Kunst und Kiffen | Man macht Kunst, bis es knallt
In der Schweiz ist die Welt noch in Ordnung; zumindest, wenn es nach der Schanti und der Sabin geht. Bei denen läuft es nämlich. Irgendwann um 2020 herum beschließen sie, einen Verein zu gründen, »Polyphon Pervers«, und damit Theater zu machen. Weil: Irgendwas muss man ja machen. Sonst geht man kaputt. Und wenn man irgendwas machen muss, dann kann man ja auch das machen: Kultur. Oder Kunst. Oder vielmehr halt Unterhaltung, denn was Kunst und Kultur sind, das weiß eh seit Jahrtausenden kein Mensch mehr, und das ist auch nicht wichtig, darüber sollen sich die Philosoph*innen streiten. Wichtig ist: Beim Arbeiten auch mal eine Weißweinschorle zu trinken, lange in Küchen sitzen und sich mit aufregenden Leuten über spannende Konzepte zu unterhalten. Das alles also und natürlich auch für: Geld.
Also machen die beiden, die Schanti und die Sabin, Kultur, indem sie sich kein bisschen um die Kunst scheren. Sie ziehen sich eine Provinztheatergruppe an Land, organisieren Förderanträge, verbessern das Catering, holen Sponsoren mit an Bord, und all das tragen sie fein säuberlich in ihre Excel-Tabellen ein, damit hinterher klar ist, wer wie viel gearbeitet hat. Was sie spielen, ist eh wurscht, es muss nur fresh sein und irgendwie herausstechen.
Und da tut sich in dem ganzen Antragsgetümmel plötzlich eine neue Gelegenheit auf, durch den Jules, das ist der Dealer, der die ganze Kunstszene dort mit Gras versorgt. Und der hat einen kompletten Tresor voll mit Bargeld rumstehen. Und da weiß er halt nicht, wohin mit dem Geld, der Jules. Und deswegen baut die Schanti dann diesen Verein ein bisschen um, damit der Jules auch in die Rentenkasse einzahlen kann und überhaupt ein versteuerbares Einkommen hat. Und das Ganze geht dann auch eine ganze Weile gut, bis dann die Manon kommt, das ist die Kulturredakteurin von diesem Provinzblatt, und der war wohl langweilig, und da hat sie dann recherchiert und dann ging es plötzlich nicht mehr gut. Aber das ist eigentlich dann schon wieder eine andere Geschichte.
Das Buch wirkt auf charmante Weise aus der Zeit gefallen: Die ganzen großen, schweren Themen finden hier nicht statt; müssen auch nicht stattfinden. Und wenn sie doch stattfinden – beispielsweise als die Pandemie über die kleine heile Kunstwelt hereinbricht –, dann bleibt das alles seltsam unwirklich – nachvollziehbarerweise unwirklich, denn die Schanti und die Sabin und ihr ganzer Kulturtrümmertrupp haben mit der Wirklichkeit eh nicht viel zu tun: sie leben von Luft und Liebe und dem bisschen Geldwäscherei, die diesen ganzen Hokuspokus finanziert.
Und da kann man ihnen auch gar nicht böse sein, weil alle diese Aufschneider*innen und Hochstapler*innen ungeheuer sympathisch sind. Die Schanti, die Sabin, der Jules, das sind im Grunde alles Kindsköpfe, die ein bisschen rumspielen wollen mit ihrem Leben, bisschen arbeiten, bisschen Spaß haben. Sie wollen nichts Böses und tun auch niemandem weh. Auch die einzig wirklich tragische Figur – der versoffene Ghostwriter Yves, der den Fehler macht, es irgendwann ernstnehmen zu wollen mit der Kunst und dann grandios daran scheitert, ein Theaterstück von Bedeutung zu schreiben – fällt zwar in eine tiefe Verzweiflung, ist in ihrem aus der Zeit gefallenen Existenzialismus aber auch auf eine niedliche Art überdreht. Yves geht es nicht darum, etwas zu sagen, sondern gut zu sprechen: Kunst zu performen. Am Ende ist nur eine Figur wirklich unsympathisch: die Manon, diese Verräterin, die die Frechheit besitzt, ihren Job ernstzunehmen und dieses ganze Luftschloss platzen lässt.
Béla Rothenbühler hat eine derart liebevolle Satire auf den Kulturbetrieb geschrieben, man vergisst darüber fast, dass es Leute gibt, denen Theater noch etwas bedeutet; denen Kunst noch etwas bedeutet. In »Polyphon Pervers« geht es nämlich nicht – Rothenbühler würde sagen: null Komma null – um Kunst, sondern nur um Eskapismus. Und es geht darum, dass dieser Eskapismus nirgendwo hinführt, wenn er sich selbst genügt; es braucht halt dann doch einen Ort wie die Schweiz, dass das noch zusammengehen kann.
Der Charme des Buches liegt einerseits darin, dass es unglaublich gut geschrieben ist und man selbst diesem Versprechen der Kunst, sich einfach unterhalten lassen zu dürfen, ohne Konzession hingeben darf. Es ist ein Buch, das klingt, als würde einem an irgendeinem Tresen eine derart lustige Geschichte erzählt, dass man ausnahmsweise bereit ist, zwei Stunden die Fresse zu halten. Béla Rothenbühler schafft es – kongenial aus dem Luzerndeutschen übersetzt von Uwe Dethier –, einen Sound zu finden, der zieht. Und andererseits kann, wer mag, da auch durchaus Größeres drin finden. Eine der Schlüsselszenen des Romans ist jene, als im Rahmen einer Performance Raubkunst aus Afrika live und vor Ort aus dem Museum entfernt und zurückgeschickt wird: Das ist eben so eine klassische Kifferidee. Wie kompliziert es ist, Raubkunst wieder zurückzuwidmen, und zwar nicht nur für die Museen, die sie bisher beherbergt haben, sondern vor allem für die Communitys vor Ort, spielt keine Rolle in der Überlegung. Es geht nur um den Eklat, um die Geste. Die Moral ist: Man macht Kunst, dass es knallt. Bis es knallt. Und wenn es knallt, hat man ja nur Kunst gemacht.
Aber das muss nicht sein, das Buch selbst will ganz offensichtlich vor allem unterhalten. Um es in den Worten des Ich-Erzählers zu sagen: das hat Béla Rothenbühler easy hinbekommen.
Béla Rothenbühler: Polyphon Pervers. Aus dem Luzerndeutschen von Uwe Dethier, Voland & Quist, 212 S., geb., 22 €.
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