Linke zweitstärkste Kraft: Jagen sie Kai Wegner aus dem Roten Rathaus?

Die Linke in Berlin setzt ihren Höhenflug der vergangenen Monate fort und landet auf Platz zwei hinter der CDU. Wie kommt es dazu?
Die Linke in Berlin ist die große Gewinnerin einer Umfrage des RBB. Laut Berlin-Trend des Umfrageinstituts Infratest dimap wäre sie mit 19 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU (25 Prozent) – deutlich vor den Grünen (15 Prozent), der SPD (14), der AfD (13 Prozent) und dem BSW (4 Prozent). So stark war die Linke zuletzt im Jahr 2001. Gut ein Jahr vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl stellt sich nun die Frage: Wird Berlin jetzt rot?
Ein tieferer Blick in die Zahlen gelingt aber erst dann, wenn man mit einberechnet, dass es in der Zeitrechnung des jüngsten politischen Berlin ein „vor“ und ein „nach“ der Bundestagswahl vor vier Monaten gibt: Beim letzten Berlin-Trend im November 2024 – in den Tagen und Wochen des Scheiterns der Ampel – lag die CDU mit 27 Prozent weit vorne, die Grünen standen mit 20 Prozent gestärkt an Platz zwei, gefolgt von der AfD mit 15 Prozent.
Berliner Linke: Bei der Bundestagswahl explodierten die ZahlenSPD und Linke schwächelten dramatisch. Die einen litten an sich selbst und ihrem schwachen Personal. Die anderen durchlebten die Nachwehen der Trennung von Sahra Wagenknecht und den Weggang profilierter Köpfe wie Langzeit-Senator Klaus Lederer, die vor einem kaum mehr gezügelten Antisemitismus der Aktivisten kapitulierten.
Bei der Bundestagswahl drei Monate später explodierten die Zahlen der Linken – dennoch, oder gerade deswegen? Die neu aufgestellte Partei holte atemberaubende 19,9 Prozent in der Hauptstadt und wurde zur Nummer eins. Mit Neukölln wurde erstmals ein West-Wahlkreis gewonnen, mit Friedrichshain-Kreuzberg der Grünen-Erbhof erobert.
Die Analyse schien einfach: Friedrich Merz brachte mit seinem aggressiven Migrationswahlkampf, in dem er mit der AfD abstimmte, viele Menschen auf und trieb sie in Massen ins Lager der Linken. Zweiter Sieger dieses Manövers war die AfD, alle anderen verloren. Hinzu kam ein noch nie gesehenes TikTok-Gewitter der Linken zu Aufregerthemen wie Mieten, Krieg und Frieden.
An den neuen Zahlen sind nun vor allem sechs Dinge bemerkenswert.
Erstens: Die Linken haben sich auf sensationell hohem Niveau stabilisiert. Das heißt, dass das Ergebnis der Bundestagswahl kein One-Hit-Wonder war. Und das, obwohl die Partei nach dem Lederer-Aderlass kaum noch namhafte Personen hat. Die Berliner Sieger sitzen alle im Bundestag. Co-Parteichef Maximilian Schirmer will dennoch eine „rote Metropole“, am liebsten schon bei der Abgeordnetenhauswahl im September nächsten Jahres. Ob mit ihm selbst oder mit der Abgeordneten Elif Eralp vom starken migrantischen Flügel an der Spitze, ist noch nicht ausgemacht. Keine Rolle spielt mehr die einstige Hoffnungsträgerin Katja Kipping. Die ehemalige Arbeitssenatorin steht den Pragmatikern um Lederer viel näher als den aktivistischen, sich selbst isolierenden Bewegungs-Linken, von denen viele die Partei am liebsten in keiner Regierung sähen. Der Zeitgeist der Neu-Linken ist oppositionell.
