Fussball-EM der Frauen | »Respekt vor Frauen fehlt«
Kathrin Längert, wie wichtig ist die EM für den Fußball der Frauen in Deutschland?
Das Nationalteam ist unser Aushängeschild und unsere Sichtbarkeit. Unser Erfolg, auch in der Liga, steht und fällt mit dem Erfolg der Frauennationalmannschaft. Wenn wir den Titel holen, dürfen wir Forderungen stellen; scheiden wir früh aus, wie bei der WM 2023, dann heißt es schnell wieder: »Die Weiber wollen noch mehr Geld, aber sportlich ist die Leistung nicht da.« So ein grundsätzlicher Respekt für die Frauen fehlt. Wenn wir erfolgreich sind, dürfen wir existieren. Aber wenn sportlich mal irgendetwas schiefläuft, werden wir sofort infrage gestellt. Dabei sind es ja die Bedingungen, die wir zur Verfügung gestellt bekommen, die vielleicht mehr Erfolg verhindern.
Welche Bedingungen sind das?
Es fängt in den Vereinen an: Die Frauen sind immer die unwichtigste Mannschaft. Sie bekommen die schlechtesten Trainingszeiten, die schlechteste Ausstattung. Dazu kommt: Es gibt zu wenige Fußballplätze. Die Mädchenmannschaften gehen dann eben häufig leer aus. In der Professionalisierung fehlt es natürlich an Geld. Viele Spielerinnen kommen selbst in der Bundesliga an den Punkt, sich entscheiden zu müssen: Gehe ich jetzt in meinen richtigen Job, weil mein Studium fertig ist und ich doppelt so viel verdienen könnte? Dadurch gehen uns immer wieder Talente verloren. Wenn wir einen existenzsichernden Lohn hätten und die Spielerinnen sich auf den Fußball konzentrieren könnten, wären sie auch viel leistungsfähiger. Du schaffst einfach mehr Gewicht beim Krafttraining, wenn du nicht schon acht Stunden in der Uni oder bei der Arbeit warst. Dadurch ist der Trainingseffekt kleiner und es kommt zu mehr Verletzungen. Die dauern bei den Frauen übrigens länger als bei den Männern, denn die medizinische Versorgung ist mangelhaft. Junge Frauen werden sportinvalide, weil sie sich das Kreuzband reißen und nicht vernünftig ausheilen.
Profivereine der Männer investieren neuerdings stärker in den Fußball der Frauen. Wie bewerten Sie das?
Natürlich können die Gelder, die im Männerfußball vorhanden sind, dem Frauenbereich helfen. Union Berlin zum Beispiel ist spät auf diesen Zug aufgesprungen, aber sie haben gezeigt, dass man mit geringen Mitteln schnell viel Gutes tun kann. Die haben echt viele Fans ins Stadion gelockt und das Prestige für den Klub erhöht. Und klar: Die Professionalisierung tut den Spielerinnen gut. Ich freue mich, wenn sie einen eigenen Trainingsplatz haben, einen Vollzeit-Physiotherapeuten und vernünftige Gehälter bekommen. Andererseits werden wir jetzt eben regiert von Männern aus dem Männerfußball. Die haben mit unserem Spiel und mit unserer Identität nichts zu tun und kennen sich da auch nicht aus. Und mich macht skeptisch, dass wir dann von deren Etats abhängig sind. Der HSV hat seine Frauenmannschaft schon mal zwangsabsteigen lassen, um 750 000 Euro für die Männerabteilung zu sparen. Ich fände toll, wenn wir als gleichberechtigte Abteilungen angesehen würden und auch Frauen Einfluss auf die Männer hätten.
Infolge dieser Entwicklung gehen die Fans der Männer immer öfter auch zu den Frauen. Was bedeutet das?
Ich befürchte, dass wir dadurch unsere eigene Fankultur ein Stück weit verlieren, dass wir in den Männerlizenzvereinen verschwinden und deren Fans sich denken: »Na gut, dann machen wir das jetzt genau wie bei den Männern«. Sogenannte Highlight-Spiele werden in große Stadien verlegt und es kommen viele Zuschauer. Das ist natürlich eine gute Bühne. Da kommen dann aber auch Fans hin, die die Spielerinnen gar nicht kennen, die da 14-jährige Mädchen angehen und »Fotze« von der Bühne schreien. Das ist ein Umgangston und eine Fankultur, die überhaupt nichts mit dem Frauenfußball zu tun hat. Im Gegenteil: Unsere Fans wollen eine entspannte Atmosphäre – und keine besoffenen Männer.
