Gaming zieht auch vorm Fernseher

Uwe Boll genießt das, was man Kultstatus nennt. Seit seinem Filmdebüt vor 34 Jahren hat er annähernd 50 Werke gedreht. Fachleute würden dem Großteil zwar ein abfälliges „Mach“ voranstellen. Millionen Fans in aller Welt jedoch halten seine B-Movies von „Bloodrayne“ über „Far Cry“ bis „Zombie Massacre“ für Meisterwerke des trashigen Irrsinns. Allein schon, weil sie alle etwas gemeinsam haben: sie basieren auf Videospielen. Und nicht nur diese drei.
Seit er das Sega-Duell „House of the Dead“ 2003 fürs Kino adaptierte, hat Boll rund ein Dutzend Games zu Filmen gemacht. Und jeder davon hat zwar seinen Ruf als schlechtester Regisseur seit dem Grusel-Dilettanten Ed Wood verfestigt. Dennoch darf sich der Workoholic aus Wermelskirchen als Trendsetter bezeichnen. Denn womit er vor mehr als 20 Jahren begann, ist längst globaler Standard.
Seit Beginn der Pandemie, als sich das Leben ins Wohnzimmer zurückzog, füllen sich besonders Streamingdienste mit Videospielversionen. Bei Netflix gingen in loser Folge „Arcane“ und „The Witcher“, „Cyberpunk: Edgerunners“ und „Castlevenia: Nocturne“ animiert oder verkörpert online. Paramount+ hat die Xbox-Dystopie „Halo“ zur SciFi-Serie aufgeblasen und Peacock die ulkige Sony-Raserei „Twisted Metal“. Das alles ist aber noch gar nichts gegen den globalen Click-Milliardär: „The Last of Us“.
Als HBO die Pilz-Apokalypse Anfang 2023 für kolportierte zehn Millionen Dollar pro Folge von der Playstation ins Pay-TV holte und von dort weiter zu Sky, war nur das Serienfinale von „Game of Thrones“ erfolgreicher. Spätestens seit damals, betont Pierre Puget, CEO der Berliner BRAINS Narrative Studios, „müssen Game-Producer die Filmverwertung schon in der Entwicklung automatisch mitdenken und umgekehrt“. Das betriebswirtschaftliche, aber auch soziokulturelle Zauberwort lautet „Multichanneling“.
So wie George Lucas Ende der 70er das Merchandising zur organischen Querfinanzierung seiner „Star Wars“ aufblähte, werden Rollenspiele mit Endzeitcharakter heute so früh auf Zweitverwertung gepolt, dass sie einer Erstverwertung gleichen. Vom PC-Bestseller „Fallout“ der kalifornischen Black Isle Studios bis zur gleichnamigen Prime-Serie von 2024 mussten daher noch annähernd drei Jahrzehnte an Joysticks und Tastaturen ins postapokalyptische Land ziehen.
Pierre Puget,
Drehbuchautor
Wenn Zocker-Träume künftig reihenweise zum Binge-Watching animieren, sind televisionäre Spin-Offs hingegen oftmals schon beim Programmieren eingepreist. Zunächst aber arbeiten zahlungskräftige Studios noch den Bestand auf. Netflix allein hat mit „Gears of War“ und „Horizon Zero Dawn“, „Assassin’s Creed“ oder „Clash of Clans“ ein halbes Dutzend Film- und Serienadaptionen in der Pipeline. Schließlich ist deren Entwicklung dank existierender Stoffe und Figuren betriebswirtschaftlich ungeheuer effizient. Entscheidender sind allerdings ihre Zielgruppen.
Voriges Jahr haben fast dreieinhalb Milliarden Menschen, die regelmäßig zocken, der zugehörigen Industrie 187 Milliarden Dollar Umsatz – das Sechsfache aller Kinos auf Erden – beschert. Bei Wachstumsraten von fünf Prozent wären die Kontrahenten der Streaming Wars also schlecht beraten, das Potenzial ungenutzt zu lassen. Denn so kritisch Gamer Verfilmungen ihrer meist heiß geliebten Spiele auch sehen: schon bevor sie online gehen, wirkt Community-driven-Marketing bei TikTok, Discord, Reddit als Anschubfinanzierung viraler PR, die selbst das Werbebudget globaler Entertainer wie Amazon buchstäblich spielend sprengen.
