Jannik Sinner gewinnt erstmals in Wimbledon – zusammen mit seinem Finalgegner Carlos Alcaraz dürfte er die Zukunft dominieren


Im Juli 2019 trafen Roger Federer und Novak Djokovic im Final von Wimbledon aufeinander. Es war die dritte und letzte Begegnung der alten Rivalen im Endspiel des wichtigsten Turniers auf der Tour. Der damals 38-jährige Federer war über zwei Stunden lang der bessere Spieler gewesen. Er hatte seinen Service erst in der Schlussphase des vierten Satzes erstmals abgeben müssen. Beim Stand von 8:7 im Entscheidungssatz kam er zu zwei Matchbällen in Folge. Und doch stand er am Ende mit leeren Händen da.
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Es war die letzte Chance des Baselbieters, seiner Sammlung einen 9. Wimbledon- und 21. Major-Titel beizufügen. Es war seine letzte Teilnahme im Final jenes Turniers, das seine Karriere mehr als jedes andere geprägt hatte. Im Jahr darauf kehrte er noch einmal in den All England Lawn Tennis Club zurück und verlor seinen letzten Match dort im Viertelfinal gegen den Polen Hubert Hurkacz. Das 0:6 im dritten Satz steht heute wie eine hässliche Narbe in der sonst nahezu perfekten Vita.
Ein neuer König in WimbledonFederers Zeit ist abgelaufen, und auch Djokovic wird wohl keinen weiteren Wimbledon-Titel mehr feiern, auch wenn er weiterhin auf dem Platz steht. Am diesjährigen Turnier verlor er am Freitag im Halbfinal in drei kurzen Sätzen gegen den späteren Sieger Jannik Sinner.
Der 23-jährige Südtiroler ist der neue König von Wimbledon. Er schlug den spanischen Titelverteidiger Carlos Alcaraz in gut drei Stunden 4:6, 6:4, 6:4, 6:4. Sinner verwertete den zweiten Matchball mit einem Servicewinner und hob danach fast ein wenig ungläubig die Arme. Er ist der erste Italiener, der in Wimbledon triumphiert. Danach kniete er sich nieder, schickte ein paar Worte des Dankes in den Himmel und klopfte dazu mit seiner Hand auf den Rasen.
Sinner bestätigte damit seinen Status als derzeit bester Spieler auf der Tour. Anfang Jahr hatte er bereits den ersten Major-Titel des Jahres, das Australian Open in Melbourne, gewonnen. Sinner steht jetzt bei vier Grand-Slam-Siegen. Nun fehlt ihm zum Karriere-Grand-Slam nur noch der Titel am French Open.
Die Ära von Federer, Djokovic und Nadal beginnt zu verblassenDort hatte sich vor drei Wochen im Final zwischen den beiden ein Drama abgespielt, das die Brisanz des Wimbledon-Finals noch erhöhte. Der Match war über fünf Sätze und fast fünfeinhalb Stunden gegangen. Sinner war in diesem Spiel zu fünf Matchbällen gekommen, die Alcaraz allesamt abwehrte.
Jener Match und die verpassten Chancen sind Sinner in den Sinn gekommen, als er im Wimbledon zu seinen drei Matchbällen kam. Im Siegerinterview sagte der Italiener, jeder einzelne Ball könne das Spiel in einem Match über drei Gewinnsätze kippen lassen. «Deswegen studieren wir unsere Niederlagen und versuchen, die richtigen Lehren daraus zu ziehen.» Dann bedankte sich Sinner bei seinem Gegner.
Natürlich waren die Worte der übliche Respekt, den der Sieger seinem Widersacher schuldet. Und doch: Das Duell Sinner gegen Alcaraz dürfte zum Duell der kommenden Jahre werden. Die Ära von Federer, Djokovic und Rafael Nadal ist endgültig vorüber und beginnt bereits zu verblassen. Aus dem Trio, das über Jahre das Männertennis dominierte, ist nur Djokovic noch auf der Tour. Doch in Wimbledon hatte er durchblicken lassen, dass das sein letzter Auftritt gewesen sein könnte.