Zweitens: Die Berliner CDU hat sich von der Merz-Delle erholt. Die 25 Prozent liegen nur zwei Prozentpunkte hinter den Werten des Berlin-Trends im November 2024 und sind damit ein ordentliches Ergebnis. Kai Wegner steht fürs Erste gestärkt da. Dabei gaben nur 26 Prozent der Befragten an, mit der Arbeit der Berliner Regierung „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ zu sein. 68 Prozent sagten hingegen, sie seien „wenig“ oder „gar nicht zufrieden“ mit dem schwarz-roten Senat. Auch mit dem Regierenden Bürgermeister selbst sind nur 29 Prozent der Befragten zufrieden.
Drittens: Die Grünen verharren in ihrem Tief. Im November 2024 lagen sie bei 20 Prozent, bei der Bundestagswahl enttäuschten sie mit 16,8 Prozent, konnten also nicht von der Anti-Merz-Stimmung im linken Lager profitieren. Die aktuellen 15 Prozent sind für die Grünen eine mittelschwere Katastrophe, der Trend bleibt negativ. Für die ewige Frontfrau Bettina Jarasch muss das alarmierend sein, zumal es an zündenden Themen fehlt. Es könnte also einen Wiederaufguss des Bullerbü- und Poller-Wahlkampfes von 2023 geben. Doch nicht nur Jarasch weiß, dass ein maximal polarisierendes Thema riskant ist. Schließlich war dies ein Mosaikstein für Kai Wegners ziemlich unverhofften Aufstieg zum Regierenden Bürgermeister.

Viertens: Die SPD bleibt in ihrem Loch. Zwei Prozentpunkte mehr als 2024 mag okay sein, doch 14 Prozent sind immer noch erschütternd wenig. Hinzu kommt, dass die Sozialdemokraten selbst bei der so schwierigen Bundestagswahl etwas besser abschnitten. So oder so wird das Zwischenergebnis das Für und Wider einer Koalition mit der CDU noch befeuern. Erschwerend hinzu kommt, dass keiner weiß, mit wem man in die nächste Wahl gehen will. Franziska Giffey hat so viele Feinde unter den Freunden, dass eine Nominierung ziemlich unwahrscheinlich ist. Raed Saleh verliert sogar die eigenen Parteiwahlen, wie sollte er jemals Regierender Bürgermeister werden. So hängt vieles an Kevin Kühnert. Tritt er nicht an, könnte es tatsächlich zu einer Lösung aus der Bundespolitik kommen. Namen drängen sich freilich nicht auf.
Fünftens: Die AfD kommt in Berlin nicht vom Fleck. 15 Prozent im Jahr 2024, 15,2 Prozent bei der Bundestagswahl, 13 Prozent jetzt – das sind respektable Ergebnisse, mehr nicht. Bisher hat es sich nicht ausgezahlt, dass im Abgeordnetenhaus inzwischen ein Höcke-Mann für die Innenpolitik zuständig und der Ton noch schärfer geworden ist. Auch die Dauerkritik an der Flüchtlingspolitik verliert ihre Wucht, wenn die Zahlen der Neuankömmlinge sinken. Personell zumindest scheint die Sache klar: Spitzenkandidatin für 2026 dürfte wieder Partei- und Fraktionschefin Kristin Brinker werden.
Sechstens: Das Bündnis Sahra Wagenknecht rutscht weiter ab, nur noch 4 Prozent stehen beim BSW zu Buche. Hauptgrund: das dramatische Scheitern an der 5-Prozent-Hürde im Bundestag. Umso dringender ist es, sich breiter aufzustellen, vom Privatverein mit handverlesenem Personal hin zu einer Partei mit Bezirksverbänden und breiter thematischer Kompetenz. Sonst kann das Experiment zumindest in der Hauptstadt ganz schnell scheitern. Sahra Wagenknecht spielt in Berlin keine Rolle – und dass sich die verlässliche Regierungspolitik im Nachbarland Brandenburg für Berlin irgendwie auszahlt, ist eine allzu vage Hoffnung.
Berliner-zeitung