Eine Kreuzfahrt für 70 000 Franken: Die Babyboomer-Generation gibt so viel Geld fürs Reisen aus wie noch nie


Die «Hanseatic Inspiration» ist kein gewöhnliches Kreuzfahrtschiff. Es ist ein Fünf-Sterne-Kreuzer mit Gourmetküche und Poolbar, der gleichzeitig als Abenteuerschiff zur Erkundung entlegener Weltregionen gebaut wurde.
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Wer das nötige Kleingeld hat, kann beim Schweizer Reisebüro Globetrotter die Antarktis-Expedition – exklusive Reise mit dem Zoo Zürich – auf der «Hanseatic Inspiration» buchen. Auf dem Programm stehen unter anderem der Besuch von Königspinguinkolonien und Schlauchbootfahrten zwischen Eisbergen.
Das Unterfangen findet Anfang 2027 statt und bietet 199 Passagieren Platz. Mit an Bord wird auch Severin Dressen sein, der Direktor des Zürcher Zoos.
Die Reise ist noch nicht ausgebucht, aber am schnellsten weg gehen die Junior-Suiten, eine der teuersten Kabinenkategorien. Kostenpunkt für ein Ehepaar: 70 000 Franken für eine 25 Tage lange Luxusexpedition.
Auch der Globetrotter-Chef André Lüthi wird mitfahren. Er sagt, seine Kunden hätten lange für diese Reise gespart und wollten sich etwas Einmaliges gönnen. Die allermeisten von ihnen sind schon älter. «Wir hören immer wieder, dass sie sagen, sie wollten lieber reisen als etwas vererben», sagt Lüthi lachend.
In Sachen Preis und Extravaganz mag die Antarktis-Kreuzfahrt ein Ausreisser sein. Tatsache aber ist, dass Senioren heute so viel und so weit reisen wie nie zuvor. Die Anzahl Buchungen der Zielgruppe 60 plus sei steigend. Diese Zielgruppe sei kaufkräftiger als die der 40- bis 60-Jährigen, teilt Hotelplan mit, der grösste Schweizer Reiseveranstalter.
Der deutsche Reisekonzern Dertour, zu welchem auch Kuoni gehört, schreibt auf Anfrage, dass die 61- bis 79-Jährigen mit Abstand den höchsten Geldbetrag pro Reise ausgäben. Diese Generation würde heute 51 Prozent mehr fürs Reisen liegen lassen als noch vor zehn Jahren.
Fluss-Ferien auf dem MekongDas auf Flussfahrten spezialisierte Reisebüro Thurgau Travel von Daniel Pauli-Kaufmann verzeichnete im vergangenen Jahr ein Umsatzwachstum von 10 Prozent.
«Wir erleben, dass sich viele Gäste in dieser Lebensphase bewusst Zeit für sich und ihre Interessen nehmen – und sich gerne etwas gönnen», sagt Pauli-Kaufmann. Die über 65-Jährigen interessierten sich bei Thurgau Travel denn auch für Kreuzfahrten auf dem Mekong in Laos und Thailand sowie dem Ganges in Indien. Letztgenannte kostet für eine 12-tägige Reise immerhin 6100 Franken pro Person, inklusive Flug in der Economy. Die Business-Klasse kostet zusätzlich.
Augenfällig ist der Kontrast zu den jüngeren Generationen. Zwar wird über alle Alterskategorien hinweg viel gereist. Aber nach dem Post-Corona-Höhenflug spüren die Reisebüros bei jüngeren Touristen Zurückhaltung. Bestenfalls stagnieren die Ausgaben fürs Ferienmachen. Das liegt auch daran, dass die Preise für Flug, Hotel und Restaurants stark gestiegen sind.
Die sogenannte Generation Z – also die 18- bis 25-Jährigen – reduziert ihr Budget gemäss einer deutschen Umfrage sogar drastisch. Zwar ist auch sie oft unterwegs, aber sie ist hochflexibel und bucht am liebsten Schnäppchen. Statt Tausende Franken für eine organisierte Gruppenreise auszugeben, fliegt man zu Randzeiten mit der Billig-Airline und übernachtet in Unterkünften, die auf den Buchungsportalen den grössten Rabatt anbieten.
