Michael Andrick: Herrschaft geht durch das Medium

Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Michael Andrick: Herrschaft geht durch das Medium

Michael Andrick: Herrschaft geht durch das Medium

Was passiert, wenn jemand einfach Texte druckt und unter die Leute bringt? Über Macht und Solidarität der sich Unbekannten, zum vierten Jubiläum meiner BLZ-Kolumne.

Michael AndrickKarolina Kovac

Hat jemand auf einem Flecken Land eine Herrschaft – kann er also in einem annehmlichen Haus wohnen, reichlich essen, sich vergnügen und dabei der scheuen Freundlichkeit seiner Umgebung versichert sein –, so mag er nicht viel reden. Als Führer der Rotte ohne die Mühen der Wanderschaft, des Sammelns und der Jagd, als Sitzfürst mit freier Partnerwahl hat er, so spürt es ein Homo sapiens in den Eingeweiden, sein Optimum erreicht. Worüber soll man da noch reden?

In der Familie redet der Herrscher schon, da möchte man zusammenhalten, und den Knechten, ja, denen will man hier und da ein Wort sagen, damit sie verlässlich versorgt sind und gut arbeiten. Aber die Untertanen bieten dem Herrscher wegen ihrer Machtlosigkeit keinen Anlass zu Gesprächen: Sie könnten ihm keine Genugtuung geben, die das Vorhandensein einer Gegenmacht im anderen verlangt.

Ein Widerpart, ein Potenzial zum Anderssein, ein Moment der Freiheit muss vorhanden sein und gelegentlich auch wirken, wo statt Deklaration Austausch geschehen soll. Austausch braucht eine gewisse Macht auf allen Seiten.

Worüber soll der Herrscher mit Untertanen reden? Welches Thema hat er mit denen gemeinsam, die vor ihm zittern? Einzig und allein die Geschichte und Rechtmäßigkeit der eigenen Herrschaft. Das ist so einfach, dass es schwer zu verstehen ist.

Spricht ein Herrscher von sich aus zu seinen Untertanen über irgendein anderes Thema, so relativiert er damit seine Herrschaft – weil er durch das Gespräch mit den Unterworfenen seine Ansichten ins Verhältnis zu deren Ansichten setzt.

Damit ist jedoch angedeutet, die herrscherliche Macht bedürfe vielleicht doch etwas von den Untertanen, sei also nicht wirklich souverän. Die Herrscherwürde besteht in seiner Abgesetztheit, seiner Sonderung von den Untertanen. Sie muss leiden, wenn er mit den Untertanen anders denn als Herrscher spricht.

In erwartbaren Formeln also, zu erwartbaren Zeiten und mit erwartbaren Ergebnissen redet der Fürst: „Die Ernte karg, die Steuern verspätet? 20 Hiebe, dir ist vergeben. Und schick’ heute Abend deine Tochter zu mir, die blonde. Du darfst gehen.“

Die imperiale Stille pflegen

Es ist also ein eher stiller Vollzug, der Herr zu sein, und es ist für den Machthaber ratsam, diese Stille in den herrschaftlichen Fluren außerhalb der Sprechzeiten so gut wie möglich allgemein zu machen.

Wo nicht der Herrscher selbst zur von ihm festgesetzten Zeit spricht, da darf folglich nur die stete Erinnerung an die Geschichte und Rechtmäßigkeit der eigenen Herrschaft in der Öffentlichkeit Thema sein.

Die benötigte Erinnerungskultur mag dabei oft in Reden ausarten, ist aber Teil dieser imperialen Stille. Schöne Gebäude, die gut gewählten Namen von Straßen und Plätzen, prächtig angetane Amtsleute verschiedener Grade, kleine Vereinswappen mit Herrscherstempeln darauf, und so weiter – all das tut das Seine dazu, dass jeder stets ein Geräusch des Betriebs, niemand aber die Ruhe der Sache an sich, der eigenen Beherrschung, gewahrt.

Doch verlangt es jeden Untertan danach, sein Leben in der Knechtschaft des Herrschers zu besprechen – ganz so, wie es auch den Herrscher verlangt, seine Herrschaftssorgen Vertrauten mitzuteilen.

Das ist der Moment, in dem der Unterworfene eine eigene Mächtigkeit an sich entdecken könnte – etwa durch die Beobachtung: „Er ist einer, wir sind viele.“ Im Gespräch mit anderen Untertanen könnte dies geschehen, jedoch ist dies der Herrschaft noch nicht sehr gefährlich.

Nie werden durch bloßen Zufall große Scharen von Untertanen diese Gespräche zugleich und mit gleichem Ergebnis führen – und selbst wenn dies einmal geschehen sollte, etwa weil drückende Misswirtschaft der Regierung alle gleichermaßen betrifft, so wäre dieser Unmut damit noch lange nicht an einem öffentlichen Ort ausgedrückt, wo er Anlass eines Aufruhrs werden kann.

