Und dann steht da noch Hazel Brugger


Hazel Brugger nimmt die Fäuste unter die Achseln und beginnt zu flattern. Im ersten Halbfinal des ESC am Dienstagabend sind in der Basler St.-Jakobs-Halle die ersten Sängerinnen und Sänger aufgetreten, als sich die Komikerin auf der riesigen Bühne unbeholfen zum «Ententanz» bewegt. Die berühmte Melodie wurde von einem Schweizer Musiklehrer komponiert und ist nun Teil der Zwischenunterhaltung für das ESC-Publikum.
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Hazel Brugger ist derzeit eine der erfolgreichsten Frauen der deutschsprachigen Comedy-Szene. Auf kleinen Bühnen in der Schweiz gestartet, bespielt sie heute mit ihrem Soloprogramm Bühnen in ganz Deutschland, produziert erfolgreiche Podcasts, tritt im deutschen Fernsehen auf. Brugger ist für ihren bösen, trockenen Humor bekannt. Sie steht meist in Sneakers, Jeans und T-Shirt auf der Bühne, macht politische Satire und Witze über Alltägliches.
Der ESC ist der grösste Musikwettbewerb der Welt. Er ist extravagant, schrill, fröhlich, will unbedingt unpolitisch sein. Zudem sind Bruggers Co-Moderatorinnen Sandra Studer und Michele Hunziker etablierte Grössen im Showbusiness. Studer in der Schweiz, Hunziker in Italien.
Hazel Brugger und der ESC passen auf den ersten Blick so gar nicht zusammen. Oder etwa doch?
Der schnelle AufstiegHazel Brugger ist 1993 in den USA zur Welt gekommen und in Dielsdorf im Kanton Zürich aufgewachsen. Als junge Erwachsene behauptet sie sich in der Poetry-Slam-Szene, die sich in der Schweiz ab den zehner Jahren entwickelt. Kurze Texte, mal poetisch, mal witzig, werden vor Publikum vorgetragen. Hazel Bruggers Texte kommen besonders gut an, 2013 gewinnt sie die Schweizer Meisterschaften.
Danach sagte sie: «Wenn man eine Schiene gewählt hat, darf man nicht am Schluss entgleisen und weich werden.» Brugger konzentrierte sich bald nur noch auf ihre Bühnenkarriere, ihr Studium in Philosophie und Literatur an der Universität Zürich brach sie ab.
Die Schweizer Poetry-Slam-Szene hat bekannte Künstlerinnen und Künstler hervorgebracht: Gabriel Vetter, Lara Stoll, Dominik Muheim, Lisa Christ. Doch Brugger wurde erfolgreicher als sie alle. Sie war erfrischend mutig, direkt und böse. Sie habe damit wohl ein Vakuum gefüllt, sagte sie, von dem andere nicht gewusst hätten, dass es existiere.
Ihr Vater sagte einmal, dass Hazel bereits mit zwei Jahren für ihr Alter sehr wortgewandt gewesen sei. Sie selbst sagte, dass sie schon immer gemerkt habe, dass ihr Hirn etwas anders funktioniere als andere. Was sie damit meint, zeigt Brugger vor allem dann, wenn sie improvisiert: Sie ist unglaublich direkt, schlau und schnell. Die Pointen sitzen – und berühren das Gegenüber oft auch peinlich. Die NZZ schrieb 2016 in einem Porträt: «Als Slam-Poetin macht sie alles und jeden nieder, und gerade darum lieben wir sie.»
Die Schweiz wurde Brugger bald zu klein. Über ihren Umzug nach Deutschland sagte sie im Jahr 2019 der NZZaS, die Schweizer Kulturlandschaft sei bequem. Es gebe keinen Grund, Risiken einzugehen, weil dank der Kulturförderung immer für einen gesorgt sei. «Ich bin nach Deutschland gezogen, weil ich wieder Angst haben wollte. Da waren alles fremde Leute, die mich nicht sehen wollten.»
Doch die Angst war ihr kaum anzumerken, und die Deutschen waren von ihrer unverschämten Art angetan.
