Abkühlung in Russland: Experten sehen Rezessionsgefahr

Wenn es etwas gibt, das der Westen nach dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine falsch eingeschätzt hat, dann war das die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft gegen westliche Sanktionen.
Experten rechnen dies zum großen Teil der Kompetenz der Entscheiderinnen und Entscheider an den Schalthebeln der russischen Wirtschaft und des dortigen Finanzwesens an. Doch nun ist unter diesem Teil der russischen Nomenklatura eine Meinungsverschiedenheit über die aktuelle Lage der russischen Wirtschaft öffentlich ausgebrochen: „Die Zahlen deuten auf eine Abkühlung hin“, sagte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow beim Internationalen Wirtschafsforum in Sankt Petersburg am Wochenende in Bezug auf das russische Wirtschaftswachstum.
Das klang zunächst sogar nach einer einigermaßen guten Nachricht. Denn das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 2,5 Prozent, das vom russischen Wirtschaftsministerium für 2025 erwartet wird, gilt als zu hoch. Es beinhaltet nach allgemeiner Einschätzung die Gefahr einer Überhitzung mit Inflationsgefahren.

Russlands Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow spricht von einer Rezession
Quelle: IMAGO/Russian Look
Doch dann setzte Reschetnikow fort: „Alle unsere Zahlen sind wie ein Rückspiegel. Nach den derzeitigen Stimmungsindikatoren der Unternehmen stehen wir, so scheint es mir, bereits am Rande einer Rezession“, fügte er laut der RBK Mediengruppe hinzu.
Maxim Reschetnikow, Russlands Wirtschaftsminister
Der russische Wirtschaftsminister nannte insbesondere den hohen Leitzins, den die Russische Nationalbank Anfang Juni nur geringfügig von 21 auf 20 Prozent gesenkt hatte, als ein Hemmnis für das Wachstum, das Investitionen blockiere. Die russischen Unternehmen beklagen seit Monaten, dass die hohen Kreditkosten die Investitionstätigkeit behindern und zu einer Zunahme der Insolvenzen beitragen, sagte Reschetnikow. Putin selbst ließ Warnungen vor einer Rezession nicht gelten: „Stagnation oder sogar Rezession darf auf keinen Fall zugelassen werden“, sagte der Kreml-Chef auf dem Forum. Es klang wie ein Befehl.

Gäste in St. Petersburg: Russlands Präsident Putin (li.) mit Sky News Arabia-Geschäftsführer Nadim Koteich (vorne) und Bahrains Nationaler Sicherheitsberater Scheich Nasser bin Hamad Al Khalifa.
Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Gegensatz zum Wirtschaftsminister zeigten sich auch Finanzminister Anton Siluanow und die Gouverneurin der Zentralbank, Elvira Nabiullina, optimistischer, was die Verfassung der russischen Wirtschaft angeht. Sie bezeichneten die russische Ökonomie als sich „abkühlend“ oder „sich von der Überhitzung erholend“, wobei sie für 2025 ein bescheidenes positives BIP-Wachstum von 1,4 bis 2,5 Prozent prognostizierten. Letztere Einschätzung wird auch von der Weltbank geteilt, die von einem Plus der russischen Wirtschaft von 1,6 Prozent für 2025 prognostiziert.
Doch stellen diese als grundlegend angesehenen Wohlstandsindikatoren tatsächlich ein gesundes Wirtschaftswachstum dar?
Das wird von Beobachtern inzwischen bezweifelt: „In den vergangenen zwei Jahren ist Russlands Wirtschaft wie ein Marathonläufer auf fiskalischen Dopingmitteln gelaufen – und jetzt lässt die Wirkung dieses Dopings nach“, sagt Alexandra Prokopenko, Fellow bei der Denkfabrik Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin schon im vergangenen Winter.
Was die frühere Mitarbeiterin der russischen Zentralbank unter „fiskalischen Anabolika“ versteht, sind die enormen Militärausgaben, die der russische Staat seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine tätigt. Der veranschlagte Verteidigungshaushalt soll für 2025 bei 13,5 Billionen Rubel (127,4 Milliarden Euro) liegen. Und der Kreml-Chef kündigte am Wochenende an, dass die russische Rüstungsindustrie weiter ausgebaut werden soll. Russland müsse allerdings wegkommen von einer Unterteilung zwischen zivilen und reinen Rüstungsfirmen, sagte Putin.
Inzwischen machen die Militärausgaben Russlands zwischen 7 und 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus - ein Rekord in der postsowjetischen Geschichte des Landes. Im letzten Haushalt vor der Invasion im Fiskaljahr 2021 hatten die Ausgaben für die Truppe noch bei 3,6 Prozent des BIPs gelegen.
Die Einkommen der Menschen in Russland steigen deswegen – und das birgt Risiken – die russische Wirtschaft droht zu überhitzen. Denn die Kauflust der Verbraucher treibt die Preise in die Höhe. Nach offiziellen Angaben liegt die Inflationsrate derzeit bei etwa 10 Prozent.
Allein deswegen kann die russische Zentralbank fast gar nicht anders als den Leitzins auf einem Rekordniveau von 20 Prozent lassen. Aber wenn sie es tut, tritt ein, wovor Wirtschaftsminister Reschetnikow warnt: die Investitionen bleiben aus. Wenn die Zentralbank die Leitzinsen aber senkt, um die Wirtschaft anzukurbeln, droht die russische Wirtschaft aufgrund der Kriegs-induzierten Staatsausgaben weiterhin zu überhitzen. Es ist ein Dilemma - und beide Seiten beide recht haben.
rnd