Film | Thrash-Metal-Band Kreator: Satan kam dann nicht
Wir müssen uns das Leben als Mitglied einer traditionsreichen deutschen Thrash-Metal-Band als ein erfülltes Leben vorstellen: Man steht oder sitzt seit 40 Jahren – also seit man ein fröhlich herumtobender Jugendlicher mit Leopardenmuster-Spandex-Hose, Lederjacke und langen Haaren war – auf den Konzertbühnen der Welt und spielt dort die Sorte elternverschreckender Krawallmusik, an der man bereits als Teenager einen Narren gefressen hat.
Man kann sich künstlerisch verwirklichen und kann immer seine schwarzen Lieblings-Band-T-Shirts tragen. Man tourt jährlich durch Europa und durch ferne Länder (USA, Japan, Indien), wo man auf eine begeisterte internationale Fangemeinde trifft, die einem hinterherreist und die einem mit Tränen des Glücks in den Augen versichert, dass die Musik, die man nun seit über 40 Jahren macht, ihr Leben zum Besseren gewendet habe. Man gibt freundlich lächelnd und demütig Autogramme. Man betrachtet an arbeitsfreien Nachmittagen allerlei Sehenswürdigkeiten in den exotischen Ländern, in denen man seine Auftritte absolviert. Gelegentlich trifft man auch auf jüngere und bekanntere Musikerkolleginnen und -kollegen, die sich voller Respekt und Dankbarkeit äußern, denn, so sagen diese, wenn es die kleine traditionsreiche deutsche Thrash-Metal-Band nicht gegeben hätte, dann hätten sie selbst wohl niemals eine eigene Band gegründet.
In einer Szene beobachtet die Kamera den Bassisten dabei, wie er sich vor dem Konzert die Zähne putzt: »Ich denke, ich schulde das den Leuten in der ersten Reihe.«
Die heute in der Szene international bekannte Band Kreator, von der hier die Rede ist, hat also einen langen Weg zurückgelegt, seit sie 1986, zusammen mit den Bands Tankard, Sodom und Destruction, im Pforzheimer »Kupferdächle« Konzerte gab. Doch es hätte auch alles anders enden können: Man hätte, wie viele junge Männer das in den 1980er Jahren im Ruhrpott taten, anfangen können, unter Tage im Steinkohlebergbau zu schuften. Dann hätte man – nach einem Leben mit harter körperlicher Arbeit – heute vielleicht Arthritis oder eine Staublunge oder beides. Oder wäre vom Lungenkrebs dahingerafft worden. Miland »Mille« Petrozza und Jürgen »Ventor« Reil aus der tristen Stadt Essen haben, als sie 15 oder 16 waren, entschieden, dass sie vorerst nicht Steinkohle abbauen, sondern stattdessen lieber so sein wollen wie die Rockband Kiss. Das schien ihnen seinerzeit der bessere Weg. »Kiss war meine erste große Liebe«, sagt Mille Petrozza.
Daher gründeten sie die Band Tyrant, die sie einige Zeit später in Kreator umbenannten. Sie entschieden sich für die sich aggressiv gebende und von rasendem Tempo gekennzeichnete Heavy-Metal-Variante Thrash Metal, die eine gewisse formale und inhaltliche Affinität zum Hardcore-Punk nicht leugnen kann, und spielten sich damit in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in die Herzen der Fans, wie man so sagt.
Die von der Band gewählte Ästhetik wurde seither in ihrem Kern nicht angetastet: Der szeneübliche Horror-Firlefanz (aufblasbare Dämonen und an Galgenstricken aufgehängte Leichenpuppen aus Kunststoff auf der Bühne) wird ergänzt durch die holzschnittartig formulierte Sozial- und Gesellschaftskritik der von Sänger und Gitarrist Mille Petrozza verfassten Songtexte, deren pathosgeschwängerte Verse wiederholt die Niedertracht der Regierenden, die Zurichtung und Verblödung der Massen im Kapitalismus (»The coma is endless an deep«) und den Stumpfsinn und die Barbarei des Krieges (»Children are pawns / For generals to play with and kill«) anprangern. Mitte der 80er wurde diese musikalische Subkultur, der die Öffentlichkeit zumeist mit Ignoranz und Unverständnis begegnete, als jugendverderbender Schund eingestuft. Heute gilt die Gruppe Kreator wohl als das, was die Medien gemeinhin eine »Institution« nennen.