Die Zukunft gehört anderen. Alcaraz und Sinner haben die letzten sieben Major-Turniere unter sich aufgeteilt. Der letzte andere Major-Sieger war am US Open 2023 Djokovic gewesen. Der 38-jährige Serbe hält mit 24 Major-Titeln zusammen mit der Australierin Margaret Court die Bestmarke und will mit einem 25. Erfolg alleiniger Rekordsieger werden. Doch dass ihm das gelingt, wird mit jedem Turnier, das ein anderer Spieler gewinnt, unwahrscheinlicher.
Eine Rivalität für das nächste Jahrzehnt?Sinner und Alcaraz dürften die kommenden zehn Jahre im Männertennis prägen. Doch dazu müssen sie gesund bleiben. Es ist eine der grössten Leistungen von Federer, dass er über zwei Jahrzehnte lang ohne gröbere Verletzungen blieb. Gelegentliche Rückenprobleme waren lange die einzigen Beschwerden, die ihn einschränkten. Erst gegen Ende seiner aussergewöhnlichen Karriere begann sich auch Federers Körper zu regen und zu rebellieren.
Alcaraz pflegt einen physischen Stil, ähnlich jenem seines grossen Vorbilds Rafael Nadal, der ständig mit Verletzungen gekämpft hatte. Auch Alcaraz hatte bereits erste Probleme. Doch zuletzt reihte er 24 Siege und die Titel in Rom, Paris und im Londoner Queen’s Club aneinander. Anfang Saison habe er mit physischen Problemen und auch der Motivation gerungen. Doch nun habe er wieder Freude, wenn er den Platz betrete, sagte der Spanier nach dem verlorenen Final. Dann wandte er sich an seinen Gegner und sagte: «Ich muss dir schon fast jede Woche gratulieren. Du verdienst diese Trophäe wie kein anderer. Wir haben schon jetzt eine grossartige Rivalität.»
Sinner zementiert in Wimbledon seine Weltranglistenführung, die er selbst im Falle einer Niederlage behalten hätte. Dabei hatte er im Frühjahr wegen einer Dopingsperre für rund drei Monate aussetzen müssen. Deshalb hat er in Wimbledon auch erst seinen zweiten Titel in der laufenden Saison gewonnen.
Sinner dankte noch seinem Team und auch dem Bruder, der diesmal nur dabei gewesen sei, weil an diesem Wochenende zufällig kein Formel-1-Rennen stattgefunden habe. Das war eine Stichelei, weil dieser vor ein paar Wochen – als Sinner bei seiner Rückkehr auf die Tour in Rom den Final erreichte und dort an Alcaraz scheiterte – wegen des gleichzeitig stattfindenden Grand Prix in Imola nicht zugegen war.
Sinner sagte dann noch: «Der Moment nun ist sehr emotional, vor allem auch wegen der Niederlage in Paris, die sehr hart gewesen war. Doch ich versuche solche wegzustecken und weiter an mir zu arbeiten.» Das ist ihm offensichtlich gut gelungen.
Wie Alcaraz steigt nun auch Sinner in den exklusiven Kreis der Ehrenmitglieder in Wimbledon auf, der allen ehemaligen Siegern vorbehalten ist. Er hat damit auf Lebzeiten Zugang zur wunderschönen Anlage vor den Toren Londons.
Vor ihm war im Frauenfinal vom Samstag auch die Polin Iga Swiatek in jenen Zirkel aufgestiegen. Sie hatte den Frauenfinal gegen die überforderte Amerikanerin Amanda Anisimova 6:0, 6:0 gewonnen. Sinner sagte am Ende auf dem Court, hier zu gewinnen, sei ein Kindheitstraum von ihm gewesen. «Nun lebe ich diesen Traum.»
Andrew Couldridge / Reuters
Sinner sagte am Ende auf dem Court, hier zu gewinnen, sei ein Kindheitstraum von ihm gewesen. «Nun lebe ich diesen Traum.» So schnell dürfte er nicht aus diesem Erwachen. Er ist gekommen, um zu bleiben.
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