Wobei es keinesfalls rein ökonomische Faktoren sind, die Games für Streaming und Fernsehen attraktiv machen. Ihre Qualität wächst im Gleichlaufschritt mit ihrer Verbreitung. Und zwar sprunghaft. „Kaum eine Fiktion kann es heute mit Storytelling, Kreativität, Reichweite erfolgreiche Spiele aufnehmen“, weiß Pierre Puget aus seiner Expertise beider Sphären. Allerdings gehe es dabei „nicht um Wettbewerb, sondern die beste Story“. Womit wir bei „Directive 8020“ wären.
Wenn Supermassive Games kommenden Herbst den Überlebenskampf aus der „Dark Pictures Anthology“ für PS5 und PC herausbringen, wird es von einer parallel geplanten Animationsserie kaum zu unterscheiden sein – so lebensecht sind Charaktere und Kulissen, Motion Capture und Cinematics. Welch ein Unterschied zu den Anfängen des Plattformwechsels. Als die Nintendo-Legende „Super Mario“ 1993 mit Bob Hoskins als Klempner und Musik von Roxette für damals fürstliche 50 Millionen Dollar verfilmt wurde, war das Echo gerade unter Konsolen-Fans vernichtend.
Auch Prügelorgien wie Jean-Claude van Dammes „Street Fighter“ waren kurz darauf eher unfreiwillig komisch als inhaltlich überzeugend. Mit Bernd Eichingers Zombie-Gemetzel „Resident Evil“ und Angelina Jolie als „Lara Croft“ wurden die Realfilmspiele Anfang des 21. Jahrhunderts zwar akzeptabler, aber kaum besser. Sein Monopol auf Game-Verfilmungen mit Fremdschamfaktor war Uwe Boll offenbar los – dafür zielten Formatwechsel vom Jump-and-Run-Kobold „Sonic“ bis zum unverfilmbaren „Tetris“ viel zu durchschaubar auf billige PR.

Das Spiel "Call of Duty", das dieser Screenshot zeigt, soll rund 700 Millionen Dollar gekostet haben.
Quelle: Dpa
Das änderte sich erst mit dem Niveau der interaktiven Originale. Im AAA genannten Segment ausgefeilter Multiplayer-Welten entwickeln mitunter 200 Experten Spiele, die wie „Call of Duty“ schon mal kolportierte 700 Millionen Dollar kosten. „Grand Theft Auto VI“ soll sogar die Milliarden-Marke geknackt haben – mehr als die Rekordhalter auf Leinwand („Piraten der Karibik“) und Fernseher („Ringe der Macht“) zusammen. Dass beide trotz intensiver Bemühungen noch nicht verfilmt wurden, spricht für die Marktmacht der Games-Industrie.
Anders als Literaturverfilmungen oder die wachsende Zahl Adaptionen populärer Graphic Novels haben Videospiele schließlich „diverse Copyrights und Lizenzen“, wie die Medienanwältin Renate Schmidt Anfang Juni beim Branchentreff „Seriencamp“ in Köln erklärte. Spin-Offs erfordern nicht nur juristische Prüfungen und gute Vertragsverhandlungen, sondern „transmediale Strategien“, um die gigantischen Investments aller Beteiligten zu rechtfertigen. Und das können mitunter ganz schön viele sein.
Mit „Secret Level“ hat Prime Video eine Anthology-Serie im Angebot, die sage und schreibe 15 Spiele reanimiert, darunter Evergreens wie „Pac Man“ oder „Dungeons & Dragons“. Schon kurz nach dem Start der erste Staffel Mitte Dezember hat Amazon die zweite verkündet – kurz, bevor Pedro Pascal in die zweite Runde „Last of Us“ ging. Auch „Fallout“ wird demnächst fortgesetzt. Natürlich. Gaming zieht eben. Nicht nur interaktiv am Rechner, sondern passiv vorm Fernseher. Nur für Uwe Boll wird das alles unerschwinglich. Schade eigentlich.
rnd