2016 wurde Brugger Aussenreporterin in der Satiresendung «Heute-Show» des ZDF. Legendär ist ihr Interview mit dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier am Internationalen Tag der Frau. Altmaier wollte eine Frage Bruggers mit einer Phrase abfertigen. Brugger retournierte: «Wenn die Worte ‹alt› und ‹Eier› auch in meinem Namen vorkämen, könnte ich auch eine so schwurbelige Antwort geben.» Dann blickte sie ihn an, lächelte und streichelte ihm über die Schulter. Erst dann stutzte Altmaier und fragte: Sie haben «alt» und «Eier» gesagt?
2017 gewann Brugger den Salzburger Stier, den renommiertesten Kleinkunstpreis im deutschen Sprachraum. 2020 gewann sie den Deutschen Comedypreis als beste Komikerin. 2024 kam der deutsche Kleinkunstpreis für die beste Stand-up-Comedy dazu. Dieses Jahr tourt sie mit ihrem vierten Bühnenprogramm, «Immer noch wach», durch Deutschland, die Schweiz und Österreich.
Seit 2020 ist Brugger mit dem deutschen Komiker Thomas Spitzer verheiratet, hat zwei Kinder, ist aufs Land gezogen. In ihrem Programm witzelt sie nun über das Muttersein, mit ihrem Partner spricht sie in Podcasts über ihr Ehe- und Familienleben. In den sozialen Netzwerken berichtetet sie von ihrem Ärger beim Hausbau. Auf ihrer Website verkauft sie T-Shirts mit der Aufschrift «Mutti ist kaputti». Von den Medien musste sich Brugger deshalb auch Kritik anhören: Ihr Podcast mit dem Ehemann sei bieder. Aus der aufmüpfigen, frechen jungen Frau sei ein bürgerlicher Bünzli geworden.
Brugger sagt dazu, ihr sei wegen der Bekanntheit die wichtigste Inspirationsquelle abhandengekommen. Sie könne nicht mehr so leicht in einem Tram sitzen und die Menschen beobachten. Nun sei sie es, die beobachtet werde. Deshalb drehten sich ihre Witze nun mehr um ihr eigenes Leben.
Improvisieren statt scriptenHazel Brugger wurde beliebt für ihre spontanen, improvisierten und bösen Sprüche. Und nun steht sie auf der ESC-Bühne, moderiert eine durchorganisierte Show, in der fast alles vorgeschrieben wird und immer alle sehr, sehr nett miteinander sein müssen.
Am Dienstag jedenfalls merkte man ihr an, dass sie sich in dieser neuen Rolle noch nicht ganz wohlfühlt. Bei den Ansprachen stand sie eher steif neben einer lockeren Sandra Studer, sprach ihre Sätze monoton und auswendig gelernt in die Kamera. Auch ihre Witze wirkten einstudiert, erwartbar, brav.
Brugger sagte einmal, sie wolle alles wissen, können, machen. Sie habe vielseitige Interessen, sei sehr ehrgeizig und wolle sich selbst beweisen, was noch möglich sei. Die Schweiz wurde für Hazel Brugger dabei schnell zu klein. Doch ist der ESC für Hazel Brugger nun zu gross?
Michelle Hunziker bringt als Moderatorin im Final am Samstag Prominenz und Glamour auf die Bühne. Sandra Studer ist eine ausgewiesene ESC-Expertin und ein sicherer Schweizer Wert. Hazel Brugger ist neben den beiden die Junge, Unerfahrene. Die anderen beiden brächten viel mehr mit, sagte Brugger über ihre Kolleginnen. Sie selbst habe nur den Humor.
Doch mit ihrem schnellen Mundwerk und ihrem Improvisationstalent könnte Brugger mit dem Erwartbaren brechen, unter dem ein Grossanlass wie der ESC leidet. Unklar ist, wie viele Freiheiten sie von den Produzenten dafür erhalten hat. Oder ob sie sich überhaupt traut, vom Drehbuch abzuweichen.
Immerhin: Je länger der Halbfinal am Dienstagabend dauerte, desto gelöster wurde Brugger. Vor der Punktevergabe setzte sie sich zu den Künstlern auf die Sofas, zog Grimassen mit ihrer Zunge und machte sich über einen Sicherheitsmann lustig, der ein ernstes Gesicht machte. Es war vielleicht noch nicht die Hazel Brugger in Höchstform. Aber ein Halbfinal und der Final stehen ja noch bevor.
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