Die E-Auto-Euphorie ist tot. Lang lebe das E-Auto!

Die Begeisterung für E-Autos ist im Keller - könnte aber bald wieder auflammen, meint unser Autor. Allerdings müssten Anbieter mehr liefern als nur ein Auto mit Strom.
Es war nur eine Frage der Zeit: Die Euphorie rund ums Elektroauto hat in Europa spürbar nachgelassen. Laut der aktuellen „Recharge Elektromobilitäts-Studie 2024“ von Shell denken nur noch 41 Prozent der Europäer ernsthaft über einen Umstieg nach – vor einem Jahr waren es noch 48 Prozent. Die Gründe sind bekannt: zu teuer, zu wenig Ladeinfrastruktur, zu viele Kompromisse im Alltag.
Was in den Vorstandsetagen der OEMs für Nervosität sorgt, ist für Startups und neue Mobilitätsanbieter die vielleicht beste Gelegenheit seit dem Dieselskandal. Denn der Markt ist ja da – er wartet nur auf bessere Angebote.
Die Automobilbranche hat es über Jahre versäumt, das Elektroauto in ein Erlebnis zu verwandeln. Stattdessen wurden Reichweite, Ladezeiten und staatliche Förderungen diskutiert, als ginge es um Rasenmäher. Emotion? Kaum. Convenience? Fehlanzeige. Und die Preisgestaltung? Noch immer dominiert die Idee, dass Käufer sich entweder 45.000 Euro-Autos leisten oder weiter Verbrenner fahren sollen.
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Doch was wäre, wenn wir das Geschäftsmodell einmal anders denken? Was, wenn Mobilität nicht gekauft, sondern genutzt wird – flexibel, geteilt, bezahlbar?
Die Wahrheit ist: Wer heute ein E-Auto fährt, lebt in einem fragmentierten Ökosystem – mit zu vielen Apps, zu wenig Transparenz und zu hohen Preisen. Genau hier liegt die Chance für neue Player, die nicht Hardware verkaufen, sondern Erlebnisse designen. Die nicht Reichweiten versprechen, sondern Alltagsprobleme lösen.
Hier kommen die Startups ins Spiel. Unternehmen wie Finn, Cluno oder ViveLaCar machen längst vor, wie Abo-Modelle das klassische Autoleasing ersetzen. Kein Papierkram, keine Anzahlung, kein Risiko – einfach losfahren. Für eine Generation, die Netflix statt Kabelvertrag kennt, klingt das genau richtig.
Und plötzlich wird das E-Auto wieder attraktiv – nicht trotz, sondern wegen seiner hohen Anschaffungskosten. 300 oder 400 Euro pro Monat zu bezahlen, klingt angenehmer, als einen hohen vierstelligen Betrag als Anzahlung für einen Kredit begleichen zu müssen.
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Hinzu kommen datenbasierte Services, die Ladezeiten optimieren, Strompreise vergleichen oder den Ladevorgang per App smart steuern. Alles Dinge, die sich OEMs bisher bestenfalls halbherzig über Drittanbieter ins Auto holen.
Natürlich: Das löst nicht alle strukturellen Probleme. Die Produktion bleibt teuer, die Netze sind überlastet, die Energiepolitik europäischer Staaten oft widersprüchlich. Aber das bedeutet nicht, dass die Nachfrage weg ist – sie hat sich nur verlagert. Vom Besitz zum Zugang. Von Status zu Nutzen.
Die nächste Mobilitätswelle wird nicht von den etablierten Autoherstellern ausgelöst, sondern von jenen, die Mobilität als Service verstehen. Und wenn Europa will, dass der Umstieg auf das E-Auto nicht endgültig ins Stocken gerät, muss es diesen neuen Ideen den roten Teppich ausrollen – regulatorisch, finanziell und kulturell.
Für die Autohersteller bedeutet dies, dass sie deutlich flexibler werden müssen. Sie müssen vor allem den Handel mehr unterstützen, in dem sie auch kurzfristige Leasing- und Mietangebote ermöglichen. Kunden erstehen heute nicht mehr ein Auto, dass sie jahrelang in die Garage stellen. Die wünschen sich Abwechslung zu einem möglichst geringen Preis.
Denn der Mensch erwartet nicht das perfekte Auto. Er möchte die beste Mobilitätslösung für seinen persönlichen Alltag und Anforderungsprofil. Und dieser Anforderung werden die Hersteller im Moment nicht gerecht. Aber wenn das Auto auch durch den Wandel zur E-Mobilität zu einem Konsumgut wird, dann muss die Industrie reagieren.
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businessinsider