Menschenrechtssprecher der Grünen: „Die Anschlussfähigkeit der Linken für Islamismus macht mir Angst“

Der Bundestagsabgeordnete Max Lucks kritisiert zunehmende Allianzen von Progressiven mit Islamisten. Auch in der Linksfraktion gebe es problematische Akteure. Ein Gespräch.
In Frankreich bildete sich schon in den frühen 2000ern der Begriff des „Islamogauchisme“ (also „Islam-Linke“) heraus. Er soll Bündnisse zwischen Islamisten und Linken benennen, die insbesondere in ihrem Antizionismus und Antikolonialismus Gemeinsamkeiten finden. Aber auch in Deutschland kommt es immer wieder zu solchen Allianzen. Im Zuge des Gazakrieges, der auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 folgte, kam es immer wieder zu gemeinsamen Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen von islamistischen und linken Akteuren. Offenbar schwinden die Berührungsängste.
Max Lucks, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, ist ein ausgewiesener Gegner des Islamismus. Als Vertreter des linken Flügels der Partei nimmt der 28-Jährige auch sein eigenes Lager in den Blick. Es lasse sich zu häufig von Islamisten instrumentalisieren, sagt er. Nicht zuletzt, da er selbst schon für seine Positionen angefeindet und bedroht wurde, spricht er im Interview mit der Berliner Zeitung über die gefährliche Verharmlosung des Islamismus.
Herr Lucks, in der vorvergangenen Woche demonstrierten in Berlin 15.000 Menschen für Gaza. Dabei marschierten Linke unter den Flaggen der Taliban und des iranischen Regimes. Hat die politische Linke ein Islamismus-Problem?
Ich glaube, die linke Bewegung hat ein Problem mit Islamismus – und übrigens auch mit Antisemitismus. Es hat mich schockiert, dass Leute auf dieser Demonstration Symbole des Mullah-Regimes gezeigt haben, während dort eine ganze Bevölkerung brutal von einem menschen- und ganz besonders frauenverachtenden Regime unterdrückt wird.
Wie erklären Sie sich das?
Nehmen wir das Beispiel Gaza. Ich habe nach meiner letzten Rede im Bundestag einen unglaublichen Shitstorm aus dem islamistischen Lager bekommen. Nicht obwohl, sondern weil ich die rechtsextreme Regierung von Benjamin Netanyahu hart kritisiert habe. Das islamistische Lager scheint regelrecht Angst vor solchen Stimmen im Diskurs zu haben, die Israel als Demokratie bezeichnen und sich an die Seite der Netanyahu-kritischen Stimmen in dieser Demokratie stellen. Mein Eindruck war, dass die Leute, die auf mich mit Hass reagiert haben, jemanden an den Pranger stellen wollten. Islamisten nutzen bestimmte Themen für ihre Zwecke aus. Es geht ihnen nicht ernsthaft um Gaza, sondern um menschenverachtende Ideologie und Zerstörung.
Wie haben Sie diesen Shitstorm erlebt?
Mich haben Gewaltandrohungen erreicht. Ich solle aufpassen, wo ich mich bewege. Mir wurde vorgeworfen, ich sei verantwortlich für die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung. Da fragt man sich schon, ob man sich nicht aus bestimmten Diskursen zurückziehen sollte. Doch die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal und auch die Bedrohung der Existenz Israels ist nicht abgewendet. Wir dürfen uns als differenzierte Stimmen nicht aus dem Diskurs zurückziehen.
Sie sagen, Islamisten missbrauchen noble Ziele für ihre Zwecke. Warum sind linke Themen überhaupt anschlussfähig für sie?
Diese Anschlussfähigkeit ist etwas, was mir ernsthaft Angst macht. Die Linke ist für mich als jemand vom linken Flügel der Grünen eine befreundete Partei. Ich bin davon überzeugt, dass ein linkes Bündnis die beste Zukunft für dieses Land wäre, und ich schätze viele Kollegen in der Linkspartei. Aber wenn ich sehe, dass ein Landesvorstandsmitglied der Linken zurücktreten muss, weil es Arbeit gegen Antisemitismus leistet, oder dass auf einem Parteitag unter Beifall Israel als genozidaler Apartheidstaat bezeichnet wird, dann macht mir das ernsthafte Sorgen. Ich befürchte, dass es einige Politikerinnen und Politiker gibt, die von dieser islamistischen Tendenz in der Gesellschaft profitieren wollen.
Die Frauenbewegung im Iran erfuhr 2022 große Unterstützung von der globalen Linken, als sie blutig niedergeschlagen wurde. Was ist gekippt, dass Linke sich nun mit dem iranischen Regime solidarisieren?
Diese Verschiebung ist nichts Neues. In Bezug auf den Iran wurde vor drei oder vier Jahren öffentlich geäußert, dass in der europäischen Solidarisierung mit der iranischen Frauenbewegung eine Form von Eurozentrismus stecke. Die Grundursache dafür, dass es zwischen manchen Linken und Islamisten Allianzen gibt, liegt im Kulturrelativismus. Man geht davon aus, dass Frauen im Iran nicht die gleichen Rechte verdienten wie Frauen in Deutschland, weil sie Teil einer anderen Kultur seien. Das ist mit meinem menschenrechtspolitischen Universalismus unvereinbar.