Die EM der Frauen sehen mehr Menschen im Fernsehen als die Männer-Klub-WM.
Uns wird immer zum Vorwurf gemacht, den Fußball der Frauen würde keiner gucken – das stimmt aber nicht. Und ich finde spannend: Selbst wenn er geguckt wird, ändert das nichts an unserer Darstellung. Die Ligaspiele werden nicht im Öffentlich-Rechtlichen gezeigt und die Fernsehgelder steigen auch nicht an. Dann heißt es noch immer, Frauenfußball sei schlechter als Männerfußball, deswegen interessiert es keinen. Den Vergleich machen wir aber in keiner anderen Sportart. Niemals hätte jemand gesagt, Angelique Kerbers Wimbledon-Sieg ist nichts wert, weil sie gegen Roger Federer verloren hätte. In keiner anderen Sportart wird verlangt, dass die Frauen die Männer besiegen müssen. Wir konkurrieren am Ende doch auch nur mit Frauen.
Ist der Fußballplatz für Mädchen und Frauen einschüchternd?
Ja klar, sowohl für Spielerinnen als auch für Trainerinnen. Ich wurde mit acht Jahren das erste Mal angespuckt, von einem Jungen, der sogar in meiner Mannschaft gespielt hat.Der wollte mich einfach nicht da haben. Als Mädchen im Fußball brauchst du ein wahnsinnig dickes Fell. Dabei geht von uns selbst ja keine Bedrohung aus. Keine Frauenmannschaft hat je gesagt: Der Platz gehört jetzt uns. Wir wollen nur parallel existieren dürfen. Du musst als Frau so viele Widerstände überwinden, um überhaupt bis in den Profibereich zu kommen.
Welche Widerstände sind das?
Die sind natürlich vielfältig. Es können familiäre Widerstände oder kulturelle Gründe sein. Meine Mutter fand jetzt auch nicht geil, dass ich Fußball spielen wollte. Vielleicht gibt es auch gar kein Mädchenteam in deiner Nähe. Dann musst du in einer Jungenmannschaft mitspielen und dich da erst mal gegen die ganzen Vorurteile durchsetzen. Ab Kindesalter hörst du: »Guck mal, da spielt ein Mädchen mit, heute schießen wir 100 Tore« oder: »Tritt die doch mal um«, »Du kannst doch nicht gegen ein Mädchen verlieren«. Anders als bei den Männern verdienst du in der Jugend und unterhalb der Bundesliga ja auch kein Geld. Das heißt, parallel musst du deine Schule machen und eventuell mit 16 eine Ausbildung anfangen. Der Fußball ist eine unbezahlte Zusatzbelastung, die du permanent mit dir herumträgst und irgendwie bewältigen musst. Und als Trainerin geht es dann wieder von vorne los. Du bist wieder die einzige Frau im Raum und repräsentierst gleich alle Frauen. Wenn du mal was Falsches sagst, dann, weil Frauen keine Ahnung von Fußball haben. Du hast die ganze Zeit so einen wahnsinnigen Druck, beweisen und legitimieren zu müssen, dass du gut bist, obwohl du eine Frau bist.
Was muss also passieren?
Da sind ganz viele Akteure gefragt. Was die Sportplätze betrifft, können nur die Städte und Kommunen in die Verantwortung genommen werden. Der DFB könnte als übergreifender Verband vor allem für Regularien sorgen. Er könnte besondere Anreize schaffen für Vereine, die Mädchenmannschaften haben. In den Profiligen könnte es Lizenzvorgabe sein, dass jeder Verein eine Frauen- und Mädchenabteilung führen muss. Darüber hinaus müssten finanzielle Anreize geschaffen werden: Wer eine erfolgreiche Frauenabteilung führt, könnte Zuschüsse erhalten, um Plätze zu sanieren oder das Vereinsheim zu renovieren. Es muss sich eben mehr lohnen, den Frauenfußball in den Vereinen zu fördern.
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