TV-Serie | »The Paper«: Hab’n Se nicht noch Altpapier?
Schwer zu sagen, ob es wagemutig oder wahnsinnig ist, im digitalen KI-Jahr 2025 eine Tageszeitung wiederzubeleben. Also nicht online. Gedruckt! Wer den Zehnteiler »The Paper« sieht, dürfte die tapferen Reanimateure des »Toledo Truth Teller« allerdings mit jeder Folge für unzurechnungsfähiger halten. Seit der goldenen Ära des Journalismus hat sich schließlich viel, ach: alles! – geändert. Das lernt auch der neue Chefredakteur schnell, als er das Verlagsgebäude betritt.
Dort teilt sich das Team von Ned Sampson (Domhnall Gleeson) den neunten Stock mit einem Klopapierhersteller. Wobei – teilen? Für acht unmotivierte Mitarbeiter sind zwei, drei Tische reserviert, an denen sie ihr schlecht geklicktes Nachrichtenportal mit Bullshit füllen. Welch ein Unterschied zum Jahr 1971. Damals hielten 100 hochmotivierte Volljournalisten »die Demokratie am Laufen«, wie TTT-Herausgeber John Stack (Tracy Letts) in einer schwarzweißen Rückblende an gleicher Stelle prahlt.
Wem das Gewusel im Stil der CBS-Serie »Lou Grant« surrealer erscheint als die bunte Ereignislosigkeit von heute: In derselben Ära haben Robert Redford und Dustin Hoffman den »Unbestechlichen« Bob Woodward und Carl Bernstein auch deshalb vier Oscars eingebracht, weil die Hollywood-Version der »Washington Post« im Watergate-Skandal exakt so verraucht, hektisch und haltungsgetrieben war wie die reale. Ob das emotionslose, lethargische, aber nikotinfreie Raumklima beim fiktiven »Toledo Truth Teller« dagegen der Realität entspricht, sei dahingestellt.
Spätestens, als TTT-Buchhalter Martinez (Oscar Nuñez) vor die Kamera tritt und fordert, sie auszuschalten, erkennen Fans der Mockumentary »The Office« in ihm den Aktenfresser des Papierhandels Dunder Mifflin – vor 20 Jahren das Gegenstück von Bernd Strombergs Capitol-Versicherung. Damals ließ NBC wie bereits im britischen Original und deutscher Kopie Fake-Büros von Fake-Filmern dokumentieren. Jetzt setzt Sky dessen Arbeit in der viertgrößten Stadt Ohios fort – was schon dank des alten Showrunners Greg Daniels zum Fremdschämen komisch ist.
Weil die Serie obendrein erneut von Ricky Gervais und Stephen Merchant produziert wurde, scheint alles wie damals zu sein. Denn die 19 Autoren und Regisseure haben abermals ein Ensemble gewöhnlicher Archetypen kreiert. Unter Neds Leitung stümpern der eitle Chef vom Dienst (Tim Key), die schwermütige Assistentin Nicole (Ramona Young) und der italienische Vamp Esmeralda (Sabrina Impacciatore) um klischeehafte Figuren vom Büroclown Detrick (Melvin Gregg) bis zum senilen Pressefossil Dave (Duane Shepard Sr.) herum.
Wie einst bei »Stromberg« stecken also alle im Morast stereotyper Marotten und machen alles Mögliche, nur selten ihre Arbeit. Einerseits. Andererseits hat sich das Machtgefüge verschoben. Während Michael Scott der größte Versager im »Office« war und dennoch immer abwärts trat, ist Ned Sampson 137 Jahre nach Gründung des »Paper« ehrlich um dessen Auferstehung bemüht – und weiß mit der früheren Militärreporterin Mare (Chelsea Frei) sogar einen Profi im Kampf gegen die geballte Inkompetenz ringsum an seiner Seite. Ihr Chef ist folglich kein Stachel im Fleisch seiner Angestellten und Vorgesetzten; es geht ihm wirklich ums Wohl von Belegschaft, Publizistik, Demokratie, ergo: nicht das eigene Ego. Eine Form des Altruismus, die mittlerweile eine Ausnahme ist. Waren Reporter auf Leinwand und Bildschirm einst emsige Handwerker am Rohbau der vierten Gewalt, fiel ihr Ruf besonders hierzulande ins Bodenlose. Als Helmut Dietl mit Baby Schimmerlos (»Kir Royal«) und Hermann Willié (»Schtonk«) in den 80ern Prachtexemplare der megalomanen Journaille schuf, versanken auch Lokaljournalisten gern im Mittelmaß geplatzter Träume.
Umso besser, dass »The Paper« nun Journalisten mit dem irrsinnig couragierten Plan betraut, inmitten der Printkrise ein Traditionsblatt neu aufzulegen. Nach zehn Folgen deutet sich an, dass sie es noch länger versuchen. Weiter so!
Läuft auf Sky
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten → Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben → Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden → Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
nd-aktuell