Was Sie beschreiben, klingt fast nach dem Ethnopluralismus der Neuen Rechten. Der besagt, Kulturen sollten sich ihre eigenen Regeln geben, und sich eben nicht vermischen.
Es ist in der Tat eine Form des Ethnonationalismus, sogar eine Form des Rassismus, wenn man behauptet, eine Frau im Iran verdiene nicht dieselben Rechte wie eine in Deutschland.
Auch Ihre Partei wurde, als sie noch Teil der Regierung war und die Außenministerin stellte, wegen ihrer Haltung zu Nahost kritisiert. Etwa ein geheimes Dinner von Annalena Baerbock mit antizionistischen Aktivisten wurde gegen Ende ihrer Amtszeit zum Stein des Anstoßes.
Meine Partei ist vollkommen geeint, was unseren menschenrechtspolitischen Kompass angeht. Auch Annalena Baerbock ist da völlig klar gewesen. Keine EU-Außenministerin hat sich so sehr für die iranische Frauenbewegung eingesetzt wie sie. Das ist eine Stärke meiner Partei. Wir müssen es schaffen, damit in die politische Linke auszustrahlen. Zu dem Dinner: Ich glaube, dass es nicht schlecht ist, mit Menschen auch dann zu reden, wenn man ihre Meinung oder Grundannahmen nicht teilt.
Ihre Fraktionskollegin Lamya Kaddor sagte dieser Zeitung vor einiger Zeit, dass die Ampelregierung ihre Islampolitik „halbherzig“ angegangen sei. Glauben Sie, dass die Grünen in der Opposition ihren Kurs korrigieren sollten?
Ich schließe mich Lamya Kaddors Bewertung an und bin froh, dass wir sie als liberale muslimische Stimme in unserer Fraktion haben. Selbstverständlich braucht es eine klare Haltung in diesen Fragen – denn es gibt leider nun einmal Probleme mit Islamverbänden wie Ditib, Milli Görüs und anderen. Gleichzeitig müssen wir sehen, wie wir den vielen liberalen Muslimen in Deutschland Raum geben und sie würdigen.
Lamya Kaddor ist nicht die einzige migrantische Stimme, die sich kritisch zum Islamismus äußert. Ahmad Mansour oder Seyran Ateş sind andere Beispiele. Ihnen wird trotz ihrer Biografien immer wieder Islamfeindlichkeit angekreidet. Werden Betroffene des Islamismus in Deutschland allein gelassen?
Es gibt eine grassierende Islamfeindlichkeit in Deutschland, doch leider wird der Begriff auch von Islamisten instrumentalisiert. Wie oft wurde mir schon antimuslimischer Rassismus vorgeworfen, weil ich mich für die verfolgte Minderheit der Jesiden einsetze? Es macht mich wütend zu hören, dass solche Begriffe im Zusammenhang mit mutigen Menschenrechtsaktivistinnen wie Düzen Tekkal genannt werden, die eine unglaubliche Bereicherung für unsere Gesellschaft sind. Wer den Vorwurf der Islamfeindlichkeit so heftig sinnentlädt, nur um die eigene Diskursposition zu verteidigen, dem geht es nicht wirklich um Muslime oder Gaza. Es geht ihm um die Zerstörung unserer Demokratie.
Wen meinen Sie damit?
In der Linksfraktion im Bundestag gibt es leider auch einige wenige Akteure, bei denen ich Tendenzen wahrnehme, im Duktus des Autoritären zu agieren – etwa das gezielte Herausgreifen und Markieren von Personen als Feindbild. Ich habe das selbst erlebt, und es bereitet mir große Sorgen. Ich hoffe sehr, dass die vielen vernünftigen Kräfte in der Fraktion hier eine klare Linie finden – gegen Antisemitismus und gegen die Übernahme islamistischer Methoden.

Der auf das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 folgende Gazakrieg hat zu einer enormen Politisierung und Emotionalisierung der jungen Generation geführt. Die Linke konnte das für sich nutzen. Nun hat sie die Grünen als beliebteste Partei der Jungen abgelöst. Wie sprechen Sie diese Menschen an?
Es gibt einzelne Stimmen in unserem Land, die die Debatte zu Gaza auf dem Rücken der Jüdinnen und Juden führen. Es ist unerträglich, dass jüdische Studierende sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Leider tragen auch einige in der Linksfraktion zu diesem Klima bei. Wir Grüne stellen uns der Toxizität des Diskurses bewusst entgegen. Für uns ist das kein Fußballspiel, bei dem man für Israel oder Gaza ist: Es geht darum, die Situation vor Ort zu lösen. Ob sich diese Linie für uns auszahlt, weiß ich nicht. Aber es ist richtig. Wir werden uns niemals der Methoden von Islamisten bedienen – das unterscheidet uns von anderen.
