Tour de France | Frankreich feiert seine Radsport-Königin Pauline Ferrand-Prevot
Frankreich hat wieder eine Königin. Keine Marie Antoinette, die den Volkszorn oder gar die Guillotine fürchten muss. Im Gegenteil, Pauline I., mit bürgerlichem Namen Pauline Ferrand-Prevot, ist die groß gefeierte Radsportkönigin. Zum gekrönten Haupt machte sie eine Titelseite der Sportzeitung »L’Équipe« – nachdem die 33-jährige Rückkehrerin in den Straßenradsport auf den Kehren hoch zum Col de la Madeleine alle Konkurrentinnen um den Gesamtsieg bei der Tour de France abgehängt hatte.
Traum und AlbtraumTags darauf legte sie in den Alpen nach und gewann am Sonntagabend im Gelben Trikot auch noch die Etappe dieser Frankreich-Rundfahrt. »Ich wollte unbedingt diesen Sieg in Gelb. Ich habe das am Morgen auch im Bus gesagt«, erzählte sie später.
Der Weg zur Traumerfüllung führte zunächst aber über einen Albtraum. Ferrand-Prevot gehörte im ersten Drittel der Schlussetappe zu einer Gruppe abgehängter Fahrerinnen, als sich das Peloton aufgrund zahlreicher Attacken teilte. »Danach hat mich mein Team aber gut zurückgebracht«, lobte sie ihre Visma-Equipe. »Dann habe ich aufgepasst, immer vorn im Peloton zu sein«, sagte sie. Und ihre Form im Finale war dann so prächtig, dass sie eine Attacke der zweitplatzierten Niederländerin Demi Vollering nicht nur locker parierte, sondern danach eine eigene mit dem Tagessieg vollendete. »Jetzt bin ich einfach glücklich, auf diese Art gewonnen zu haben«, meinte sie.
Gigantin in GelbAus der Königin wurde eine Gigantin – als solche zierte sie das Titelblatt der »L’Équipe« am Montag. Und tatsächlich ist dieser Sieg von Ferrand-Prevot für die Grande Nation ein gigantischer Erfolg. 1986 gewann als letzter Franzose Bernard Hinault eine Tour de France, von 1987 bis 1989 holte seine Landsfrau Jeannie Longo den Gesamtsieg bei den Frauen. Damals war das Rennen fast doppelt so lang, 15 Etappen statt neun wie heute. Es war auch zeitlich und von der Strecke her ans Rennen der Männer gekoppelt. Veränderungen beim Tourorganisator Aso führten dann aber zur Einstellung des Frauenrennens.
Seit 2022 gibt es die Tour de France Femmes wieder als Etappenrennen, jedes Jahr mit einer neuen Siegerin. 2022 war es Altmeisterin Annemiek van Vleuthen, im Jahr darauf Vollering. Die galt als eine, die eine Ära bei der Tour begründen könnte. 2024 wurde sie aber um vier Sekunden von der Polin Kasia Niewiadoma bezwungen. Und auch diesmal war Vollering »nur« Zweite. Sie machte unter anderem die Folgen ihrer Sturzverletzung von der dritten Etappe dafür verantwortlich, ihr Leistungsvermögen nicht komplett ausgeschöpft zu haben. Vollering gab aber auch einen taktischen Fehler bei ihrer letzten Attacke am letzten Berg zu: »Das war die beste Vorbereitung für Pauline«, meinte sie und fügte hinzu: »Wenn man es nicht probiert, weiß man auch nicht, ob es gelingt.«
Erfolgreiche RückkehrVorjahressiegerin Niewiadoma war hingegen zufrieden. Am Sonnabend habe sie am Col de la Madeleine ihre mit Abstand beste Bergleistung der Karriere geboten, meinte sie nach einem Blick auf ihre Leistungsdaten. Vollering holte auf den letzten Metern noch 22 Sekunden auf sie heraus und verwies sie auf Rang drei.
Ferrand-Prevot hatte ihre beide Vorgängerinnen auf dem Tour-Thron auf der Königinnen-Etappe um mehr als drei Minuten distanziert. Das war angesichts ihrer Vorleistungen an langen Bergen nicht zu erwarten, schließlich war die Mountainbike-Olympiasiegerin von Paris auch erst zu Beginn dieser Saison in den Straßenradsport zurückgekehrt. Die Spanien-Rundfahrt hatte sie im Mai wegen Erschöpfung noch vorzeitig aufgegeben. Dass sie aber Druck auf die Pedale ausüben kann, wusste man spätestens seit ihrem Sieg beim Frühjahrsklassiker Paris–Roubaix.
Neue RekordeGeholfen hat offenbar das Höhentrainingslager vor der Tour. »Sie hat dort unheimlich hart gearbeitet«, lobte der Sportliche Leiter Jos van Emden die Einstellung seiner Spitzenfahrerin. »Ich habe in diesem Jahr sehr viele Entbehrungen auf mich genommen. Und hier bei der Tour sagte ich mir dann: Das darf doch nicht umsonst gewesen sein«, erzählte Ferrand-Prevot.
Jetzt kann sie feiern. »Ich genieße einfach diesen Moment. Ich weiß auch nicht, was ich sonst machen soll. Und es kann gut sein, dass so etwas nur einmal im Leben geschieht«, meinte sie. Angesichts der vielen verschiedenen Tour-Siegerinnen ist das eine durchaus logische Schlussfolgerung. Zugleich sorgte Ferrand-Prevots Erfolg für zwei neue Rekordmarken. Dank ihrer Leistung ist ihr Visma-Rennstall der erste, der bei Männern und Frauen die Tour gewann; der Däne Jonas Vingegaard hatte vorgelegt. Und Siege bei Paris–Roubaix sowie der Tour in einer Saison gelangen auch nur Heroen wie Hinault und dem überragenden Eddy Merckx. Da ist Ferrand-Prevot also noch besser als der diesjährige Roubaiux-Zweite Tadej Pogačar. Und mit ihren Meriten bei Mountainbike und Gravel ist sie in Sachen Vielseitigkeit sowieso unvergleichlich. Der Radsport der Frauen hat einen neuen Superstar.
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