Der Stand der Europäischen HTA-Regulation

Wesentliche Ziele der Europäischen HTA-Regulation zum Health Technology Assessment (EU HTAR), die sowohl Arzneimittel als auch Medizinprodukte umfasst, beinhalten die Beschleunigung des europaweiten Zugangs zu innovativen Arzneimitteln und Medizinprodukten, die Verstetigung der europäischen Zusammenarbeit beim Health Technology Assessment (HTA) und die Reduktion des Aufwandes für die pharmazeutischen Unternehmer.1
Die EU HTAR wurde im Dezember 2021 verabschiedet und trat Anfang Januar 2022 in Kraft. Die Implementierung der EU HTAR differenziert sich in mehrere Phasen:
Zur Vorbereitung wurden von 2022 bis 2024 in sogenannten Durchführungsrechtsakten (Implementing Acts) und Leitfäden wesentliche strukturelle, prozedurale und methodische Grundlagen festgelegt.
Ab Januar 2025 erfolgt die Ein- bzw. Durchführung von Joint Scientific Consultations (JSC) und Joint Scientific Assessments (JCA). Dies erfolgt bei den JCA schrittweise, sodass zunächst Verfahren zu Onkologika und Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs) im Vordergrund stehen. Ab 2028 erweitert sich der Fokus auf alle Orphan Drugs und ab 2030 werden alle neu auf zentraler Ebene zugelassenen Arzneimittel erfasst. Joint Scientific Consultations (JSC) können in zwei Bewerbungszeiträumen ab Februar 2025 beantragt werden.
Die europäischen JCA-Verfahren umfassen nur das gemeinsame klinische ‚Assessment‘; die Bewertung des Zusatznutzens (Appraisal) erfolgt nach wie vor auf nationaler Ebene.
Die Einführung des europäischen HTA-Verfahrens bei den Medizinprodukten und in vitro Diagnostika (IVD) erfolgt zeitversetzt ab 2026.
Die EU-HTA-Leitungsstruktur ist in Abbildung 1 dargestellt. Der Gesamtprozess wird koordiniert seitens der durch die Mitgliedstaaten etablierten Koordinierungsgruppe bzw. der vier zugehörigen Subgruppen: dabei wurde jeweils eine Subgruppe für die Entwicklung methodischer und verfahrenstechnischer Leitfäden (‚Methodological and procedural guidance‘), für die Durchführung der JCA, für die Durchführung der JSC sowie für die Ermittlung neu entstehender Gesundheitstechnologien (‚Horizon scanning‘) eingesetzt.
Dabei obliegt dem G-BA, gemeinsam mit der spanischen Agentur Agencia Española de Medicamentos y Productos Sanitarios (AEMPS), die Leitung der JSC-Subgruppe. Das IQWiG ist, gemeinsam mit der portugiesischen Agentur Autoridade Nacional do Medicamento e Produtos de Saúde (INFARMED), für die Leitung der Methodik Subgruppe zuständig. Die Europäische Kommission stellt administrative und technische Unterstützung zur Verfügung. Eine IT-Plattform mit ausdifferenzierten Zugangsbereichen bietet die Grundlage für die Zusammenarbeit. Das Netzwerk aus Interessenverbänden und Sachverständigen (‚Stakeholder Network‘) unterstützt die Umsetzung der EU HTAR. Zu seinen Mitgliedern gehören Patientenverbände, Verbände von Entwicklern von Gesundheitstechnologien, Organisationen von Angehörigen der Gesundheitsberufe und andere Nichtregierungsorganisationen aus dem Gesundheitsbereich.
Wichtige Informationsquellen zum Stand der Implementierung der Verordnung stellen die Webseite der Europäischen Kommission2, das Arbeitsprogramm der Koordinierungsgruppe3 und der Umsetzungsplan (‚Implementation Rolling Plan‘)4 dar.
