Grünen-Fraktionsvorsitzende irritiert mit Spruch: Nazi-Aussage oder normale Redewendung?

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagt in einer Talkshow „Jedem das Seine“ und entschuldigt sich hinterher. Der Satz hat eine lange Geschichte.
Mittwochabend, Polit-Talkshow „Maischberger“ in der ARD: Katharina Dröge, die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, spricht über Politiker-Videos, auch solche, in denen Markus Söder immer wieder Wurst isst. Dröge sagt: „Jedem das Seine!“ Im Video der TV-Sendung ist keine Reaktion der anderen Gesprächsteilnehmer oder aus dem Publikum wahrzunehmen. Dabei war Dröges Spruch die zynisch-menschenverachtende Inschrift an einem Tor des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Buchenwald.
Tags darauf schrieb bei Dröge via Kurznachrichtendienst X: „Ich habe bei Maischberger einen Fehler gemacht. Auf eine Frage über lustige oder peinliche Social-Videos wollte ich sagen: jeder so wie er mag. Stattdessen habe ich aus Versehen die Formulierung ‚jedem das seine‘ benutzt. Das hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir sehr leid.“
Ich habe bei Maischberger einen Fehler gemacht. Auf eine Frage über lustige oder peinliche Social-Videos wollte ich sagen: jeder so wie er mag.
Stattdessen habe ich aus Versehen die Formulierung „jedem das seine“ benutzt. Das hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir sehr leid.
Die Politikerin hat sich für einen unbedacht dahergesagten Spruch entschuldigt, der zwar in der Römerzeit geprägt („Suum Cuique“, etwa im Sinne von „Jedem nach seinem Verdienst“), aber von den Nazis pervertiert wurde. Dennoch ist „Jedem das Seine“ anders als sein Bruder im Geiste „Arbeit macht frei“ (an den Toren zum Beispiel von Auschwitz, Sachsenhausen oder Dachau) nicht aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwunden. Ganz im Gegenteil.
So listet die Bundeszentrale für politische Bildung in einem Artikel gleich eine ganze Reihe von Unternehmen auf, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Werbesprüchen Anleihen bei dem nationalsozialistisch vergifteten Spruch nahmen: Aufgeführt werden unter anderem Nokia, Rewe, Microsoft, Burger King, die Deutsche Telekom und die Münchner Merkur-Bank. Im Januar 2009 sorgte eine gemeinsame Kampagne von Esso und Tchibo, die an rund 700 Tankstellen mit dem Werbespruch „Jedem den Seinen“ die Sortenvielfalt des Kaffeeherstellers anpriesen, für Aufsehen.

Bei Nokia protestierte übrigens das American Jewish Commitee scharf. Das Telekommunikationsunternehmen überklebte den Spruch, mit dem für austauschbare Handy-Gehäuse geworben werden sollte, mit dem Titel einer Shakespeare-Komödie: „Was ihr wollt“.
Doch ist mit Katharina Dröges Entschuldigung alles gut? Für sie bestimmt, denn die – auch juristische – Bewertung solcher Aussprüche hängt ganz vom Kontext ab.
Um diesen Kontext ging es zum Beispiel bei Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, als er 2021 auf einer Wahlkampfveranstaltung in Merseburg in die Menge rief: „Alles für Deutschland“ – einen Slogan der SA. Höcke wurde nach Paragraf 86a im Strafgesetzbuch wegen „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ verurteilt. Der Historiker Höcke ging dagegen mit dem Argument vor, er habe von der SA-Parole nicht gewusst. Mittlerweile sind die Urteile rechtskräftig.
Kritiker sahen in Höckes Spruch eine kalkulierte Mehrdeutigkeit, die die Grenzen des Sagbaren ausloten und ausweiten wolle. Dazu hat sich der Begriff Hundepfeifen-Politik eingebürgert. Gemeint ist die Nutzung einer vermeintlich unverfänglichen Sprache, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden wird.
Nicht immer ist „Jedem das Seine“ verbotenAuch „Jedem das Seine“ hat schon Gerichte interessiert, weil der Kontext eindeutig war. So gab es 1996 Aufregung, als der Schriftsteller Trutz Hardo einen Roman mit dem Titel „Jedem das Seine“ veröffentlichte. Darin rechtfertigt er den Holocaust, indem er ihn durch einen esoterischen Wiedergeburtsglauben relativiert und von „karmischer Gesetzmäßigkeit“ fantasiert. Das Amtsgericht Neuwied verurteilte den Autor nach Paragraf 86a zu einer Geldstrafe und untersagte die Weiterverbreitung des Buches. Das bedeutete: In Deutschland ist es verboten, sich „Jedem das Seine“ in der NS-Bedeutung der Buchenwalder Inschrift öffentlich zu eigen zu machen und so das Nazi-Unrecht zu rechtfertigen.
15 Jahre später sorgte ein NPD-Mann aus Brandenburg für Schlagzeilen, als er in einem Oranienburger Schwimmbad eine Tätowierung entblößte, die einen Auschwitz-Wachturm und das Buchenwald-Logo „Jedem das Seine“ zeigte. Mehrere Gerichte urteilten, dies sei als Billigung des Massenmordes an Juden im Dritten Reich strafrechtlich zu ahnden. Der Mann erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, auch dies nach Paragraf 86a.
Unbeanstandet blieb dagegen Henryk M. Broders Buch „Jedem das Seine“ aus dem Jahr 1999. Darin setzt sich der Publizist kritisch mit dem historischen Erbe auseinander und analysiert die Missbrauchspotenziale und die sprachliche Macht solcher Slogans.

Auch im Fall des Wiener Rappes Money-Boy gibt es keine Berichte über juristische Konsequenzen, nachdem er in seinem Lied „Monte Carlo“ von 2017 sang: „Jedem das Seine, aber mir bitte das meiste.“
In Karl Schnogs Lyrikband „Jedem das Seine“ aus dem Jahr 1947 findet sich ein 1943 in Buchenwald verfasstes Gedicht, in dem er die mit der Torinschrift assoziierten Quälereien und Morde andeutet. In der Schlussstrophe dreht er hocherhobenen Hauptes den Spieß um.
In der ersten Strophe heißt es:Die Herren haben wirklich HumorIn diesen bitteren Zeiten:„JEDEM DAS SEINE“ steht höhnisch am Tor;Durch das die Häftlinge schreiten.Und in der letzten:Ihr Herren, die ihr heute noch grient,Glaubt mir, was ich schwörend beteure:Einst holt sich der Häftling, was er verdient.
Und Ihr? Ihr bekommt dann das Eure!
Berliner-zeitung