1:2 gegen Norwegen: Die Schweizerinnen kassieren an der Heim-EM eine bittere, vermeidbare Startniederlage


Georgios Kefalas / Keystone
45 Minuten lang sah am Mittwochabend alles nach dem perfekten Schweizer Start aus. Die Heim-EM war stimmig eröffnet worden, in Basel eilten 34 063 Menschen herbei, um das Eröffnungsspiel zwischen der Schweiz und Norwegen zu sehen. Rekord für ein Frauenfussballspiel in diesem Land. Für nicht wenige aus dem Kosmos des Frauenfussballs hatte die Szenerie etwas Ergreifendes – erst vor acht Jahren hatte die Schweiz erstmals an einer EM-Endrunde teilgenommen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist hierzulande in dieser Sparte sehr viel geschehen.
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Das Nationalteam liess sich von dieser Euphorie tragen, es spielte eine erste Halbzeit nahe der universellen Idealvorstellung. Das Team orientierte sich am Captain Lia Wälti, der Taktgeberin im Mittelfeld. Über die Verfügbarkeit der Bernerin war gerätselt worden, sie ist seit langem angeschlagen. Mit einem bandagierten linken Knie lief sie auf – und schwang gleich das Zepter. Auch dank ihr dominierten die Schweizerinnen die ersten 45 Minuten.
Riesens Führungstreffer mit einem SchlenzerWälti, in London bei Arsenal beschäftigt, stand am Ursprung des hoch verdienten Führungstreffers nach 28 Minuten. Nadine Riesen schlenzte den Ball per Innenpfosten in die Maschen. Riesen steht symptomatisch dafür, welche Entwicklung der Sport genommen hat. Bis 2023 spielte sie für den FC Zürich, arbeitete daneben aber als Kleinkindererzieherin in Muri bei Bern. Heute ist sie Profi bei Eintracht Frankfurt.
Es wirkte jetzt so, als würde vieles abfallen von diesem Team, hinter dem schwierige Monate liegen. Die Resultate meist dürftig, die Auftritte seltsam mutlos. Aus der Vorbereitung auf die Heim-EM blieb im öffentlichen Gedächtnis vor allem eine 1:7-Niederlage gegen die U15-Teenager des FC Luzern haften. Es war ein Testspiel fast ohne Aussagekraft, aber bei den Neidern und Besserwissern war die Meinung gemacht.
Und sie erhielten kurz vor dem Turnier noch einmal Auftrieb, nachdem der «Blick» über schlechte Stimmung im Kader berichtete – die Trainings seien zu hart. Die ehemalige Nationaltrainerin Inka Grings warf den Schweizerinnen in einem bizarren Interview «Unprofessionalität» vor. Grings, 46, war im November 2023 nach einem einzigen Sieg in 14 Partien entlassen worden.
Es mangelte im Schweizer Umfeld also nicht an Unruhe, was die Erwartungen dämpfte. Pia Sundhage, die Schweizer Cheftrainerin, lachte den externen Radau einfach weg. Es braucht mehr als ein paar trübe Monate, um die weit gereiste Schwedin aus der Ruhe zu bringen – die Erfahrungen als Cheftrainerin der USA und Brasilien haben sie Gelassenheit gelehrt. Mit 65 Jahren vielleicht auch einfach das Leben.
Das 1:1 zog den Schweizerinnen den SteckerEin Auftaktsieg wäre eine Art Bestätigung für ihre Ideen gewesen. Und lange sah es danach aus. Die favorisierten Norwegerinnen fanden darauf bis zur Pause keine Antwort. Doch im Kader der zweifachen Europameisterinnen finden sich etliche Weltklassespielerinnen. Eine von ihnen, Ada Hegerberg, ist bei Lyon die Torschützin vom Dienst. Sie war es, die in der 54. Minute per Kopf zum Ausgleich traf.
Von den Schweizerinnen gab es nach einem Corner nur Geleitschutz – viel schlechter kann man einen Eckball nicht verteidigen. Auch die Torhüterin Livia Peng agierte unglücklich. Um die Goalieposition hatte es wiederholt Diskussionen gegeben, auch Sundhage zeigte sich dort wankelmütig.
Das 1:1 zog den Gastgeberinnen den Stecker. Vier Minuten später grätschte die langjährige FCZ-Verteidigerin Julia Stierli einen Ball unglücklich ins eigene Tor. Die Wende hatte nichts Zwingendes, sie wirkte glückhaft. Norwegen blieb vieles schuldig. Und unternahm mit hingebungsvollem Zeitspiel einiges dafür, das Klischee zu widerlegen, dass es sich beim Frauenfussball um den faireren Fussball handle.
Doch die Wahrheit ist auch, dass man lange vergeblich auf eine Reaktion der Schweizerinnen wartete. Ein verschossener Penalty von Hegerberg in der 70. Minute hätte eigentlich noch einmal Energie freisetzen müssen. Doch die einzigen Aufreger blieben ein korrekterweise wegen eines Offside zurückgenommener Penalty nach 72 Minuten. Und eine Top-Chance des Aktivpostens Géraldine Reuteler zehn Minuten vor Schluss.
Der Abend erzählte die Geschichte zweier Halbzeiten. Und bescherte den Schweizerinnen eine bittere, vermeidbare Startniederlage. Sie können sich an ihrer Darbietung in der ersten Hälfte aufrichten. Die Torschützin Riesen sagte: «Es ist schade, dass wir unsere Leistung nicht über 90 Minuten zeigen konnten. Aber die erste Halbzeit macht uns Mut.»
Der Vorstoss in den Viertelfinal ist weiterhin möglich, zumal die Schweizer Gruppe A mit zu den schwächsten an dieser Endrunde gehört. Am Sonntag allerdings steht das Kollektiv bereits unter Zugzwang, wenn sie in Bern auf Island treffen. Es ist für beide Teams bereits ein Finalspiel – Island verlor am Mittwoch in Thun überraschend gegen Finnland. Und verlor auch seine Captain Glodis Perla Viggosdotir, die zur Halbzeit verletzt ausgewechselt werden musste.
nzz.ch