Gaza-Proteste | »Sie hat sich hier einen Strohmann aufgestellt«
Du hast bislang über 16 000 Euro über Crowdfunding gesammelt, weil du von der pro-israelischen Influencerin Karoline Preisler verklagt wirst. Was ist da passiert?
Im vergangenen September veröffentlichte ich auf X einen Post mit einem 30-sekündigen Videoausschnitt eines Interviews, das Preisler zuvor Anna Staroselski vom rechtskonservativen, pro-israelischen Verein Werte-Initiative gab. Darin habe ich Preisler wörtlich zitiert und mit meinen Worten »Das ist die Radikalisierung der Mitte« eingeordnet. Sie nahm sich einen Anwalt, der mir ernsthaft – so stellte sich später heraus – zunächst über Instagram eine Abmahnung mit Aufforderung zur Tweet-Löschung und Zahlung von über 1500 Euro übersandte. Preisler fahndete dann öffentlich nach meiner Adresse, eine Zeit später kam die Abmahnung per Brief, und ein paar Monate darauf dann das Schreiben vom Landgericht, dass es zur Verhandlung kommt.
Auf praktisch jeder Versammlung, die Preisler besucht, hält sie ein Schild »Rape is not resistance«, dein Posting bezieht sich genau darauf. Wo ist der Zusammenhang?
Preisler setzt sich nach Eigendarstellung für Opfer von Vergewaltigungen durch die Hamas ein, und im relevanten Teil des besagten Interviews geht es um Vergewaltigungsvorwürfe gegen israelische Soldaten. Im von mir geposteten Ausschnitt sagt Preisler: »… selbst da ist Israel noch der menschlichere Akteur«. Ihr Anwalt sagt, Preislers Aussage beziehe sich auf den von ihr behaupteten Umstand, in Israel würde derartigen Vorwürfen juristisch nachgegangen. Mit der Realität hat das freilich nicht viel zu tun. Sexualisierte Gewalt gegen Palästinenser durch israelische Soldaten ist laut UN und der israelischen Menschenrechts-NGO B‘Tselem »systematisch«, israelische Minister und Vertreter der Regierungsfraktionen stellten sich schützend vor mutmaßliche Vergewaltiger, organisierten Demos für sie, die Netanyahu-Regierung blockierte eine UN-Untersuchung von Vergewaltigungsvorwürfen, und fünf Soldaten, die gestanden hatten, einen Palästinenser sexualisiert gefoltert und getötet zu haben, wurden im Januar freigesprochen – wo ist der »menschlichere Akteur«?
Aber ist es nicht korrekt, dass in Israel Vorwürfen gegen das Militär immer nachgegangen wird? Das jedenfalls sagen Menschen, die das Land als »einzige Demokratie im Nahen Osten« bezeichnen.
Es gab diesen einen Fall aus dem Sommer 2024, als neun Soldaten, die der sexualisierten Folter an einem palästinensischen Gefangenen beschuldigt wurden, verhaftet wurden. Die meisten wurden freigelassen, aktuell laufen Verhandlungen über einen Vergleich, nicht jedoch wegen sexualisierter Gewalt. Initiiert unter anderem von Fraktionsmitgliedern der extrem rechten Regierungskoalition kam es sogar durch einen solidarischen Mob zur Erstürmung der Militärbasis, in der die Täter inhaftiert waren. Hier wurde auch nur ermittelt, weil der Fall aufgrund eines geleakten Videos der mutmaßlichen Vergewaltigung weltweit Schlagzeilen machte. Allen anderen Vorwürfen grausamster Misshandlungen wird in aller Regel nicht nachgegangen. Israelische Medien beschreiben Israel auf dem Weg in den »Faschismus« oder hin zur »Theokratie« – das Label der »einzigen Demokratie« ist ein liberales Hirngespinst, das Akteure im Westen diesem Land auch weiterhin unbeirrbar anheften wollen.
Was soll Preislers – wohl auf die Hamas gemünzte – Aussage »Vergewaltigung ist kein Widerstand« eigentlich heißen?
Sie hat sich hier einen Strohmann aufgestellt, und seit bald zwei Jahren kämpft sie gegen diesen an. Denn: Wer behauptet bitte, Vergewaltigung sei Widerstand? An wen richtet sich ihre vermeintliche Kritik überhaupt? Und warum protestiert sie nicht auch gegen die sexualisierte Gewalt durch israelische Soldaten gegen palästinensische Frauen, Kinder und Männer?
Du hast zu den israelischen Vergewaltigungen auch publiziert ...
