Mit wem Europa künftig handeln könnte – wenn Trumps USA ausfallen

Für Europas Unternehmen ist die Welt kleiner geworden. Zuerst die Spannungen mit China, dann die Sanktionen gegen Russland und nun drohende Zölle in den USA - es werden zusätzliche Exportmärkte und Rohstofflieferanten gesucht. „Es gibt noch viel Luft für weitere Handelsabkommen“, sagt Klemens Kober, Handelsexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Brüssel. „Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist das auf jeden Fall die richtige Antwort auf den zunehmenden Protektionismus der USA.“
In der Vergangenheit war das Interesse an einem Bündnis im Ausland meist größer als in der EU, der Binnenmarkt mit mehr als 400 Millionen Menschen lockte. Jetzt beobachtet Kober einen Wandel: „In der EU hat ein Umdenken stattgefunden. Sie bewegt sich auf die Märkte zu.“ Jüngst hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sogar eine Verbindung mit dem pazifischen Bündnis CPTPP ins Spiel gebracht, dem sich auch Großbritannien anschließen will.
„In den aktuellen krisenhaften Entwicklungen liegen auch Chancen, weil der Handlungsdruck steigt“, sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Wir brauchen Abkommen mit den dynamisch wachsenden Staaten im indo-pazifischen Raum, also etwa Indien, Indonesien, Thailand und natürlich auch Malaysia.“ Das sei angesichts des US-Protektionismus und unfairer Wettbewerbspolitik durch China im Interesse beider Seiten.
Auf dem Papier ist die EU wohl die Königin der Handelsverträge: 42 Abkommen mit 74 beteiligten Ländern hat sie schon geschlossen. Das decke allerdings nur knapp die Hälfte des europäischen Außenhandels ab, sagt DIHK-Experte Kober. Der größere Teil des Geschäfts leidet also weiter unter Handelshemmnissen wie Zöllen, unterschiedlichen technischen Standards und bürokratischen Prozeduren. Das bremst vor allem die deutsche Wirtschaft als drittgrößten Exporteur der Welt. Gleichzeitig müsse auch die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen gesichert werden, mahnt IW-Experte Matthes: „So schreckt China nicht davor zurück, Europa massiv mit Exportbeschränkungen bei Seltenen Erden unter Druck zu setzen.“ Auch deshalb müssten Handelsrisiken verringert werden.
Größter Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft ist das EU-Abkommen mit Mercosur. Über Jahrzehnte wurde mit dem Bündnis von fünf südamerikanischen Staaten verhandelt, und seit Ende vergangenen Jahres gibt es auch eine Einigung. Die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente steht aber noch aus, und vor allem in Frankreich ist es wegen des Widerstands der dortigen Bauern eine Zitterpartie. „Die Wirtschaft wartet auf die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens“, sagt Kober.
Einen Durchbruch hat die EU gerade in den Verhandlungen mit Indonesien vermeldet, einem Staat mit mehr als 280 Millionen Einwohnern und vielen Rohstoffen. Im Herbst könnte der Vertrag geschlossen werden. „Das Abkommen eröffnet europäischen Unternehmen neue Möglichkeiten, ihre Handelsbeziehungen zu diversifizieren und damit ihre geopolitische Resilienz zu stärken“, sagt Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA, in dem sich die Maschinenbauer zusammengeschlossen haben.
In Arbeit ist auch ein Abkommen mit Indien, einem ebenso wachsstumsstarken wie protektionistischen Land mit drei Mal so vielen Einwohnern wie die USA. Schon ohne Abkommen seien die deutschen Ausfuhren dorthin zwischen 2019 und 2024 von 11 Milliarden Euro auf 16 Milliarden Euro gestiegen, sagt Matthes. „Wenn jetzt noch ein Freihandelsabkommen dazu kommt, dann werden die Exportwachstumsraten noch viel höher ausfallen.“
Mehrere Verhandlungen hat Brüssel nach langer Pause wiederbelebt. Mit Malaysia, den Philippinen und Thailand werde wieder geredet, sagt Kober, das fast fertige Abkommen mit Australien soll nach einer Unterbrechung nun doch zu Ende gebracht werden. Mit Großbritannien laufen Gespräche über eine Vereinfachung des Handels unter Brexit-Bedingungen. Zunehmend sucht Brüssel Fortschritte ohne das ganz große Freihandelspaket. „Neben umfassenden Abkommen werden zielgerichtete Handelsverträge gerade im Rohstoffbereich immer wichtiger“, sagt Kober.
Die EU ging bisher stets mit großen Ambitionen in Handelsgespräche und verband sie oft mit allgemeinpolitischen Themen, zum Beispiel zu nachhaltiger Produktion. Doch das ging vielen potenziellen Partnern zu weit. Mittlerweile hat Brüssel seine Ansprüche heruntergeschraubt und klammert heikle Themen notfalls aus. In den Gesprächen mit Indonesien etwa habe die EU offenbar „Kritikpunkte etwa wegen Entwaldung bei der Palmöl-Erzeugung wohl nicht mehr so stark und oberlehrerhaft ganz an die Spitze ihrer Forderungsliste gestellt“.
Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen üben denn auch heftige Kritik. Mehr als hundert Organisationen weltweit, darunter Attac, Brot für die Welt und Misereor, haben gegen das Cepa-Abkommen mit Indonesien protestiert. Doch Matthes plädiert angesichts der Lage für Pragmatismus: Europa sollte mit allen zusammenarbeiten, die in geopolitischen Konflikten „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit neutral bleiben“. „Es geht darum, dass wir auch bei einer Verschärfung der geopolitischen Lage mit diesen Ländern immer noch Handel treiben können – nicht mehr und nicht weniger.“
rnd