Gaza-Demos von Linke und BSW in Berlin: Was macht das mit der Stadt?

Berlin hat einige Wochen leidlicher Ruhe vor dem Nahost-Krieg hinter sich. Zwar gab es auch den Sommer über regelmäßig propalästinensische, antiisraelische Demonstrationen in der Hauptstadt, ihre Außenwirkung war jedoch begrenzt. Mit dieser relativen Ruhe könnte es jetzt vorbei sein. Am kommenden Wochenende steigt eine prominent besetzte Pro-Gaza-Kundgebung. Zwei Wochen danach folgt die nächste. Die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima in der Stadt sind unabsehbar.
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht ruft zu einer Kundgebung am Sonnabend um 14 Uhr am Brandenburger Tor auf. Unter dem Motto: „Stoppt den Völkermord in Gaza!“ Weitere Forderungen sind: „Keine Waffen in Kriegsgebiete!“ und „Frieden statt Wettrüsten“.
Aufrufe zu Gaza-Demos: Altbekannte PropagandaDas Narrativ des „Völkermords“ Israels an Palästinensern ist umstritten. Es wird hauptsächlich von harten Israel-Kritikern verwendt, die sich dabei nicht selten auch antisemitischer Klischees und Motive bedienen. So etwa auch mit der Behauptung, „Gaza ist heute der größte Kinderfriedhof der Welt“, wie sie auch in Wagenknechts Demo-Auruf steht. Die Aussage ist durch nichts zu belegen und dient ausschließlich der Entmenschlichung israelischer Politiker und Soldaten.

So oder so: Wagenknechts Aufruf trifft auf fruchtbaren Boden – bei alten wie mitteljungen Leuten in der Kultur. Auf der Liste der Bühnenprominenz stehen neben Wagenknecht auch der ehemalige Pink-Floyd-Bassist und notorische britische Antisemit Roger Waters (82 Jahre alt), Schauspieler und Theaterchef Dieter Hallervorden (90 Jahre alt) sowie die beiden Rapper Massiv (ehemals Pittbull, bürgerlich: Wasim Taha), ein palästinensisch-stämmiger 42-Jähriger aus dem pfälzischen Pirmasens und Bausa (bürgerlich Julian Otto), ein 36-Jähriger aus Saarbrücken.
Bausa gehörte genauso wie Musik-Kollegin Shirin David zu den mehr als 200 deuschen Prominenten, die Ende Juli einen offenen Brief an Friedrich Merz unterschrieben. Titel: „Lassen Sie Gaza nicht sterben“
Sie forderten ein Umdenken in der aktuellen Israel-Politik. Konkret wurde der Stopp aller deutschen Waffenlieferungen nach Israel, Unterstützung für das Aussetzen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel sowie die nachdrückliche Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe gefordert.
Zwei Wochen nach dem BSW, am 27. September, steht „Zusammen für Gaza“ auf dem Berliner Demonstrationsprogramm. Los geht's um 14.30 Uhr vom Neptunbrunnen auf dem Alexanderplatz, Ziel ist der Hauptbahnhof. Die Linken-Chefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken schreiben in dem Aufruf, „der Krieg in Gaza fordert täglich neue zivile Opfer durch anhaltende Bombardierungen und die Blockade Israels, die unabhängige Hilfe und Versorgung verhindert“ und verbreiten das von scharfen Israel-Kritikern angeführte Narrativ von einer „menschengemachten Hungersnot“. Weiter heißt es, es solle mit der Demonstration ein gemeinsamer Raum für friedlichen Protest geschaffen werden, der frei sei von Diskriminierung. „Rassistische und antisemitische Äußerungen jeglicher Art werden nicht toleriert.“
Zu den Initiatoren der Demonstration gehören laut Aufruf die wegen ihrer vielfältigen Angriffe gegen Israel und seine Unterstützer bekannte Schriftstellerin und Aktivistin Deborah Feldman sowie Michael Barenboim, Sohn des Ehrenbürgers von Berlin, Daniel Bareinboim.
Barenboims Sohn: Deutschland ist verpflichtet, die Unterstützung für Israel einzustellenDer Musiker Michael Barenboim schloss sich im November 2024 einer Gruppe prominenter deutscher Intellektueller an, die forderten, dass Deutschland für die Handlungen Israels im Gazastreifen zur Verantwortung gezogen wird und Reparationen für die umfangreiche Zerstörung zahlt. Barenboim sagte: „Die endlosen Massaker, die im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland und im Libanon stattgefunden haben (...), verpflichten Deutschland endlich dazu, die Unterstützung Israels – sei es militärisch, diplomatisch oder rechtlich – einzustellen.“

