Bernd Ziesemer: Der Supreme Court regiert Europa

Das anstehende Urteil des Obersten Gerichtshofs über Donald Trumps Zölle wird die europäische Wirtschaft erschüttern. Egal wie es ausfällt
Man weiß nicht, was man sich mehr erhoffen sollte als Europäer: ein Urteil des Obersten Gerichtshofs in Washington gegen Donald Trumps Zollpolitik oder ein Urteil für seine Zollpolitik. So oder so greift der Supreme Court tief in die Interessen der Europäer ein. Bestätigten die Richter Trumps Recht, Zölle nach Belieben zu verhängen, dann geht das Chaos weiter. Trotz des „Deals“ mit der Europäischen Union könnte der Präsident weiterhin je nach Lust und Laune Aufschläge auf EU-Exporte verhängen.
Sei es für einzelne Warengruppen, sei es als allgemeine Strafe für unbotmäßiges Verhalten der Europäer (zum Beispiel gegenüber den US-Tech-Konzernen). Weisen die Richter Trump dagegen in die Schranken und erklären seine Zölle für gesetzwidrig, dann drohen chaotische Verhältnisse in den USA. Der amerikanische Haushalt geht vollkommen aus den Fugen, die Renditen der Staatsanleihen steigen und bringen die internationalen Finanzmärkte unter heftigen Druck. Auch in diesem Fall leiden die Europäer, auch wenn sie im besten Fall keine Zölle mehr zahlen müssten.
Es geht in Wahrheit nicht um ZölleZunächst einmal müssen die Richter im Eilverfahren entscheiden, ob sie das Urteil eines Bundesgerichts gegen Trump bis zu ihrer Entscheidung in der Hauptsache aussetzen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie es tun. Und es ist auch richtig: Eine einzelne untergeordnete Instanz darf eine derartig wichtige nationale Frage nicht entscheiden. Als Nächstes muss der Supreme Court dann einen mündlichen Verfahrenstermin ansetzen und eine Frist für seine Entscheidung ansetzen. Vor 2026 sollte man kein Urteil erwarten.

Das ist einerseits verständlich, weil es in Wahrheit gar nicht allein um Zölle geht. Es geht um die übergeordnete Frage, wann und wie der Präsident seine „Emergency Powers“ einsetzen darf. Trump begründet seinen Eingriff in das Zollregime, das eigentlich eindeutig dem Kongress unterliegt, mit der Gefährdung der nationalen Sicherheit durch das ausufernde Handelsdefizit der USA.
Wenn man sich bisherigen Urteile des Obersten Gerichts anschaut, dann folgt die Mehrheit der Richter einem klaren Ziel: die Exekutivgewalt des Präsidenten weiter zu stärken. Deshalb ist es auch so gut wie ausgeschlossen, dass sie Trumps Zölle in Bausch und Bogen als verfassungswidrig verwerfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie vielmehr sein Recht bestätigen, in Notlagen Sonderzölle zu verhängen. Die spannende Frage aber ist: Beharren die Richter auf einer Einzelfallprüfung und verlangen von Trump eine ausführliche Begründung für seine Zölle. In Wahrheit ist die Masse der Zollsätze vollkommen willkürlich festgesetzt worden.

Wie will man juristisch logisch begründen, dass sogar Staaten mit einem Handelsdefizit gegenüber den USA mit dem Hinweis auf eine „nationale Notlage“ belangt werden?
Aber auch wenn der Oberste Gerichtshof zu einem differenzierten Urteil kommt, leiden die Europäer. Trumps Regierung müsste möglicherweise jeden einzelnen Fall noch einmal aufrollen und juristisch wasserdicht regeln. In diesem Fall hängt die Unsicherheit noch für sehr lange Zeit über der amerikanischen Handelspolitik – und damit auch über den Warenströmen auf der ganzen Welt. So oder so: Europa muss sich dem Urteil des Supreme Court beugen und hat wenig bis gar keine Möglichkeiten, sich aus seiner Zwangslage in den USA selbst zu befreien.
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.
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