Superklub aus der Retorte? Der Neom SC aus Saudiarabien lockt Granit Xhaka


Was wird aus dem Fussballer Granit Xhaka? Diese Frage zu stellen, ist dringlicher denn je, denn die Zeit des Leaders in Leverkusen scheint ihrem Ende entgegenzugehen. Wo er landen wird, ist allerdings noch nicht klar. Bei der AC Milan jedenfalls nicht, obwohl sein Vater Ragip Xhaka die Klubs schon so gut wie handelseinig wähnte.
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Nach einer Rekordsaison, in der Leverkusen als einziges deutsches Team im Meisterrennen ungeschlagen blieb, und einem durchwachsenen zweiten Jahr, scheint Xhakas Geduld mit 32 Jahren erschöpft. Unter dem neuen Trainer Erik ten Hag möchte er sich nicht noch einmal daran beteiligen, ein völlig neues Team aufzubauen. Florian Wirtz, Jeremie Frimpong und Jonathan Tah haben Leverkusen bereits verlassen. Und auch auch das Mastermind, der Coach Xabi Alonso, ist weitergezogen.
Xhaka würde Fürstliches entlöhnt erwartenInsofern erscheint der Aufbruch zu neuen Ufern nur konsequent – auch wenn die Familie seiner Frau im Rheinland daheim ist. Erstaunlich allerdings ist, welcher Verein nun in der Pole Position zu sein scheint, wenn es um Xhakas Dienste geht: der saudische Klub Neom Sports Club. Die Saudi locken Xhaka mit einem fürstlichen Gehalt, kolportiert werden 10 Millionen Euro netto. Ausserdem wären sie in der Lage, 20 Millionen Euro Ablösesumme zu stemmen, die Leverkusen für seinen Mittelfeldregisseur erwartet. Die Frage ist bloss: Hat Granit Xhaka eine Vorstellung davon, wie es bei seinem potenziellen Arbeitgeber aussieht?
Denn Unaizah liegt mit seinen 200 000 Einwohnern mitten in der al-Kassim-Provinz, dem konservativen Kernland Saudiarabiens. Hier waren die Leute bis vor kurzem derart reaktionär, dass ihnen selbst das saudische Regime aus den 1980er-Jahren, als Frauen nicht Autofahren durften und Verbrecher öffentlich geköpft wurden, zu liberal erschien.
Doch am 22. April fand hier angeblich eine Fussball-Revolution statt. Denn im örtlichen Kleinstadion zerlegte der Zweitligaklub Neom SC den Lokalverein al-Arabi – und gewann 3:0. Für die Gäste bedeutete der Sieg den Aufstieg in Saudarabiens oberste Spielklasse, in die Saudi Pro League. Fotos von dem denkwürdigen Abend zeigen Spieler und Betreuer, die eine Jubeltraube bilden. Dahinter sind leere Tribünenränge zu sehen. Selbst die Schweizer Challenge League versprüht mehr Glamour.
Der Neom Sports Club ist dem Kronprinzen wichtigAber Neom SC, der siegreiche Gästeklub, ist mehr als bloss ein weiterer Verein, der in Saudiarabiens höchste Liga aufsteigt. Geht es nach Mohammed bin Salman, Saudiarabiens mächtigem Kronprinzen, dann soll die Mannschaft in ein paar Jahren nicht nur in der Saudi Pro League mitmischen – sondern gleich die ganze Welt erobern. Neom SC, so der Plan des ambitionierten Herrschers, soll zu einem Superklub werden, einer Art Manchester City oder Paris Saint-Germain aus der Retorte. Hochgezüchtet in Rekordzeit, mit unendlich viel Geld.
Schon jetzt verfügt der Klub über eine mit 100 Millionen Dollar gefüllte Kasse. In der vergangenen Spielzeit kickten hier Spieler wie Salam al-Faraj oder Ahmed Hegazi, die eigentlich viel zu gut für Saudiarabiens triste zweite Liga sind. Und auf die neue Saison hin hat der Verein nochmals kräftig aufgerüstet: So kam neben dem neuen Trainer Christophe Galtier auch der einstige Lyon- und Arsenal-Starspieler Alexandre Lacazette. Damit ist die Marschrichtung klar: Der Aufsteiger will sofort angreifen. Mit einem Strategen wie Xhaka im Mittelfeld würde diese Aufgabe erheblich aussichtsreicher wirken.
Derartige Mega-Projekte sind im saudischen Fussball nichts Neues. Vor einigen Jahren hat das Königreich damit angefangen, seine einst verschlafene Liga mit Millarden-Investitionen aus dem Staatsfonds in einen Superstar-Zirkus zu verwandeln. Spieler wie Cristiano Ronaldo, Karim Benzema oder Aymeric Laporte wechselten für Phantasiesummen ins Wüstenland. Das Ziel: Saudiarabien sollte innert kürzester Zeit zu einer Fussball-Grossmacht werden – mit einer der besten und spektakulärsten Ligen der Welt.
Das neue Projekt geht indes noch viel weiter. Waren es bisher traditionelle Grossklubs aus Riad oder Dschidda, die in den Genuss von Starspielern kamen, wollen die Saudi mit dem Neom SC nun nicht nur einen völlig neuen Verein aus dem Boden stampfen, sondern gleich auch noch eine ganze Stadt dazu. Denn Neom ist der Name für bin Salmans wohl verrücktestes und gewagtestes Projekt.
Hoch oben im Niemandsland an der Grenze zu Jordanien will der Kronprinz eine Stadt der Zukunft erbauen lassen. Eine Neun-Millionen-Metropole soll dort entstehen, unter anderem mit einem Projekt namens «The Line» – einer schnurgeraden, komprimierten Luxusstadt, die sich wie eine vollverspiegelte Mauer durch die Wüste zieht. Oben auf dem Dach des Riesenwohnblocks planen die Saudi ein Stadion mit 46 000 Plätzen, wo dereinst auch Spiele der Fussball-WM 2034 stattfinden sollen. Es ist die vorgesehene Heimstatt für den Neom SC.
Der Klub spielt zurzeit noch in der ProvinzBisher steht von der mindestens 500 Milliarden Dollar teuren Traumstadt allerdings kaum etwas. Zwar wird im Nordwesten Saudiarabiens gebaut, aber ob das 2017 angekündigte Projekt jemals fertig wird, steht in den Sternen. Immer wieder kam es zu Problemen und Verzögerungen. Mittlerweile soll das Projekt deutlich redimensioniert worden sein, denn Saudiarabien kämpft wegen seiner teuren Grossprojekte mit einem Budget-Defizit und leidet unter dem tiefen Ölpreis.
Ob Neom SC sein geplantes Stadion so rasch beziehen wird, ist deshalb fraglich. Bisher spielt der Klub in Tabuk, einer staubigen Provinzstadt rund 130 Kilometer von Neom entfernt. Er hat dort kurzerhand den Lokalverein al-Suqoor ersetzt, der zuvor jahrzehntelang durch die Niederungen des saudischen Ligasystems getingelt war. Statt in einer hochmodernen Arena treten die Neom-Stars in der kommenden Saison im King-Khaled-Stadion an: einem ältlichen Bau mit 12 000 Plätzen, das eher an einen heruntergekommenen Sportpark erinnert als an die Heimstatt eines Weltklubs.
Sieht so die Zukunft von Granit Xhaka aus?
Mitarbeit: Stefan Osterhaus, Berlin
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