Joint Scientific Consultation (JSC)Details zum JSC-Verfahren sind in mehreren Durchführungsrechtsakten sowie in Leitfäden zum Prozess, zur Auswahl von Gesundheitstechnologien und zur Auswahl der zuständigen (Co-)Assessoren festgelegt. Zudem wurden seitens der Koordinierungsgruppe bzw. der zuständigen Subgruppe eine Vielzahl an Dokumentenvorlagen fertiggestellt, die als Vorlage für die erforderlichen Einreichungen und das Ergebnisdokument zur Verfügung stehen.
Im Jahr 2025 sind maximal 10 JSC-Verfahren geplant (5 bis 7 für Arzneimittel und 1 bis 3 für Medizinprodukte). Hierfür stehen zwei Bewerbungszeiträume (3. Februar bis 3. März; bzw. 2. bis 30. Juni) zur Verfügung. Eingehende Bewerbungen werden einem schrittweisen Auswahlprozess seitens der JSC-Subgruppe unterzogen:
Abbildung 1: Der Gesamtprozess des Health Technology Assessments (EU HTAR) wird koordiniert seitens der durch die Mitgliedstaaten etablierten Koordinierungsgruppe bzw. der vier zugehörigen Subgruppen.
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Prüfung der Zulässigkeitskriterien lt. EU HTAR wie z. B. Entwicklungsstand der Gesundheitstechnologie bzw. Ausrichtung auf ein avisiertes JCA-Verfahren;
Prüfung der Auswahlkriterien laut EU HTAR wie ungedeckter medizinischer Bedarf, erstes Produkt einer neuen Produktkategorie; mögliche Auswirkungen auf Patienten, öffentliche Gesundheit oder Gesundheitssysteme, etc.;
Abstimmung mit dem aktuellen Arbeitsprogramm.
Für die kommenden Jahre ist eine signifikante Erhöhung der Beratungskapazitäten avisiert. Zudem ist 2028 im Rahmen der Evaluation der EU HTAR die Überprüfung der Einführung eines Gebührenmechanismus vorgesehen.
Abbildung 2: Details zum JSC-Verfahren sind in mehreren Durchführungsrechtsakten sowie in Leitfäden zum Prozess, zur Auswahl von Gesundheitstechnologien und zur Auswahl der zuständigen (Co-)Assessoren festgelegt worden.
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Inhaltliche Fragen, die im Rahmen des JSC behandelt werden, können das PICO-Schema (Patientenpopulation, Intervention, Komparator, Studienendpunkte), Austausch zu Post Licensing Evidence Generation (PLEG) im Rahmen der frühen Beratung oder auch Fragestellungen mit Bezug auf gesundheitsökonomisches Assessment umfassen. Letzteres Themenfeld stellt eine freiwillige Zusammenarbeit im Rahmen der Verordnung dar und diesbezügliche Fragen werden nur von den Mitgliedstaaten beantwortet, die national regelhaft ein gesundheitsökonomisches Assessment durchführen. Der Verfahrensablauf ist aus Abbildung 2 ersichtlich.
Joint Clinical Assessment (JCA)Zur Durchführung der JCA-Verfahren wurden mehrere relevante Durchführungsrechtsakte, sowie Leitfäden u.a. zum Prozessablauf, zur Auswahl der (Co-)Assessoren, zur Evidenzaufbereitung, zu Studienendpunkten, zu statistischen Fragen wie Multiplizität, Subgruppenbildung, post hoc-Analysen, zur Validität von klinischen Studiendesigns sowie zum Umgang mit den Vorlagen etc. erarbeitet. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem sogenannten ‚Scoping‘, der Bestimmung des Bewertungsumfangs, zu. Gemäß Artikel 8, Abs. 6 der EU HTAR1 muss der Bewertungsumfang inklusiv sein und den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Parameter sowie auf die vorzulegenden Informationen, Daten, Analysen und sonstigen Nachweisen entsprechen. Diese Anforderungen werden mithilfe des PICO-Schemas operationalisiert. Schematisch ist dies in Abbildung 3 dargestellt.
