WM 1954: Heinz Kubsch und sein kurioser Unfall – Schulterbreit

Heinz Kubsch war Teil der legendären Weltmeistermannschaft von 1954. Doch ein kurioser Unfall verhinderte, dass er eine größere Rolle in der Schweiz spielte. Heute wäre er 95 Jahre alt geworden.
Fußball-Torhüter hatten schon immer viel Sinn für schwarzen Humor. Alex Stepney, seines Zeichens Schlussmann von Manchester United, schaffte es 1975 in einem Ligaspiel, seine Vorderleute so rabiat anzuschnauzen, dass er sich dabei den Kiefer brach. Und David Seaman, legendärer Fliegenfänger von Arsenal London und der englischen Nationalmannschaft, renkte sich bei einem Angelausflug die Schulter aus. Dabei hatte er sich gerade erst von einer langwierigen Knieverletzung erholen wollen.
Auch Heinz Kubsch, am 20. Juli 1930 in Essen geboren, gehört ohne Zweifel in die Kategorie der Torwart-Pechvögel. 1954, bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz, sollte er eigentlich zu seinem großen Einsatz gegen die Ungarn kommen. Und verpasste das Spiel seines Lebens, weil er einen Torwartkollegen aus dem Thuner See fischen wollte.
Aber der Reihe nach.
Mit Fahne vor HerbergerGut sechs Jahre vor dem WM-Turnier feierte der blutjunge Heinz Kubsch sein Debüt auf der großen deutschen Fußball-Bühne, die damals noch einen kleinen Namen hatte. Mit 17 Jahren war der Essener am 16. Spieltag der Oberliga-West-Saison 1947/48 der bis dahin jüngste Torwart in der DFB-Historie. Sein Verein: die Sportfreunde Katernberg 1913. In den wilden Oberliga-Zeiten der Nachkriegsjahre hatten sich die Jungs aus dem Zechennahbereich schon längst einen Namen als harte Fußball-Rocker gemacht. Rudi Schulz, 1951 stolzes Mitglied des legendären „100.000 Mark Sturms“ von Preußen Münster erinnerte sich mit Grausen an die Spiele auf dem Lindenbrucher Ascheplatz: „Das war richtig Kohlenpott mit richtigen Tretern. Und die Kerle haben ordentlich hingelangt, frag nicht nach Sonnenschein.“ Bis zum Sommer 1953 stand der junge Kubsch im Katernberger Tor, nach 122 Spielen wechselte der inzwischen zum B-Nationalspieler aufgestiegene Torwart den Verein – und heuerte beim FK Pirmasens an. Ein vom Verein bereitgestelltes Tabakgeschäft mit Lotto-Totto-Annahmestelle war Anreiz genug gewesen.
Und im Februar 1954, Kubsch hatte gerade seine ersten Spiele für den neuen Klub absolviert, lud Bundestrainer Sepp Herberger zum DFB-Lehrgang ein. Was bei den Leistungen des gebürtigen Esseners nicht weiter verwunderlich war, wohl aber aufgrund der leidlichen Vorgeschichte in der Beziehung Kubsch/Herberger. Der „Alte“ hatte den schweigsamen Torwart knapp ein Jahr zuvor während eines Spiels seiner Katernberger gegen Alemannia Aachen beobachtet und war nach Spielende auf den Rasen marschiert, um dem Schlussmann ein paar warme Worte mit auf den Weg zu geben. Dumm nur, dass Kubsch etwas zu heftig den Geburtstag eines Kollegen begossen hatte und folgerichtig mit seiner Alkoholfahne die feine Nase des Bundestrainers beleidigte. Für den Disziplinfanatiker Herberger ein Peitschenhieb.
Sepp Herberger über Heinz Kubsch
Doch als im April 1954 der Kader für die Weltmeisterschaft bekannt gegeben wurde, stand auch der Name Heinz Kubsch auf der Liste. Gleich hinter Toni Turek, gleich vor Heinz Kwiatkowski. Wenige Tage zuvor hatte der Pirmanenser beim 5:3-Erfolg gegen die Schweiz sein Debüt in der A-Nationalmannschaft gegeben.
Heinz Kubsch bei einer Weltmeisterschaft. Den ohnehin nicht sonderlich nervenstarken Schlussmann muss die Berufung sicherlich ein paar Zigaretten und Cognacs mehr gekostet haben, als sonst üblich. Herberger hatte schon im Vorfeld durchblicken lassen, warum er den jungen Mann in seine Auswahl berufen hatte. „Er ist ein Duseltorwart“, so das harte Urteil des Altmeisters, „aber an guten Tagen ist er unschlagbar.“ An guten Tagen unschlagbar? Herberger wird sich daran erinnert haben, als er sich nach dem 4:1-Sieg im Gruppenspiel gegen die Türkei so seine Gedanken machte, wer drei Tage später, am 20. Juni 1954, gegen die Übertruppe aus Ungarn für Toni Turek das deutsche Tor hüten könnte. Turek – so souverän der Sieg gegen die Türken auch gewesen war – hatte eine schwache Figur abgegeben. Fühlte er sich zu sicher in seiner Rolle als Nummer eins? So weit wollte es Herberger nicht kommen lassen und entschloss sich, Turek einen Denkzettel zu verpassen.