Im April habe ich auf »etos.media« eine Recherche veröffentlicht, in der ich versucht habe, sämtliche Vergewaltigungsvorwürfe gegen israelische Soldat*innen nach dem 7. Oktober umfassend zusammenzutragen. Es ist der schrecklichste Text, den ich je geschrieben habe, und er steckt voller Verrohung, menschlicher Abgründe und schier Unaussprechlichem. An dieser Stelle möchte ich das nicht weiter ausführen, es übersteigt alles, was wir aus Guantanamo und Abu Ghraib kennen.
Wie argumentiert Preislers Anwalt Ralf Höcker in der Klage gegen dich?
Die Kanzlei wirft mir vor, ich hätte den Videoausschnitt »bewusst« geschnitten, was schlicht unwahr ist, da ich den Clip so von einem anderen Account heruntergeladen hatte. Man wirft mir »eine schwerwiegend rufschädigende, rechtswidrige Falschbehauptung zu Lasten der Klägerin« vor; auch sei ich »mitverantwortlich« für die negative internationale Berichterstattung gegen Preisler – wobei mein vermeintlicher Einfluss hier doch sehr aufgeblasen wird.
Wie bewertest du die Vorwürfe?
Ich halte sie für falsch. Aufgrund des laufenden Verfahrens kann ich an dieser Stelle nicht mehr dazu sagen.
Der Medienanwalt Höcker engagiert sich ansonsten auch für Rechtsradikale. Was weiß man über ihn?
Seine Kanzlei vertrat und vertritt die AfD, aktuell im Rahmen der VS-Einstufung als »gesichert rechtsextremistische Bestrebung«. Zuvor vertrat sie den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder die Potsdamer rechten »Remigrations«-Netzwerker. »Ralf Höcker hält es für seinen Job, Journalisten zu beeinflussen, indem er sie bedroht«, schrieb die Stiftung Warentest einmal, und das würde ich so unterschreiben. Im Januar antwortete Höcker einem User auf X: »Freust du dich auch schon so auf den Sommerurlaub 2027 im geräumten, blitzsauberen und sicheren Gazastreifen? Es wird ganz großartig!« Das sind unsere Gegenspieler.
In dem Crowdfunding ordnest du das Vorgehen als SLAPP ein. Wieso?
SLAPP steht für »Strategic Lawsuit against Public Participation« und meint das Phänomen der gezielten Einschüchterung von Journalist*innen oder Aktivist*innen mit rechtlichen Mitteln – sie sollen durch finanziellen Ruin und Auffressen sämtlicher Ressourcen mundtot gemacht werden. Die deutsche Berichterstattung zu Palästina und Israel im Allgemeinen und zum laufenden Genozid in Gaza im Speziellen ist auf regelrecht groteske Weise unterirdisch und beschränkt sich oft auf das Copy-Pasten israelischer Pressestatements und die Verteidigung zutiefst menschenverachtender Positionen. Die Zahl der Kolleg*innen, die sich hier klar gegen israelische Verbrechen, ein Ende der Gewalt und für einen nachhaltigen und gerechten Frieden aussprechen, ist sehr überschaubar. Täglich sind wir Angriffen gut vernetzter Akteure ausgesetzt.
Preisler wird bei ihren Aktionen oft begleitet von ein paar Medienaktivisten, die zwar Presseausweise haben, aber für Vereine arbeiten. Wie gehen die vor?
Ich habe kein Interesse daran zu bewerten, wer aus diesem Umfeld Journalist*in ist und wer nicht. Doch wir können festhalten, dass wir seit geraumer Zeit offenbar koordinierte Kampagnen zur Schmähung und Diffamierung pro-palästinensischer Demos und einzelner Personen erleben. Staat, Polizei, rechte Medien und verschiedenste Akteure quer übers parteipolitische Spektrum hinweg spielen sich hier gegenseitig die Bälle zu und versuchen, im Sinne der bundesdeutschen Staatsräson Protest gegen Israels Gewalt zu delegitimieren. All das ist brandgefährlich.
Mit ihren Ein-Frau-Versammlungen will Preisler maximale Aufmerksamkeit erregen und schafft das in einer bestimmten Blase auch ...
Es ist offenbar, dass es hier um Inszenierung und Selbstdarstellung geht. Springers »Bild« halluziniert von der »mutigsten Demonstrantin Deutschlands« und meint damit eine rechte Influencerin, die geschützt von Polizisten in pro-palästinensische Demos hineingeht, um dort die Leute zu provozieren. Doch wer hat denn hier tatsächlich Mut? Es sind all jene Solidarischen, die seit Monaten gegen einen Völkermord, gegen das Abschlachten in Gaza auf die Straßen gehen und dafür von Polizei verprügelt und von Medien und Politik verleumdet werden.
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