Brüssel gibt Deutschland grünes Licht für das Schuldenpaket


Die EU-Kommission hat der Bundesregierung grünes Licht für deren Schuldenpaket gegeben. Das berichtet das in Düsseldorf erscheinende «Handelsblatt». An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett den Finanzplan für die Jahre 2025 bis 2029 beschlossen, der dem Schuldenpaket zugrunde liegt.
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Damit hat das Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur, für das die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD mithilfe der Grünen vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags die Verfassung geändert hatten, die letzte Hürde genommen.
Der im vergangenen Jahr reformierte Stabilitätspakt der EU sieht vor, dass Mitgliedstaaten ein Einvernehmen mit der Brüsseler Kommission über die weitere Entwicklung ihrer Staatsfinanzen herstellen müssen, wenn ihre Staatsschulden die im Maastrichter Vertrag festgelegte Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) überschreiten.
Optimistische WachstumsannahmeBei den Verhandlungen mit Brüssel geht es darum, einen Pfad für die künftige Entwicklung der Staatsausgaben festzulegen, der gewährleistet, dass die Schuldenobergrenze mittelfristig wieder erreicht wird. Länder mit Staatsschulden von mehr als 90 Prozent des BIP müssen ihre Schuldenquote pro Jahr um einen Prozentpunkt senken, Länder mit einer Schuldenquote zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozent. In Deutschland liegt die Schuldenquote derzeit bei rund 63 Prozent.
In den nächsten Jahren dürfte die Quote wegen der höheren kreditfinanzierten Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur allerdings kräftig steigen. Die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) rechnen mit einem Anstieg auf 75 Prozent bis 2029.
Die Einigung zwischen der EU-Kommission und der Bundesregierung gründet auf optimistischen Annahmen über das künftige Wachstum der deutschen Wirtschaft. So gehen Brüssel und Berlin laut «Handelsblatt» davon aus, dass die deutsche Wirtschaft bei normaler Auslastung ihrer Kapazitäten bis zum Ende der Legislaturperiode im Schnitt um 0,9 Prozent pro Jahr wächst.
Finanzpolitischer Spielraum für Krisen schrumpftDie Bundesregierung macht bei der Einigung von der Ausnahmeklausel des Stabilitätspakts für Verteidigungsausgaben Gebrauch. Gemäss dieser Klausel werden Verteidigungsausgaben von bis zu 1,5 Prozent des BIP für vier Jahre nicht auf die Fiskalregeln und den vereinbarten Ausgabenpfad angerechnet.
Ökonomen kritisierten die Einigung zwischen Berlin und Brüssel. Mit Blick auf die deutlich sinkende Arbeitsbevölkerung und die kaum noch steigende Produktivität erscheine das unterstellte Potenzialwachstum von 0,9 Prozent «sehr ambitioniert», sagt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Krämer rechnet für die nächsten Jahre allenfalls mit einem Potenzialwachstum von 0,4 Prozent. Die EU-Mitgliedsstaaten hätten den Stabilitäts- und Wachstumspakt über die Jahre zu einem vollkommen stumpfen Schwert gemacht, sagt er. «Insofern wundere ich mich nicht, dass sich die EU mit Deutschland auf einen Schuldenplan geeinigt hat», so Krämer.
Stefan Kooths, der Konjunkturchef des IfW, kritisiert, durch das Herausrechnen von Teilen der Militärausgaben torpediere die EU die stabilitätspolitische Logik der Fiskalregeln. Diese sollen sicherstellen, dass die Länder auch in Krisen über genügend fiskalischen Spielraum verfügen und dadurch das Vertrauen der Anleger bewahren. Die Einigung stelle dies infrage. «Die Akteure an den Finanzmärkten werden bei kritischen Schuldenquoten kaum weniger nervös, wenn dem höhere Militärausgaben gegenüberstehen, zumal von diesen kaum potenzialstärkende Effekte ausgehen dürften», sagt der IfW-Konjunkturchef.
Gefahr für die Bonität DeutschlandsFriedrich Heinemann, Finanzexperte am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sieht in dem Schuldendeal ein Risiko für die Bonität Deutschlands. Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen werde hoch bleiben oder könne sogar weiter steigen, so warnt er.
Deutschland werde die Märkte demnächst mit Staatsanleihen fluten. «Damit sinkt die Attraktivität deutscher Staatsanleihen gegenüber denen Südeuropas», so Heinemann. Der Renditeabstand Deutschlands zu den Staatsanleihen Italiens sei seit Jahresbeginn deutlich geschrumpft. Dänemark zahle für seine Staatsanleihen inzwischen sogar etwas geringere Zinsen als Deutschland. «Es gibt inzwischen Länder in Europa mit höherer Bonität als Deutschland», sagt Heinemann.
Das könnte zum Risiko für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) werden. «Wenn der Inflationsdruck wieder steigen sollte und sogar Deutschland unter stark steigenden Zinskosten ächzt, dann kann es für die EZB schwer werden, die Preisstabilität zu priorisieren», sagt Heinemann.
Der ZEW-Ökonom gibt jedoch zu bedenken, dass es in Sachen Verteidigungsfähigkeit derzeit auf ein glaubwürdiges Signal nach Moskau ankomme und dass dem grössten verbliebenen Ukraine-Verbündeten Deutschland fiskalisch keine bindenden Grenzen gesetzt seien. Das sei auch für die Verhandlungen mit Washington im Zollstreit hilfreich. «Im geopolitischen Kontext ist die Einigung daher gut verständlich und vertretbar», sagt Heinemann.
nzz.ch