BSW und Linke mögen sich bei den Intentionen zu den Demonstrationen ähnlich sein, doch es gibt einen gravierenden Unterschied: Während aus dem BSW keinerlei Kritik an der Haltung von Wagenknecht und Co zum Krieg in Nahost nach außen dringt, wird bei den Linken um den angemessenen Kurs gerungen.
Felix Klein, Antimsemitismusbeauftragter des Bundes, hält die „Völkermord“-Parole für eine „äußerst problematische Behauptung, die gerade in linken Kreisen immer wieder zu hören ist“. Das sichere vor allem Aufmerksamkeit, wie er auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilt. Dabei klar sein, „dass es sich um einen der schwerwiegendsten Vorwürfe überhaupt handelt und der bislang vom Internationalen Gerichtshof nicht festgestellt wurde“. Dafür müsste die Vernichtungsabsicht einer nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe nachgewiesen werden, das heißt, die Absicht, diese Gruppe ganz oder teilweise auslöschen zu wollen.
Für Klein ist klar: Bei den militärischen Fähigkeiten Israels würden die ohnehin schon hohen Opferzahlen im Gazastreifen wohl ganz anders ausfallen, wenn Israel dort tatsächlich eine genozidale Intention hätte. Tatsächlich verteidige sich Israel gegen eine Terrororganisation, die das Land bestialisch überfallen hat und seine Bürger als Geiseln gefangen hält. Und: „Wer in diesem Zusammenhang von ,Genozid' spricht, macht das Wort zu einem politischen Kampfbegriff und dämonisiert damit Israel.“
Anschließend geht Klein auch auf die Aufrufe zu beiden Aufmärschen ein. „Leider haben wir bei Mitgliedern von BSW wie Linken in der Vergangenheit immer wieder extreme, israelfeindliche Positionen feststellen müssen, auch bei Mitgliedern des Bundestags. Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung“, schreibt er. Wer auf das Leid von Menschen hinweisen und dieses anprangern möchte und sich zugleich nicht von schlimmsten Terrororganisationen auf das schärfste abgrenzt, mache sich in seinen Augen unglaubwürdig. „Beide Parteien möchte ich fragen: Warum unterstützen sie keine Demonstration gegen Hamas?“
Berlin: Wie wirken sich Gaza-Demos auf arabisch-geprägte Bezirke aus?Doch was erwächst aus den beiden Demonstrationen? Gehen von ihnen möglicherweise Gefahren für das Zusammenleben der Menschen in Berlin aus? Vertiefen sich die Gräben, erst recht in stark palästinensich oder syrisch geprägten Stadtvierteln wie Nord-Neukölln rund um die Sonnenallee, wo es kaum mehr Geschäfte mit nicht-arabischen Inhabern gibt?
Erst vor wenigen Wochen hatte Berlins Antimsemitisusbeauftragter Samuel Salzborn konstatiert, das Leben jüdischer Mitbürger sei in Deutschland mittlerweile stark eingeschränkt – auch in der Hauptstadt: „Wir haben nach wie vor eine hoch angespannte Sicherheitslage.“ Dabei verwies er vor allem auf die Vielzahl an Anti-Israel-Demonstrationen der vergangenen Wochen und Monate.
„Jüdinnen und Juden sind in ihrem Alltag massiv eingeschränkt“, so Salzborn. Er spricht von einem „bedrohlichen Alltag“, der oft unsichtbar bleibe. Ein normaler, unbeschwerter Umgang mit jüdischem Leben sei derzeit undenkbar. „Heute ist es Alltag, dass Jüdinnen und Juden in allen möglichen Situationen prüfen: Wer nimmt mich wahr? Wie gefährlich ist es gerade?“
Diese einseitige Solidarität zu Gaza ist nicht meine Haltung, und sie ist mir auch völlig unverständlich.
Auch aus der Sicht von Elke Breitenbach führen die kommenden beiden Großdemonstrationen zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Und dazu gehöre auch das Anwachsen des Antisemitismus, wie sie auf Anfrage der Berliner Zeitung sagte.
Zu ihrer ehemaligen Parteifreundin Sarah Wagenknecht, die 2023 austrat und dann eine neue Partei gründete, will die ehemalige Berliner Sozialsenatorin am liebsten gar nichts sagen. Am Aufruf der Linken kritisiert die 64-Jährige, dass darin nichts über den Charakter der Hamas oder auch die Taten des 7. Oktober 2023 zu finden sei, als Palästinenser Israel angriffen. Natürlich dürfe man die israelische Regierung kritisieren, sagte Breitenbach im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Aber diese einseitige Solidarität zu Gaza ist nicht meine Haltung, und sie ist mir auch völlig unverständlich.“
Breitenbach gehört zu jener Handvoll prominenter Berliner Linker um die beiden Ex-Senatoren Klaus Lederer und Sebastian Scheel, die vor einem Jahr der Partei den Rücken kehrten. Grund damals: der wachsende Antisemitismus innerhalb Partei. Diesen Trend sieht Breitenbach bei seinen früheren Parteifreunden bis heute nicht gebannt. Sie sei weiterhin „völlig überrascht, wie man solche Positionen einnehmen kann“.
Und auch der Berliner CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger will sich mit all zu viel Differenzierung zwischen BSW und Linkspartei in Sachen Gaza nicht aufhalten. „Die versammelte antisemitische Linke lebt ihren Judenhass aus und spaltet unsere Gesellschaft“, sagte er auf Anfrage der Berliner Zeitung.
An Positionen und Forderungen zum Krieg in Nahost und seinen Folgen hierzulande mangelt es nun wirklich nicht. Zuletzt wurde in Berlin diskutiert, ob Deutschland – und damit auch Berlin – Flüchtlinge aus dem aktuellen Konflikt in Gaza aufnehmen sollte. Linken-Landeschefin Kerstin Wolter hatte dies anlässlich des Weltfriedenstages am 1. September gefordert und unter anderem damit begründet, dass in Berlin bereits besonders viele Palästinenser lebten. Viele von ihnen hätten Angehörige und Freunde im Gazastreifen, und diese Familien sollten jetzt zusammengeführt werden.
In der Berliner SPD hatte es Streit um eine etwaige Aufnahme gegeben. Innenpolitiker Martin Matz hatte davor gewarnt, dass damit der Antisemitismus noch stärker werden könnte, wenn man durch den Krieg in Nahost extrem geprägte Menschen aufnehmen würde. Dafür war er in seiner Partei kritisiert worden.
Berliner-zeitung