Johan Djourou gibt Herz und Gelassenheit ins Frauen-Nationalteam – er weiss, was eine Heim-EM bedeutet


Gian Ehrenzeller / Keystone
Es war ein heisser Julitag vor einem Jahr, in Deutschland lief gerade die Männer-EM, als Johan Djourou in einem schmucklosen Hotel-Seminarraum in der Agglomeration Zürichs vorgestellt wurde.
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Wobei, wirklich vorgestellt werden musste er natürlich nicht, mit seinen 76 Länderspielen für die Schweiz im Palmarès. Bloss: Was er plötzlich im Umfeld des Frauen-Nationalteams zu tun hatte, mit der schwammigen Bezeichnung «Sportlicher Koordinator des A-Teams», das wollten die Anwesenden schon wissen. Djourou sagte: «Ich bin in einer Position, in der ich nicht nur für das Geld arbeiten muss, sondern auch mit dem Herzen.»
Und wie er den kargen Seminarraum damals mit seiner Präsenz und seiner Warmherzigkeit erfüllte, so füllte er im vergangenen Jahr auch eine Lücke im Konstrukt des Frauen-Nationalteams, das immer noch im Wachsen begriffen ist. Djourou scheint überall präsent zu sein, er schlendert selbst vor wichtigen Spielen mit einer Gelassenheit über den Rasen, als könne ihn nichts erschüttern. Mit seinen 1,91 Metern und seinen Braids sticht er heraus und ist doch harmonischer Teil des Ganzen. Er macht Selfies, nimmt immer wieder jemanden in den Arm, wie ein Sonnenstrahl, der die Menschen in diesem Team erreicht und verbindet und Wärme spendet.
Das empfinden auch die Spielerinnen so. Sydney Schertenleib sagte an einer Pressekonferenz über den 38-Jährigen: «Johan ist da, wenn man mal eine Umarmung braucht. Ich gehe zu ihm, wenn ich positive Energie brauche. Er redet einem Mut zu.» Das war etwa so, als sie im EM-Auftaktspiel nicht von Anfang an spielen durfte. Vor vielen Jahren, als Djourou noch Verteidiger beim FC Arsenal war, sagte er zur NZZ: «Angst war nie Teil meiner Persönlichkeit. Ich bin ein sanfter Mensch, ich mag das Easy-going. Das ist mein Charakter.»
Salvatore Di Nolfi / Keystone
Das Verbinden zwischen Spielerinnen und Staff, das war von Anfang an Djourous Aufgabe. Noch ist der Staff des Frauen-Nationalteams nicht gleich umfangreich wie jener des Männer-Teams. Noch gibt es in der Abteilung Frauenfussball zu viele Aufgaben für zu wenige Personen, doch die EM hat auch der Direktorin Frauenfussball im SFV, Marion Daube, gewisse Möglichkeiten eröffnet. Djourous Rolle sollte organisch wachsen, sagte sie vor einem Jahr. Die Verantwortlichen im Verband spürten, dass der mehrsprachige Genfer eine Bereicherung fürs Team wäre – er war schon als Nationalspieler eine integrative Figur. Deswegen band man ihn an, unbefristet.
Djourou hatte zuvor viele Gespräche geführt, mit Daube, mit dem abtretenden SFV-Präsidenten Dominique Blanc, er ist mit Vincent Cavin befreundet, dem früheren Assistenztrainer der Männer. Als der Trainerposten im A-Team der Frauen vakant war, hatte er einfach einmal seinen Lebenslauf eingeschickt, obwohl ihm dafür die nötigen Lizenzen fehlten. Es ist immer noch eine Seltenheit, wenn sich ein männlicher Ex-Fussballer mit einer internationalen Karriere für den Frauenfussball interessiert, geschweige denn, sich dafür engagiert. Auch Djourou hatte sich erst richtig damit auseinandergesetzt, als die erste seiner drei Töchter aus dem Nichts sagte, sie wolle Fussballerin werden.
Djourou trainierte fortan nicht nur seine Töchter, er übernahm im FC Lancy auch ein Mädchenteam. Und war beeindruckt von der Hingabe, der Lernbegierde und Spielfreude der Kickerinnen. Er sagt, dass die Mentalität bei den Frauen etwas anders sei als bei den Männern; die Sensibilität, man müsse zuhören, verstehen, Geduld haben. Allerdings kam in seinem Nachwuchsteam auch schon eine Spielerin auf ihn zu und forderte ihn auf, strenger zu sein. Djourous eigener Antrieb ist, dass Mädchen dereinst gleich gross vom Fussball träumen können wie er als kleiner Junge damals.
Auch die Legacy gehört zu seinen AufgabenFreilich ist Djourou im Schweizer Nationalteam nicht bloss für die gute Laune zuständig. Er ist ins Training integriert, gibt taktische und technische Inputs, teilt seine Ideen mit dem Trainerteam um Pia Sundhage. Die Verteidigerinnen schätzen seine detaillierten Tipps, in der Garderobe erzählt er von seinen Erfahrungen im Duell mit den weltbesten Spielern. Zu Djourous Aufgaben gehört auch die Legacy der EM 2025, etwa das Impulsprogramm Footura+, das im vergangenen Jahr die Spielerinnen im erweiterten Nationalkader bei der optimalen Vorbereitung unterstützte.
Ausserdem hat Djourou die Erfahrung einer Heim-EM selber gemacht. Beim Männerturnier 2008 war er dabei, mittendrin, seine Familie auf der Tribüne, er sog die Atmosphäre auf – spielte aber nicht. «Endrunden haben immer Schlüsselmomente. Es kann in die eine wie die andere Richtung gehen. Das kann ich vermitteln», sagte er in einem Video-Call unmittelbar vor der EM, auch dort zugänglich, einnehmend. «Man spielt oder spielt nicht, das ist nicht einfach. Freude und Enttäuschung sind oft nahe beieinander. Da werden Dinge fürs Leben eingraviert.» Selbst eine heute 18-Jährige werde so etwas wohl kein zweites Mal mehr erleben.
Djourou hat die Gelassenheit auch, weil in seiner Karriere nicht alles reibungslos gelaufen ist. Zu oft plagten ihn Verletzungen, zum Ende seiner Laufbahn hin wechselte er mehrmals die Teams. «Ich habe lange Fussball gespielt, da erlebst du Gutes und weniger Gutes. Hinterher relativiert sich vieles, pendelt sich ein», sagt er. «Die Leute haben die Tendenz zu denken: Man muss immer gewinnen, schon vor der EM. Aber das geht nicht. An der EM verliert jedes Team ausser eines.»
Mindestens noch einmal läuft Djourou an der Heim-EM über den Rasen. Schenkt Umarmungen und Erfahrungen. «Tous ensemble – für eine Sache. Wo gibt es das sonst?»
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