Europäische Union | Clean, aber wenig sozial
»Die europäische Industrie steht vor enormen Herausforderungen«, erklärte der niederländische konservative Abgeordnete Tom Berendsen zur Abstimmung über eine Resolution des Europaparlaments zum Clean Industrial Deal der EU-Kommission. »Die Abwanderung von Industrieunternehmen aus Europa ist keine Drohung mehr, sie ist Realität«, unterstrich das für die Resolution zuständige Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Darum sei das Vorhaben der Kommission, die europäische Industrie mit Blick auf die ökologische Transformation zu fördern, ein wichtiger Schritt. »Doch die Zeit läuft uns davon«, mahnte er. In den folgenden Beratungen zwischen Parlament, Kommission und Rat wird auch die Resolution einfließen und so den endgültigen Clean Industrial Deal mitprägen.
Mit dem Programm für eine saubere Industrie, das die Behörde im Februar vorgestellt hatte, sollen umweltfreundliche Technologien gefördert werden, zugleich soll die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Sektoren gestärkt werden. Geplant sind dazu unter anderem Strompreissenkungen und ein Ausbau der grenzüberschreitenden Energieinfrastruktur. Zudem soll durch öffentliche Investitionen etwa über eine neue Bank zur Dekarbonisierung der Industrie die Nachfrage nach emissionsarmen Produkten erhöht und die Kreislaufwirtschaft, der Zugang zu kritischen Rohstoffen sowie die Qualifizierung von Fachkräften für hiesige Unternehmen verbessert werden.
Die Resolution wurde mit 381 Ja-Stimmen bei 173 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen angenommen. Während die Linke und die nationalistischen bis extrem rechten Fraktionen aus gegensätzlichen Gründen die Resolution ablehnten, stimmten Liberale, Konservative, Sozialdemokraten und Grüne mit einigen Enthaltungen zu. Es bedürfe einer Industriepolitik, »die Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit miteinander verbindet«, betonte etwa der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss. Dafür sei saubere Technologie eine große Chance. Auf Initiative der Grünen sei darum die Forderung nach einem Aktionsplan aufgenommen worden, der Investitionen in eine nachhaltige Batterieproduktion, erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Elektrifizierung vorsieht. Dazu bedarf es auch einer stärkeren Integration des europäischen Marktes, indem Netzbetreiber und die Kommission den grenzüberschreitenden Stromhandel fördern. Derzeit behindern die fragmentierte Regulierungsaufsicht und Investitionsplanung die Integration.
Die Umweltorganisation WWF bewertet den Beschluss des Parlaments als positives Signal, etwa mit Blick auf das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) und die schrittweise Abschaffung kostenloser Zertifikate im Rahmen des Emissionshandelssystems (ETS). »So kann ein CO2-Preis entstehen, der eine Lenkungswirkung entfaltet und die Umstellung auf eine klimafreundliche Produktion anreizt«, erklärte Viviane Raddatz, Klimaexpertin beim WWF. Auch die Errichtung einer Bank zur gezielten Finanzierung klimafreundlicher Technologien sei ein richtiger Schritt, zeigte sich Raddatz überzeugt. Doch die Investitionen müssten zeitnah in nachhaltige Technologien fließen. Dazu müssten klare Vorgaben zur Dekarbonisierung der Industrie festgelegt werden, die derzeit aber ebenso fehlten wie konkrete Treibhausgas-Grenzwerte und Mindest-Recyclinganteile.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) bewertet die Resolution hingegen kritisch. Er bemängelt, dass keine sozialen Standards an die Förderungen geknüpft werden, wie die Achtung von Tarifverhandlungen oder Mitbestimmungsrechten von Beschäftigten und Gewerkschaften. »Öffentliche Gelder dürfen keine Blankoschecks für Unternehmen sein«, betonte EGB-Generalsekretärin Esther Lynch. »Soziale Auflagen sind kein bürokratischer Zusatz, sondern das Rückgrat eines gerechteren Europas. Es ist an der Zeit, dass die EU-Institutionen und die nationalen Regierungen ihren Worten durch soziale Konditionalitäten verbindliche Taten folgen lassen.«
Ähnlich äußerte sich die EU-Linke, der die Maßnahmen nicht weit genug gehen. »Mit dem Clean Industrial Deal werden Maßnahmen zur Vermeidung des Klimawandels zunehmend verwässert«, kritisierte die Fraktion in einer Stellungnahme. Das Kommissionspaket sieht den Abbau von Berichtspflichten und eine Beschleunigung der Fördermaßnahmen für Projekte vor, um kleine und mittlere Betriebe zu entlasten. Dadurch würden Subventionen und öffentlich finanzierte Investitionsanreize für Unternehmen geschaffen, ohne dass sie an soziale Standards geknüpft werden. Das gefährde die soziale Transformation, ohne die die ökologische Transformation nicht denkbar sei. »Der ohnehin schwache Vorschlag der Kommission wird durch die Resolution noch weiter in die falsche Richtung getrieben«, bemängelte der dänische Linke-Abgeordnete Per Clausen.
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