Oasis in Manchester: Ein Konzert wie ein klarer Heimsieg


Imago / Mike Gray / Avalon
Wer solche Fans hat, kommt leicht ins Schwärmen. Und so versteht man die Gallagher-Brüder, wenn sie das Konzert vom Freitag in ihrer Heimatstadt Manchester als historisch oder gar «biblical» empfanden. Die rund 80 000 Anwesenden im Heaton Park, wo der Auftritt stattfand, sangen jeden der 23 Songs mit.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Aber schon vor dem Konzert brachen im Zentrum Manchesters immer wieder spontane, meist schön-schiefe Gesänge aus. In den Pubs dominierten Playlists der stilbildenden Britpop-Band. Die Fahrt im Tram zum Heaton Park erwies sich dann als gigantische Chorprobe. In der Nähe der Victoria Station borgte ein Polizist einem Landsmann sein Megafon, damit dieser mit «Wonderwall» alle andern übertönte.
Der Glaube ist zurückDer Auftritt von Oasis fühlte sich an wie ein Champions-League-Finale, bei dem alle angereisten Fans schon vorher wissen, dass ihr Team gewinnen wird. Dabei ist das bei der turbulenten Geschichte von Oasis eigentlich keine Selbstverständlichkeit. Die Brüder Liam und Noel Gallagher haben sich in den Jahren vor ihrer vorübergehenden Auflösung ja hinter und auf der Bühne immer wieder gestritten.
Und sie gaben oft erschreckend lustlose Konzerte zu mittelmässigen Alben wie «Heathen Chemistry». Ihr Auftritt am Glastonbury Festivals 2004 gilt bei den Fans als absoluter Tiefpunkt. Liam vergass damals stellenweise Texte, sprach kaum ein Wort zum Publikum, verliess die Bühne, ohne sich zu verabschieden. Auch ihr letztes Open-Air-Konzert im Heaton Park 2009 wurde zum Desaster – allerdings wegen mehrmaliger Stromausfälle.
Nun aber singen sie wieder, die beiden Brüder, auch bedeutungsvolle Titel wie «Don’t Look Back in Anger». Halten sie sich an dieses Motto, könnte ihnen die derzeitige Comeback-Tour, wie in der Branche spekuliert wird, jeweils 50 bis 100 Millionen Pfund einbringen.
Der erste von fünf Manchester-Abenden am Freitag war ein Konzert für die Geschichtsbücher. Gem Archer (Gitarre), Paul «Bonehead» Arthurs (Gitarre), Joey Waronker (Schlagzeug) und die Gallaghers spielten souverän ein perfekt abgeschmecktes Greatest-Hits-Set. Viele Emotionen zeigen Oasis nie auf der Bühne, aber Liam Gallagher ist derzeit stimmlich voll auf der Höhne. Und auch Noel Gallagher hat eine vokale Kraft, die seine Stimme bis in die letzte Reihe trägt – zum Beispiel in «The Masterplan», der besten B-Seite der Bandgeschichte.
Am Konzert zeigte sich, wie gross und hymnisch Oasis-Songs geworden sind: Das gilt nicht nur für Klassiker wie «Live Forever», «Don’t Look Back in Anger», «Champagne Supernova», «Supersonic» «Wonderwall», «Rock’n’Roll Star», sondern auch für einige weniger bekannte Titel und «Spätzünder».
Zum Beispiel das treibende «Acquiesce», das 1995 als B-Seite von «Some Might Say» veröffentlicht wurde. Der Song birgt Zeilen, die zur Oasis-Reunion passen. Während Liam die erste Strophe singt, übernimmt Noel den Chorus mit den Worten: «Because we need each other / We believe in one another.» Er hat einst zwar behauptet, das Lied handele von Freundschaft und nicht von Brüdern. Dennoch versteht man das nun als Motto des Comebacks.
Comeback dank FansEs hat aber ganze fünfzehn Jahre gedauert, bis sich die Gallaghers zusammenrauften und ganz im Sinne ihrer Fans einen Frieden schlossen. Die Freude und Euphorie der Fans war es nun auch, die das Konzert zu einer eigentlichen Feier machte. Selbst die Bierduschen, die man in den vorderen Reihen immer wieder hat über sich ergehen lassen müssen, fühlten sich irgendwie selig an.
Symptomatisch für die gute Stimmung war etwa jene Gruppe junger Isländer, die ihr Glück nicht fassen konnten: Endlich erlebten sie jene Band, von der die älteren Geschwister und selbst die Eltern immer geschwärmt hätten; und tatsächlich zeuge Oasis für den guten Musikgeschmack der älteren Verwandten.
Man sah auch junge Frauen auf den Schultern ihrer Boyfriends, die mit vollem vokalen Einsatz das Gerücht widerlegten, wonach Oasis eine Band bloss für Männer über vierzig sei. Allerdings waren ältere, weisse Mannen, das muss man zugeben, schon in der Überzahl. So schwitzte man neben wildfremden Buddies aus verschiedenen Ländern, die sich am Ende singend in den Armen lagen. Und man erlebte zusammen den harten Comedown, als nach «Champagne Supernova» und einem grossen Feuerwerk plötzlich alles vorbei war.
Manchester bleibt noch gut eine Woche im Banne der Britpop-Party, bevor das Comeback die Gallaghers nach London führen wird. Wer sich trotz den horrenden Preisen eines der längst ausverkauften Tickets in Manchester ergattert hat und zu «Supersonic» in der Bierdusche stand, wird diesen Abend niemals vergessen. Liam verteilte dem Publikum zuletzt noch Noten – es habe eine «10 von 10» verdient, meinte er. Und man weiss ja, dass er kein Schleimer ist.
nzz.ch