Zu Beginn erfolgt dabei eine Abfrage der Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Bewertungsumfanges, welche auf den eingereichten Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers (pU) basiert und durch einen PICO-Vorschlag der Assessoren unterstützt wird. Die von den Mitgliedstaaten eingereichten PICOs werden anschließend in einem aufwändigen Prozess konsolidiert und dem pU kommuniziert. Im Dossier des pU sind die Daten entsprechend der konsolidierten PICO-Schemata aufzubereiten. Auf EU-Ebene werden die Ergebnisse zu allen geforderten PICO-Schemata einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen. Die weiterführenden nationalen Prozesse basieren auf den für ihre Belange relevanten im europäischen Dossier dargestellten Daten und Analysen und können durch spezifische Anforderungen auf nationaler Ebene ergänzt werden.
In drei publizierten Übungsverfahren der JCA-Subgruppe wurde die Bestimmung des Bewertungsumfanges simuliert. Dabei ergaben sich 7 bis 13 erforderliche PICO-Schemata für die gewählten Indikationsgebiete.5
Abbildung 3: Zu Beginn des JCA erfolgt eine Abfrage der Anforderungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Bewertungsumfanges. Die von den Mitgliedstaaten eingereichten PICOs werden anschließend in einem aufwändigen Prozess konsolidiert und dem pU kommuniziert.
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Am 8. März 2025 trat die erste Verordnung zur Änderung der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung in Kraft.6 An mehreren Stellen wird dabei auf die EU HTAR Bezug genommen:
Paragraf 7, Abs. 1 spezifiziert das EU-Dossier, den JCA-Bericht (im Falle des Vorliegens), und andere Informationen auf der IT-Plattform als wichtige Grundlagen für nationale Nutzenbewertung.
Paragraf 7, Abs. 4 konkretisiert die Möglichkeit, dass der JCA-Bericht zu Beginn des AMNOG-Verfahrens noch nicht vorliegt. Dabei soll ein nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Dossiereinreichung auf nationaler Ebene vorliegender JCA-Bericht durch den G-BA zur Anhörung gestellt werden.
Paragraf 9, Abs. 3 beinhaltet Anforderungen an den G-BA hinsichtlich der Veröffentlichung des EU-Dossiers sowie an den pU hinsichtlich der Übermittlung des EU-Dossiers, wenn dies zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Nutzenbewertung noch nicht öffentlich zugänglich auf europäischer Ebene zur Verfügung steht.
Zusammenfassend ist hervorzuheben, dass die Verabschiedung aller Leitfäden und Dokumentenvorlagen entsprechend dem Arbeitsprogramm gelungen ist. Die ersten JCA- bzw. JSC-Verfahren sind bereits angelaufen. Die Kapazitäten für die Verfahren werden durch die Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt und die aktuellen Verfahren wurden bereits von verschiedenen europäischen Agenturen in den (Co-)Assessor Rollen übernommen. Die grundlegende Funktionalität der IT-Plattform ist gegeben und die Finanzierung erfolgt auf Basis des kürzlich unterzeichneten Rahmenvertrags (Framework contract, FWC).7
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1 Regulation (EU) 2021/2282 of the European Parliament and of the Council of 15 December 2021 on health technology assessment and amending Directive 2011/24/EU. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32021R2282 [Zugriff: 28.5.2025]
2 https://health.ec.europa.eu/health-technology-assessment_en [Zugriff: 28.5.2025]
3 https://health.ec.europa.eu/document/download/9f1d2ac8-3515-4be1-9a29-db3d9ffb5201_en?filename=hta_hatcg_awp_en.pdf [Zugriff: 28.5.2025]
4 https://health.ec.europa.eu/document/download/397b2a2e-1793-48fd-b9f5-7b8f0b05c7dd_en [Zugriff: 28.5.2025]
5 https://health.ec.europa.eu/publications/pico-exercises_en [Zugriff: 28.5.2025]
6 https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2025/75/VO.html [Zugriff: 28.5.2025]
7 https://hadea.ec.europa.eu/news/theory-practice-implementing-eu-health-technology-assessment-regulation-2025-01-22_en#:~:text=On%2021%20January%202025%2C%20HaDEA%20signed%20a%20new,consortium%20of%20HTA%20bodies%20representing%2021%20EU%20countries [Zugriff: 28.5.2025]
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