Das Wort ist Flyer geworden

Der Setzkasten, das gedruckte Wort, wird in dem Moment zum allergrößten Machtfaktor im Staat, wo das Wort Flyer wird. Was einer in Schrift setzt und druckt, das kann ein anderer lesen, der mit dem, der die Schriftzeichen in Reih und Glied bringt, bisher gar nicht in Verbindung steht.

Und dabei geschieht die Magie der Solidarisierung ohne Nähe: Beliebige Menschen sehen am gesetzten Gedanken, dass da einer, ja unabsehbar viele, fühlen, reden, ja sind wie er selbst.

Schon dass jemand überhaupt auf den Gedanken kam, gerade dies für andere zu setzen, zeigt ja, dass er auf diese anderen und ihr gleiches Leid, ihre gleiche Strebung gesetzt hat. Das Gesetzte wurde in diesem Sinne immer für genau den gesetzt, der es liest. Und das wird gefühlt und weitergesagt.

So metastasiert Unmut und Freude im Zwischenraum der Unbekannten, die nun das Gesetzte voneinander wissen können, und diese Metastasen anonymer Freundschaft und körperlosen Mitgefühls können sich zu einem Netz verbinden, in dem die Herrschaft sich unweigerlich verstricken muss.

Nun werden andere Themen als die Geschichte und Rechtmäßigkeit der eigenen Herrschaft im Raum zwischen den sich Unbekannten umgehen. Ein Herrscher aber wird jeden, der außer seiner Formation spricht, scharf fragen: „Was will er?“

Das Medium, das Mittlere, ist zu verstehen als der Zwischenraum der einander Unbekannten und als die Arena ihrer möglichen Allianzen. Was die einander zumeist unbekannten Vielen im Medium an Mobiliar, Wandschmuck, Ritualen und Hintergrundmusik vorfinden, ist, sobald einmal das Wort Flyer wurde, für den Herrscher von alles entscheidender Bedeutung.

Und so wird der kluge Herrscher das Medium durch von ihm lizensierte Druckwerke ausgestalten lassen, die an gut zugänglichen Stellen des Landes für die Untertanen vorgehalten werden. So ist sichergestellt, dass Unmut und Freude des Volks im rechten gedanklichen Rahmen auftauchen und auch getröstet oder gebändigt in diesen zurücksinken können.

Daher das Ewigkeitsbündnis von Regierung und Erbauungsdienstleistern, die im Abendland und anderswo stets gerne Erzählungen über Wüstenvölker und Wundertäter von vor tausend Jahren in Prachtausgaben drucken und aus ihnen vorlesen durften, um der bedrückten Herde mit dem Trost zugleich die Mahnung zur Demut auszusprechen.

Ein gewisser Wettbewerb

Ganz so einfach ist es nach dem Einbrechen der Eigenheiten unter den Untertanen nicht mehr. Wo das Subjekt beginnt, nicht eine, sondern manchmal zwei oder drei Reden je anderen Zuges über dasselbe Thema aus dem vergoldeten Buch der Wunder und Wüstengänge zu hören, da wird dem Herrscher ein neuer Beamter notwendig: Der Interpret, das heißt, der Erklärer oder Vermittler.

Es bedarf nun Interpreten, die aus den Standardwerken des Mediums wie aus einer Sammlung von Erzählungen und Sprüchen schöpfen und die diese – ganz oder versatzstückweise – im Geist der Herrschaft variieren und zirkulieren lassen.

Die Behörden, in denen die Interpreten wohnen, sind die Medienhäuser, die begrifflich genauer als Gestalter des Mediums, des Zwischenraums zwischen Herrschern und Beherrschten, zu bezeichnen sind. Medienhäuser haben sogar einen Wettbewerb untereinander, der in etwa der dreier oder vierer Redenschreiber um die Gunst des einen Königs ist.

Medienhäuser und ihre Setzkästen sind dazu da, die Menschen mit Papier unter eine Herrschaft zu beugen, ohne ihnen ständig eine Verbeugung abzuverlangen. Es reicht, wenn sie den Kopf zum Lesen leicht neigen, dann aufschauen und wieder an ihren Platz gehen.

Beginnt ein Untertan der Herrschaft, außerhalb der Setzkästen herrscherlich zugelassener Medienhäuser Papier zu bedrucken und es anderen zu lesen zu geben, so wird er sofort von jedem Herrscher, der dies vermag, mit Feuer und Schwert verfolgt.

Beginnt aber ein Untertan, Unbeaufsichtigtes zu drucken, und kommt er mit heiler Haut davon, so wurde die Herrschaft relativiert und die Freiheit im selben Maße ausgeweitet. Herrschaft geht durch das Medium, und Befreiung auch.

Michael Andrick ist Philosoph und Bestseller-Autor („Im Moralgefängnis“). Sein neues Buch „Ich bin nicht dabei – Denk-Zettel für einen freien Geist“ erschien im Mai 2025 und feiert am 15. Juli um 20 Uhr im Theater Pfefferberg (Berlin) Premiere.

Berliner-zeitung

Berliner-zeitung

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow