr als Orte zum Kaffeetrinken. Im Istanbul des 16. Jahrhunderts wollten die Herrscher sie mehrmals verbieten - aus Angst, dass sich dort Unruhe zusammenbrauen könnte.
Im Europa zur Zeit der Aufklärung wurden Cafés zum Treffpunkt für revolutionäre Ideen - berühmte Kaffeetrinker waren unter anderem große Denker wie Voltaire oder Rousseau.
Im kolonialen Amerika ersetzte Kaffee den von den Briten besteuerten Tee - besonders im "Green Dragon Tavern" in Boston, wo sich die "Sons of Liberty" (Söhne der Freiheit) trafen, um den Widerstand gegen die britische Kolonialmacht zu organisieren. Der führte zur berühmten Boston Tea Party, als Mitglieder der Widerstandsgruppe hunderte Kisten Tee der britischen East India Company in den Hafen von Boston warfen. Das war mit der Anfang der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert.

Heute erleben Cafés als "Coworking-Cafés" ihr Comeback - als Orte zwischen Arbeit und Zuhause, an denen man einfach sein kann. Schon in den 1990ern boten viele Cafés Internetzugang, lange bevor WLAN zu Hause normal war.
Und: Cafés wurden immer kreativer. In Taipeh eröffnete 1998 das erste Katzen-Café der Welt - ein Ort zum Entspannen mit Kaffee und schnurrender Gesellschaft. Heute gibt's das Konzept weltweit - von Tokio bis Berlin können Katzenfans die flauschigen Vierbeiner streicheln und beobachten, mit einer feinen Tasse Mokka, mit einem Latte Macchiato im Glas, mit einem Americano, Dalgona oder Espresso vor sich.
Ob als Ritual, Protest oder einfach Genuss - Kaffee bleibt ein faszinierender Spiegel unserer Welt(geschichte). Wird einem dies bewusst, schmeckt er nochmal so gut.
dw