Nun kommt eine solide Dokumentation, die die Band auf Tournee und im Tonstudio begleitet, in ausgewählte Kinos. Man kennt die Rituale: Ankunft am Flughafen, Fahrt im Tourbus, Autogrammstunde, Dressing Room, Backstage, Proben, Konzert. In einer Szene beobachtet die Kamera den erst vor wenigen Jahren zur Gruppe gestoßenen Bassisten dabei, wie er sich vor dem Konzert die Zähne putzt: »Ich denke, ich schulde das den Leuten in der ersten Reihe. Es ist ein bisschen, als ginge man zu einem Date.«
Hie und da werden, sparsam und in irritierend kurz gehaltenen Rückblenden, auch alte Fotos und grobkörniges Video- und Archivmaterial verwendet, das Reil und Petrozza in jungen Jahren zeigt. Vereinzelt kommen ehemalige Mitstreiter, Fans und Kollegen (Bela B. von den Ärzten, Scott Ian von Anthrax) zu Wort. Der Gitarrist Scott Ian etwa erinnert sich daran, was er empfand, als er erstmals die Musik von Kreator hörte: »Es klang, als ob ein Schlagzeug die Treppe runterfällt. Aber ich meine das im positiven Sinn.«
Der sympathisch wirkende Petrozza sagt: »Schon in Kindertagen habe ich ein Gefühl dafür bekommen, dass Musik etwas Wichtiges ist.« Seine Eltern hätten immer Adriano Celentano und anderen Pop der 70er Jahre gehört. Er selbst sei in seiner Jugend obendrein Messdiener gewesen. Man habe auch einmal ein satanisches Ritual ausprobiert, weil das seinerzeit unter Jugendlichen so üblich gewesen sei. Das habe aber nicht funktioniert: »Satan kam dann nicht.«
Zu einer Band, aus der am Ende Kreator werden sollte, habe man sich schließlich »aus Langeweile« zusammengefunden. Was vermutlich nicht der schlechteste Grund ist, eine Band zu gründen. Reil und Petrozza waren damals Jugendliche. In einer Szene zeigt Jürgen Reil das Klassenzimmer der Schule, in dem 1983 ihr erstes Konzert stattgefunden hat. 1986, als gerade die ersten zwei Alben vorlagen, wurde Kreator von der kanadischen Metal-Band Voivod eingeladen, mit ihr eine Club-Tour durch die USA zu unternehmen. Da waren Petrozza und Reil gerade mal 19 Jahre alt und wohnten noch zu Hause bei ihren Eltern. Sie hatten kein Auto, kein Telefon, haben noch nie in einem Flugzeug gesessen. »Wie so eine Mutter, die ihre Kinder zur Schule schickt« und sie ermahnt, ihr Pausenbrot nicht zu vergessen, sei er sich vorgekommen, teilt der damalige Manager mit.
Anfangs sei ihre Musik missverstanden worden als eine Art Todeskultmusik, sagt Petrozza. Dabei sei die »Metal-Kultur« tatsächlich eine »Auseinandersetzung mit der Vielschichtigkeit des menschlichen Daseins«. Und dessen Konstante sei nun mal der Tod. Wobei der Sänger und Gitarrist – einmal sehen wir ihn im Film über das Gelände der NS-Gedenkstätte Buchenwald gehen – auch betont, dass er sich zeitlebens als Antifaschist begriffen hat. »Ich verstehe die Frustration im Land, aber ich verstehe nicht, warum man menschenverachtende rechte Parteien wählen muss. Die werden immer schamloser, und dem muss man sich entgegenstellen«, mahnt Petrozza. Bereits Anfang der 90er Jahre, in den sogenannten Baseballschläger-Jahren, als sich in den östlichen Bundesländern ungehindert eine rechtsextreme Jugendkultur formieren konnte, trugen die Bandmitglieder, wenn sie dort Konzerte gaben, Anti-Nazi-Shirts auf der Bühne. Ein Fan erklärt, wie wichtig das damals gewesen ist: »Das war ein Signal: Dass du als Antifaschist auch zur Metal-Szene gehörst.«
Petrozza scheint Wert auf einen gesunden Lebensstil zu legen. Seit 17 Jahren, sagt er, ernähre er sich vegan. Und er macht Krafttraining und Yoga, wie er einem Kollegen mitteilt. Am Anfang des Films sieht man ihn in einer Art vegetarischem Edelrestaurant sitzen und ein Glas alkoholfreien Rosé bestellen. Dämonisch ist daran gar nichts. Das einzige Grauenvolle an der Szene ist der unvermeidliche Lars Eidinger. Der sitzt nämlich mit am Tisch, direkt neben Petrozza. Aber keine Sorge: Die Szene ist sehr kurz.
»Kreator – Hope & Hate«: Deutschland 2025, Regie: Cordula Kablitz-Post. 114 Minuten, Start: 4. September
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