Warum haben sich die Jungen denn von den Grünen abgewandt?
Wegen einer Vielzahl von Gründen. Wir müssen da selbstkritisch sein. Einer der Gründe liegt natürlich beim Thema Gaza. Wir hätten in der Bundesregierung früher deutlich machen müssen, dass Netanyahus Kriegsführung eng mit dem globalen Rechtsruck verknüpft ist. Darüber hinaus haben wir bei der Migrationspolitik Wähler aus dem progressiven Spektrum verloren. Sie wollten Humanität, keine Asylrechtsverschärfungen. Zuletzt müssen wir sehen, dass sich im Windschatten der Inflation die soziale Ungerechtigkeit im Land verschärft hat. Das betrifft junge Menschen ganz besonders.
Sie erwähnen die Migrationspolitik: Hat der erstarkende Islamismus auch etwas mit Migration zu tun?
Islamismus lässt sich nicht mit Migrationspolitik bekämpfen – das verdreht die Tatsachen. Wer Menschen, die vom Islamismus fliehen, etwa Jesiden, abschiebt, trifft nicht die Täter, sondern die Opfer. Genau das passiert derzeit in Deutschland und das ist eine Schande. Islamismus ist ein ideologisches und kein Herkunftsproblem – viele Islamisten haben eine rein deutsche Biografie. Deshalb brauchen wir eine klare, ideologiekritische Haltung statt rechter Reflexe.
Man könnte einwenden, dass die Immigration aus islamischen Ländern, selbst wenn nur ein kleiner Teil der Zugewanderten für Islamismus empfänglich ist, das Problem verschärft.
Wir als Gesellschaft neigen dazu, Islamismus zu externalisieren. Für die Politik ist es viel einfacher, wenn man so tut, als sei das Problem von außen eingewandert. Dabei ist dieses Problem hier in Deutschland beheimatet – hier radikalisieren sich Menschen jeden Tag über das Internet, auf den Schulhöfen, auf den Straßen. Und manchmal auch in Moscheegemeinden. Wir sollten endlich verstehen, dass wir migrantische Kräfte aktiv mit einbeziehen müssen in den Kampf gegen Islamismus. Islamismus in Deutschland ist ein deutsches Problem, das wir hier angehen müssen.
Wie könnte man dem Islamismus konkret begegnen?
Durch eine massive Stärkung der Bildungs- und Aufklärungsarbeit und eine staatliche Deutlichkeit in bestimmten Haltungsfragen. Wenn Lehrerinnen und Lehrer mit Homophobie aus dem islamistischen Spektrum konfrontiert werden, muss der Staat Haltung zeigen. Deswegen ist es so scheinheilig, wenn ausgerechnet solche Fälle von der rechtsextremen AfD herausgepickt werden, die Aktionspläne für Vielfalt an Schulen einstampfen will. Das ist reine Instrumentalisierung. Die wirksamsten Maßnahmen sind vielleicht nicht populär und auch nicht populistisch, aber sie wären hilfreich.

Gleichzeitig hat eine aktuelle Recherche der Welt am Sonntag aufgedeckt, dass über das „Demokratie-Leben“-Programm des Familienministeriums unter der Grünen Lisa Paus teils antisemitische und islamistische Akteure gefördert wurden. Sind solche Programme dann noch ein probates Mittel gegen Islamismus?
Projekte mit islamistischen oder antisemitischen Tendenzen dürfen kein Geld bekommen – das ist Voraussetzung für echte Demokratieförderung. Aber die Debatte muss umfassend geführt werden: Wir haben in der Zivilgesellschaft Probleme mit Islamismus und Antisemitismus, aber auch mit Rechtsextremismus, Homophobie und Sexismus. Wir können diese Probleme nur wirksam bekämpfen, wenn wir allen Formen der Menschenfeindlichkeit entschlossen entgegentreten.
Ihre Partei wirkt jetzt als Oppositionskraft. Geht die neue Bundesregierung entschieden genug gegen Antisemitismus und Islamismus vor?
Es gab 2024 mehr als 6000 antisemitische Straftaten in Deutschland, das ist bei etwa 200.000 Jüdinnen und Juden ein schändliches menschenrechtspolitisches Armutszeugnis für dieses Land. Die Vulnerabilität der jüdischen Gemeinde in Deutschland ist die zentrale nationale Menschenrechtsfrage derzeit. Ich finde es gut, dass sich die Bundesregierung dazu verhält, aber mit konkreten Maßnahmen bleibt sie zurück. Und Antisemitismus wird oft nur dann thematisiert, wenn er aus dem islamistischen oder linken Spektrum kommt. Deutschland hat auch mit Antisemitismus von rechts und aus der Mitte zu kämpfen. Hier sollte die Bundesregierung klare Haltung zeigen. Innenpolitisch müssen die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen steigen und außenpolitisch ist es endlich Zeit, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen.
Berliner-zeitung