Der deutsche WM-Kader 1954 mit Heinz Kubsch (obere Reihe, 8. von links).
Foto: sportfotodienst / Otto Krschak / IMAGODoch Heinz Kubsch spielte nicht eine einzige WM-Minute. Und Toni Turek ging nach in der finalen Abwehrschlacht gegen Puskas und Kollegen als „Fußballgott“ in die Geschichte der Radioübertragung ein. Herbert Zimmermann sei Dank. Was war mit Kubsch?
Das deutsche Fußballgedächtnis macht es dem Suchenden nicht leicht, gleich drei Versionen existieren von den Geschehnissen zwischen dem 17. und 20. Juni 1954. Fest steht: Es geht um Ruderboote auf dem Thuner See.
Bootsrangelei, Hechtsprung oder Rettungstat?Das Portal dieheldenvonbern.de berichtet von einer „Rangelei um das letzte freie Ruderboot“ und einer daraus resultierenden Verletzung, die den Einsatz des Torhüters verhinderte. Richtig ist wohl: Die „Helden“ drückten sich im idyllischen Trainingsdomizil in Spiez äußerst elegant um die drohenden Kontrollgänge von Trainer Herberger und schipperten einfach nach Lust, Laune und Trainingsfreiraum auf dem Thuner See. Kippen und alkoholische Erfrischungsgetränke inklusive.
Version Nummer zwei stammt von Kapitän Fritz Walter, der sich spätestens nach der WM mit der Veröffentlichung einiger recht schmuckloser Fußball-Bücher ein paar Mark dazuverdiente. Demnach habe Kubsch mit seinem Torwartkollegen aus Zimmer 309, Heinz Kwiatkowski, in einem der Boote gesessen. Als „Kwiat“ aus dem Kahn kippte und die Kollegen im Übereifer der Rettungsaktion auch Kubsch ins Wasser zu schubsen drohten, hätte sich dieser elegant aus der Affäre ziehen wollen – und verstauchte sich beim Hechtsprung aus dem Boot die Schulter.
Die dritte Version stammt aus dem ausführlichen Begleitbuch der ZDF-Dokumentation „Das Wunder von Bern. Die wahre Geschichte.“ „Geh schon mal runter und sieh zu, dass du ein Boot kriegst. Ich komm dann nach“, soll den TV-Recherchen zufolge Kwiatkowski gerufen haben. Kubsch tat wie ihm geheißen, sicherte einen kleinen Kahn und animierte den inzwischen am Kai angetroffenen Torwartkollegen: „Na los, Heini. Worauf wartest du?“ Über zwei Meter hoch soll die Kaimauer gewesen sein – behauptete später Kwiatkowski. In jedem Fall missglückte der tiefe Sprung ins Boot, Kwiatkowski rutschte ab und klatschte ins Wasser. Nicht unbemerkt von den johlenden Kollegen am Ufer, die sich auch dann noch scheckig lachten, als der Torhüter wild mit dem Armen im Thuner See ruderte. Schließlich bemerkte endlich Kubsch, dass sein Bettnachbar ganz offensichtlich nicht schwimmen konnte, packte den panischen Kollegen und zog ihn mit einem kräftigen Ruck ins Boot. Und verletzte sich dabei an der Schulter.
Bootsrangelei, Hechtsprung oder Rettungstat? Wie auch immer, Kubsch war so schwer verletzt, dass Herberger arg angefressen Kwaitkowski gegen die Ungarn ins Tor stellte. Der kassierte gleich acht Gegentreffer und Herberger musste anschließend massenhaft böse Protestbriefe aus der Heimat beantworten.
Pirmasens-Trainer Helmut Schneider
Für Heinz Kubsch endete die Weltmeisterschaft 1954 zwar mit dem ganz großen Triumph, aber zumindest dieses eine Spiel, den Eintrag in die Geschichtsbücher, hatte er sich selbst vergeigt. Die Wundertypen von Bern, das sind heute Helmut Rahn, Fritz Walter und Toni Turek. Aber nicht Heinz Kubsch.
In Pirmasens ging das Leben trotzdem weiter. Zwischen 1958 und 1960 holten Kubsch und Kollegen gleich dreimal in Folge die Südwestdeutsche Meisterschaft. Zweimal, 1955 gegen Irland und 1958 gegen die Schweiz, stand Kubsch nochmals als deutscher Auswahlkeeper auf dem Platz. 1961 endete die Karriere von Heinz Kubsch, und wenn sie ihrem Torhüter in Pirmasens jemals ein Denkmal gebaut hätten, der Spruch von Trainer Helmut Schneider wäre wohl in der engeren Auswahl der Sockelverzierung gelandet: „Vorne hilft uns der liebe Gott und hinten Heinz Kubsch.“
Am 24. Oktober 1993 starb Heinz Kubsch nach langer Krankheit.
11freunde