Während das Geschäft mit den meisten Touristengruppen also kaum noch wächst, hält der Boom bei den Senioren unvermindert an. Sie lassen sich von den hohen Preisen nicht abschrecken.
Die Zeiten, als man sich nach der Pensionierung mit dem Kreuzworträtsel in den Schaukelstuhl zurückgezogen hat, sind also passé. Aber was ist anders mit der heutigen Senioren-Generation? Was sind die Gründe für den Ü-65-Reiseboom?
Anton Schaller, der frühere Chefredaktor der «Tagesschau» auf SRF, ist heute 80-jährig und Geschäftsführer der Plattform Seniorweb, wo es um alle Arten von Altersfragen geht. «Wir suchen immer wieder neue Schreiber für unser Portal. Aber die Leute sagen mir: ‹Die ersten zwei, drei Jahre nach der Pensionierung musst du nicht mit mir rechnen, da bin ich auf Reisen›», sagt er.
Schaller sieht vor allem zwei Gründe für die Reiselust unter seinen Altersgenossen: Gesundheit und Wohlstand. Die Pensionskassenbeiträge seien noch mit einem Umwandlungssatz von 7,2 Prozent verzinst worden. Da sei einiges zusammengekommen.
Ausserdem sei es die erste Generation in der Schweiz, die mehrheitlich in einem Dienstleistungs- statt in einem handwerklichen Beruf gearbeitet habe. Die Körper seien also noch fit. Zudem sei sie bereits im Berufsleben viel herumgekommen und wolle sich das im Ruhestand nicht nehmen lassen.
Heikles MarketingSchaller sagt, dass die Gruppe im sogenannten aktiven Ruhestand immer grösser werde. Diese Lebensphase spannt sich mittlerweile vom 62. bis zum 80. Lebensjahr. Und das seien diejenigen Senioren, die viel reisen würden.
Dabei könne man drei Typen unterscheiden: diejenigen, die sehr organisiert in die Ferien gingen – in Gruppen und mit einem fixen Programm.
Dann diejenigen, die teilweise individuell unterwegs seien. Beispielsweise mit einem Fahrer, der gleichzeitig auch Reiseleiter sei. Solche Arrangements seien zwar sehr teuer, würden aber vermehrt angeboten.
Und zuletzt auch solche, die sich komplett allein durchschlagen. Sie sind den Umgang mit dem Internet gewohnt und wählen Hotel und Route selber – natürlich mit einem gewissen Komfort. Diese, so Schaller, würden immer mehr.
Das bestätigt Katharina Fierz, Dozentin und Mitglied des Schwerpunktes Angewandte Gerontologie AGe+ an der Zürcher Fachhochschule (ZHAW). «Kindheitserinnerungen prägen das Reiseverhalten. Wer heute pensioniert wird, ist in jungen Jahren oft mit dem Rucksack durch Europa getrampt. Entsprechend will man auch im Alter individueller unterwegs sein», sagt sie.
Sie sieht noch einen weiteren Grund dafür, warum das Reisen bei der älteren Generation boomt: «Die Reiseindustrie hat die Senioren entdeckt und spricht sie mit gezielter Werbung an. Das ist eine relativ neue Entwicklung. Inserate mit weisshaarigen Menschen in einer Strandliege gab es vor zwanzig Jahren noch nicht.»
Sicher ist: Der Boom wird nicht so schnell abflachen. Dafür sorgt die Altersstruktur. Die Pensionierungswelle bei den sogenannten Babyboomern, also den geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1950 und 1970, ist in vollem Gang. Jedes Jahr kommen mehr Leute ins AHV-Alter. Und sie wollen das Maximum aus der neu gewonnenen Freizeit herausholen. Der Reisetrend werde deshalb noch eine oder zwei Generationen anhalten, so folgert Katharina Fierz von der ZHAW.
Es ist also nur logisch, dass sich die Tourismusindustrie um diese lukrative Zielgruppe bemüht. Dabei gibt es aber ein paar entscheidende Punkte zu berücksichtigen. So achten die Marketingabteilungen geflissentlich darauf, den Leuten nicht das Gefühl zu geben, dass sie alt sind. Angeboten werden keine Alters-Packages, sondern Aktiv- oder Genussferien. Und auch die Anrede wird angepasst: Die Senioren werden in Broschüren konsequent «golden ager» genannt.
Golden im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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