Keanu-Reeves-Literatur | Blut, Muskeln und ein bisschen Magie
Kennen Sie den muskelbepackten Kämpfer Unute? Der ist 80 000 Jahr alt, halb Gott, halb Mensch und lebt in einem Comic namens »BRZRKR«. Das meint »Berzerker« ohne Vokale. Erfunden wurde er von Hollywoods Schauspiel-Ikone Keanu Reeves, der zusammen mit den Comicgrößen Matt Kindt und Ron Garney von 2021 bis 2023 zwölf Bände davon herausgebracht hat – mit großem Erfolg. Angeblich hat Netflix sowohl eine Anime-Serie als auch eine Echtverfilmung in Planung.
Nun hat der »Matrix«-Star Keanu Reeves zusammen mit dem erfolgreichen britischen SF- und Fantasy-Autor China Miéville einen Roman aus dem Stoff gemacht: »Das Buch anderswo«. Die großen Medien waren davon sehr angetan. Das liegt ganz klar am Promi-Faktor von Keanu Reeves und dem Umstand, dass der Kanadier zusammen mit dem Trotzkisten Miéville, den er als einen seiner Lieblingsautoren bezeichnet, ein Buch geschrieben hat. Denn über weite Strecken ist dieses blutrünstige Splatter-Action-Spektakel um einen vor-neolithischen Krieger, der für eine US-Spezialeinheit ins Feld zieht, kaum mit den ansonsten meist auf Hochkultur getrimmten Feuilletons kompatibel.
Vor allem hierzulande fristen Science-Fiction und Fantasy ja ein eher kümmerliches Dasein im Gesamtkulturbetrieb. Wobei China Miéville aus dem Stoff dann doch einiges herausholt. Vor allem, wenn es zurückgeht in die Geschichte, wird es spannend. Denn »Das Buch anderswo« spielt auf mehreren Zeitebenen. So kämpft Unute regelmäßig gegen einen Hirscheber, der immer wieder neu geboren wird.
Unute ist mit verschiedenen Wissenschaftlern und Militärs in einer streng geheimen Forschungseinrichtung in der Nähe von Portland stationiert, wo es aber plötzlich zu Angriffen auf Unute und seine Truppe kommt. Wer steckt dahinter? Womöglich sogar ein jahrtausendealter Kult, der den Krieger final auslöschen soll?
Das Faszinierende an dieser Geschichte ist zweifelsohne die Idee, dass ein menschliches Wesen, auch wenn es fast übernatürliche Kräfte hat, jahrtausendelang die Menschheitsgeschichte miterlebt. Und die ist, folgt man den beiden Autoren, voller kultureller Zeitabschnitte, die wir gar nicht kennen. Egal ob Ackerbau, Schrift, Technologie, religiöse Bewegungen, wilde Aufstände oder mächtige Großreiche: In dieser Fiktion gibt es viel mehr in der Vergangenheit Verschüttetes, als wir uns vorstellen können. Daneben ist natürlich die Frage, wie ein Wesen wie Unute überhaupt so lange leben kann, ein ganz zentraler Punkt. Das versuchen hier ein Archäologe namens Caldwell und eine Biologin namens Diana Ahuja zu ergründen. Erst sind sie Kollegen von Unute, die dann aber zu Gegenspielern werden.
Das Buch spielt mal in der Jetztzeit der USA, mal irgendwo in Asien in grauer Vorzeit oder in untergehenden Königreichen des Spätmittelalters. Ein wenig erinnert die Figur des Unute, die dann mit Diana Ahuja auch lange, mitunter etwas simpel gestrickte philosophische Gespräche führt, an eine Mischung aus Conan der Barbar und Hulk. Denn ebenso wie der grüne Marvel-Held erlebt Unute aggressive Schübe, seine Augen fangen an zu leuchten, dann geht alles in die Brüche, egal wo er hinhaut, sich durch Hauswände boxt oder Menschen in Stücke reißt, als wären sie Figuren aus Pappmaché.
So platt dieser Roman männliche Gewaltästhetik als buntes Pop-Spektakel reproduziert, so weiß der über 500 Seiten dicke Roman durch vielerlei Wendungen, Geheimnisse und Verschwörungen durchaus dramaturgisch zu faszinieren. Wirklich politisch, wie etwa in China Miévilles Antifa-Roman »Die letzten Tage von Neu-Paris« (2019), ein explizit literarischer Beitrag gegen die globale rechte Mobilmachung, ist das aber nicht. Er folgt brav der Binnenlogik der fantastischen Action-Genreliteratur.
China Miéville / Keanu Reves: Das Buch anderswo. Aus dem Englischen von Jakob Schmidt, Gutkind-Verlag, 525 S., 24 €.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten → Themen sichtbar machen, die sonst untergehen → Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden → Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
nd-aktuell