Aktivrente: Profitieren würden vor allem gut verdienende Büroangestellte

Geht es nach Bundeskanzler Friedrich Merz, soll die sogenannte Aktivrente schon zu Beginn des Jahres 2026 kommen. Nach den Plänen der Koalition dürfen Rentnerinnen und Rentner dann bis zu 2000 Euro im Monat oder 24.000 Euro im Jahr steuerfrei dazuverdienen. Die Regierung will ältere Menschen damit motivieren, länger zu arbeiten - und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Außerdem soll die Aktivrente die Rentenversicherung entlasten, denn Sozialabgaben werden auf das Einkommen weiterhin fällig.
Bei Gewerkschaftern, Arbeitgebern und Wissenschaftlern stoßen die Pläne allerdings auf wenig Zuspruch. „Von diesem Angebot profitieren Menschen mit guten Renten und Arbeitsbedingungen, meist in Bürojobs – oder aber Selbstständige“, kritisiert Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. Damit verstärke die Aktivrente ungleiche Verhältnisse. „Während gut Verdienende im Alter noch von Steuervorteilen profitieren, halten Menschen in körperlich belastender Arbeit oft gar nicht bis zur Rente durch.“
Tatsächlich haben 2024 nur etwa 40 Prozent der neuen Ruheständler bis zum gesetzlichen Rentenalter gearbeitet. Die übrigen gingen schon vorher in den Ruhestand, teils mit erheblichen Abschlägen. Sie hätte man auch mit der Aktivrente nicht im Job halten können, meinen Experten. Denn ihnen geht es nicht ums Geld.
Einige gingen früher in Rente, weil es ihre körperliche und mentale Gesundheit nicht anders zulasse. Andere würden arbeitslos und fänden nichts Neues. Viele seien mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden. Das zeigt eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Laut einer Studie bezeichnet ein Drittel der jetzt in Rente gehenden Generation der Babyboomer ihre Arbeitsbedingungen als schlecht, und zwar unabhängig von der Art des Arbeitsplatzes.
Dem entgegenzuwirken, könnte effektiver für den Arbeitsmarkt sein, als monetäre Anreize für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu schaffen. DGB-Vorständin Piel sagt: „Statt pauschaler Steuervorteile für einige wenige helfen gezielte Maßnahmen allen: bessere Arbeitsbedingungen, damit Menschen gesund bis 65 arbeiten können, altersgerechte Arbeitsplätze und Wege für Frauen aus unfreiwilliger Teilzeit.“
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberbundes
Dass die Bundesregierung jetzt die Aktivrente ins Rennen schicken will und gleichzeitig die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren und günstige Bedingungen zur Altersteilzeit erhält, steht für den Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter, im Widerspruch zueinander: „Die Aktivrente soll längeres Arbeiten fördern, gleichzeitig belohnt die abschlagsfreie Frühverrentung aber den vorzeitigen Ausstieg. Die Politik drückt auf Gas und Bremse zugleich. Das ist in der Anreizwirkung wenig effektiv und teuer für Beitrags- und Steuerzahler“, kritisiert der BDA-Mann.
Sowohl das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln als auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin haben das Modell Aktivrente durchgerechnet. Das Ergebnis: Erstmal würden die Pläne Steuergelder kosten. Denn schon jetzt gibt es rund 230.000 Rentnerinnen und Rentner, die nebenher mehr als einen Mini-Job haben. Sie würden aufgrund der Neuregelung keine oder weniger Steuern zahlen – laut DIW beläuft sich dieser Mitnahmeeffekt auf knapp 800 Millionen Euro.
Allerdings würden sich die Kosten laut DIW relativieren, wenn angenommene 75.000 zusätzliche Rentnerinnen und Rentner in den Arbeitsmarkt kommen würden. In diesem Fall gäbe es für den Staat ein Plus von 520 Millionen Euro.
In diese Berechnung fließen allerdings noch nicht die vielen Selbstständigen ein, die besonders häufig nach dem gesetzlichen Renteneintrittsalter weiterarbeiten. Würde man auch ihnen die Aktivrente ermöglichen, was man aus Gleichbehandlungsgründen wohl müsste, käme das Vorhaben den Staat wesentlich teurer zu stehen. Das IW spricht von Mitnahmeeffekten allein in dieser Gruppe von 1,2 Milliarden Euro.
Hohe Kosten - aber wenigstens ein Gewinn für die Wirtschaft? Annette Trahms, Studienautorin beim IAB, glaubt das nicht. Sie erwartet einen „geringen Einfluss auf die Reduzierung des Fachkräftemangels.“ Denn realistisch betrachtet würden nur wenige Ruheständler durch die Aktivrente zur Weiterarbeit motiviert.
Auch die DIW-Wissenschaftler sehen eine begrenzte Wirkung auf den Fachkräftemangel und fordern weitergehende Maßnahmen wie bessere Weiterbildung, den Ausbau der Pflegeinfrastruktur, eine gezielte Fachkräftezuwanderung und höhere Arbeitsanreize etwa durch eine Reform des Ehegattensplittings. „Das würde auch die Beschäftigung nach der Regelaltersgrenze erhöhen“, so Studienautor Johannes Geyer. „Denn Menschen, die bis zum Rentenalter gearbeitet haben, bleiben auch danach häufiger erwerbstätig als diejenigen, die schon früher aus dem Berufsleben ausgestiegen sind.“
rnd