Polykrise | Solidarisches Preppen: Wenn schon Apokalypse, dann gemeinsam
Die Ausstellung der anderen Art macht dem Namen der Technischen Universität Berlin alle Ehre. Da ist die Windkraftanlage zum selber Bauen mit hölzernen Rotorenblättern, an mehreren Tischen stehen Koffer mit mobilen Wasserfilteranlagen, daneben das Werkzeug fürs Grobe: eine benzinbetriebene Handkreissäge und ein hydraulischer Spreizer. Sogar ein mobiles Krankenhaus hat es in den ersten Stock des Mathematik-Gebäudes der Universität geschafft. Hier werden keine studentischen Abschlussprojekte dargeboten, eingeladen haben die Hilfsorganisation Cadus, die für die Katastrophenhilfe derzeit unter anderem in der Ukraine und in Gaza im Einsatz ist, und der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der TU Berlin. In den Räumlichkeiten der Universität findet an diesem Samstag der erste »Soliprepping«-Kongress statt. Das Motto: »Krisen solidarisch begegnen«. 280 haben sich laut den Veranstaltenden angemeldet.
Und das, obwohl zahlreiche Vereine und Initiativen die Einladung ignoriert haben. »Das Wort Prepping wirkt immer noch abschreckend«, sagt Anna-Lea Göhl von Cadus, die den Kongress mitorganisiert hat. Dabei gebe es viele Akteure, die seit Langem solidarisch preppen, nur nennen sie es nicht so, meint Göhl. »Wer das Wort Prepping hört, denkt zuerst an die skurrilen Leute im Bunker – aber niemand denkt daran, dass die Tafeln seit Jahrzehnten Menschen in Krisen unterstützt.«
Dabei sind linkes und rechtes Prepping gewissermaßen Gegenteile: Während das in den USA geprägte »Survival prepping« auf Individualismus setzt – die politischen Theoretiker*innen Emily Ray und Robert Kirsch sprechen von »Bunkerisierung« –, bedeutet solidarisches Prepping: Stärke durch Gemeinschaft. Kein Wunder also, dass beim Kongress auch Vertreter*innen des Berliner Gemeinschaftsgartens Prinzessinengarten auf dem Podium sitzen. »Repair-Cafés, Offene Werkstätten, Urban Gardening: solche Projekte sind auch eine Art von Soliprepping«, sagt Anuscheh Amir-Khalili. Nicht nur, weil es dabei um Selbstversorgung gehe, sondern auch, weil Netzwerke der Unterstützung entstünden.
Dementsprechend liegt beim »Soliprepping« ein Schwerpunkt auf der Kommunikation. Wie bleibt man in Kontakt, wenn nach einer Naturkatastrophe der Strom ausfällt? Wie organisiert man sich, wenn die Regierung den Mobilfunk kappt? Andreas Steinhauser vom Chaos Computer Club warnt auf dem Kongress: Russland und seine Verbündeten greifen die digitale Infrastruktur aus dem Osten an, während die Abhängigkeit von US-Tech-Konzernen anfällig für Erpressungsversuche aus dem Westen macht; ein Abschalten des Mobilfunks bei innenpolitischen Spannungen wie in Serbien, der Türkei oder Hongkong sei bei einem weiteren Rechtsruck auch in Mittel- und Westeuropa nicht mehr undenkbar.
Einen möglichen Schlüssel für den Notfall trägt Liam Hurwitz in seiner Hosentasche. Der Informatiker der Uni Bremen kramt ein kleines Gerät hervor, tatsächlich kaum größer als ein Schlüsselbund: ein Funkcomupter, der auf »Lora«-Technologie basiert. Das steht für Long-Range, also große Reichweite. Mit minimalem Stromverbrauch ermöglicht es die Technik, über weite Distanzen zu kommunizieren – allerdings nur in begrenztem Umfang. »Eine SMS ist das Niveau, von dem wir hier sprechen«, erklärt Steinhauser. Soll heißen: Für eine Verabredung reicht es, viel mehr ist nicht drin.
Mit Lora lässt sich ein dezentrales »Mesh-Netzwerk« aufbauen, bei dem jedes Gerät als Empfänger, Sender und Verstärker fungiert. Der geringe Stromverbrauch erlaubt es, die Kommunikation mit eigener Stromversorgung aufrecht zu halten. Auch ein Balkonkraftwerk mit einem Speicher sei deshalb ein Beitrag zum Soliprepping, meint Steinhauser.
Neben dem Lora-Funkgerät geben Steinhauser und Hurwitz weitere Tipps für den Ernstfall: Offline-Karten aufs Handy laden und am besten gleich Wikipedia in seiner Gesamtheit – ohne Bilder benötigt dies weniger Speicherplatz als zehn HD-Filme. Schon jetzt solle man versuchen, sich von »Gamma« zu lösen, also von Alphabet (Google), Amazon, Meta (Instagram, Facebook), Microsoft und Apple. Doch wie überzeugt man Menschen davon? Digitale Freiheit ist mühsam und unpraktisch. Hurwitz weiß das aus eigener Erfahrung. 2019 ging er auf »digitale Diät« und trennte sich von »Big Tech«. Auf dem Podium fragt er nun, ob man solche Prozesse besser gemeinschaftlich durchlaufen könnte, um sie zu erleichtern. Soliprepping auf den Punkt gebracht.
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