Feucht, warm und gemütlich: Warum ich Regenwetter so sehr liebe

Die vergangenen Jahre wurden auch in der Hauptstadt immer heißer und trockener. Wir Berliner haben gelernt, uns anzupassen: Wir wässern an tropisch heißen Tagen die Straßenbäume vorm Haus, wir lassen tagsüber die Rollläden unten; wer kann, hält mittags Siesta. Eisläden schießen wie Pilze aus dem Boden, Strand- und Freibäder sind gut besucht.
Der Klimawandel mit seinen Kindern Starkregen, Trockenheit und Hitze hat auch das Berliner Abgeordnetenhaus zu der Einsicht geführt, Regenwasser nicht mehr wie bisher schnellstmöglich von Flächen abzuleiten und wie Abwasser zu entsorgen, sondern so gut wie möglich als Ressource zu nutzen. Senat, Wasserbetriebe und die im Hitzesommer 2018 gegründete Regenwasseragentur führen Berlin auf den Weg zur „Schwammstadt“.
Was mich betrifft, so habe ich gelernt, Regen zu lieben. Vor allem Sommerregen: wenn an einem heißen Nachmittag von fern der Donner herangrollt, Vögel im Tiefflug nach Insekten jagen und sich mit den ersten Tropfen auf dem warmen Asphalt ein ganz spezieller Duft verbreitet. Dieser Duft hat sogar einen Namen: Petrichor. Seit 1965 nennt man ihn so, als zwei australische Forscher das Phänomen in der Zeitschrift Nature erstmals beschrieben – das Wort setzt sich zusammen aus altgriechisch pétros (Stein) und ichór (Götterblut). Ich liebe diesen Geruch – und nicht nur ich: Petrichor scheint fast jeden glücklich zu machen. Weil er uns an Sommerferien, an warme Tage und Müßiggang erinnert?
Zwei Hauptzutaten bestimmen den Geruch des Sommerregens: Die eine Zutat ist ein Öl, das Pflanzen absondern, wenn es trocken ist. Bei Trockenheit wird dieses Öl von Staubpartikeln aufgesaugt. Treffen Regentropfen auf Erde, Stein oder Asphalt, bilden sich auf der Oberfläche kleine Bläschen. Die Bläschen steigen auf und platzen, wodurch sie aromatische Aerosole freisetzen. Einen Geruch.
Die andere Hauptzutat ist eine organische Verbindung namens Geosmin. Dieses wird von Mikroben gebildet, unter anderem von Bakterien der Gattung Streptomyces: Sie setzen es insbesondere dann frei, wenn sie sterben. Davon angelockt werden winzige Arthropoden, Springschwänze, die vor allem in Humusschichten und Laub leben. Sie können Geosmin mit ihren Antennen aufspüren und verspeisen die Bakterien. Diese bilden vor ihrem Ende zur eigenen Vermehrung Sporen, die dann wiederum von den Springschwänzen verbreitet werden. Der Duft von Regen sagt also den Springschwänzen: „Komm zu mir, es ist super hier. Es ist feucht, warm und gemütlich.“ So beschrieb es die Duftexpertin Sissel Tolaas in der Berliner Zeitung.
Uns Menschen zeigt Petrichor, dass überall in Berlin, sogar im Straßenbelag, Leben ist – und das, was wir riechen, nichts anderes ist als der Kreislauf des Lebens und Sterbens, Fressens und Gefressenwerdens.
Die Wissenschaft kennt übrigens sogar einen Begriff für Menschen, die ein besonderes Vergnügen dabei empfinden, Regen zu betrachten, zu riechen oder auf der Haut zu spüren. Er lautet „pluviophil“, zusammengesetzt aus dem lateinischen pluvia (Regen) und dem griechischen philos (liebend). Einer internationalen Studie zufolge, die im Fachjournal „PNAS“ erschienen ist, wirkt der sanfte, monotone Klang von Regen entspannend auf die Psyche und verbessert die Konzentration.
Und der Götterduft Petrichor macht uns glücklich. Woran das liegt? Dazu gibt es verschiedene Theorien: Manche meinen, dass Geosmin wie ein Antidepressivum wirkt, andere wiederum sind sich sicher, dass es die negativ geladenen Ionen sind, die mit den Tropfen vom Himmel fallen. Vielleicht ist es aber auch – wie bei mir – einfach die pure Mitfreude, die man mit den durstigen Pflanzen empfindet.
Schon die erhöhte Luftfeuchtigkeit vor dem beginnenden Regen genügt übrigens, um Petrichor zu erzeugen – wir können also wirklich riechen, dass es bald regnen wird. Zumindest im Sommer.
Berliner-zeitung