Felor Badenberg: Deswegen taugt das AfD-Gutachten nicht für ein Verbotsverfahren

Der Streit um das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, die Debatte um die Konsequenzen daraus, geht weiter. Jetzt sagt Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) im Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass das Gutachten zwar nützlich sei. Es tauge aber dennoch nicht als Werkzeug für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei, die laut Gutachten nun „gesichert rechtsextremistisch“ genannt werden darf.
„Das Gutachten ist wichtig und richtig, und belegt nach Ansicht des Verfassungsschutzes zahlreiche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen“, sagt Badenberg. Doch „allein aus dieser Einstufung folgt nicht zwingend die Einleitung eines Verbotsverfahrens“, so die Senatorin. „Dafür bräuchte es Belege, dass die AfD aktiv und planvoll vorgeht, um die Freiheitlich Demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen.“ Diese ergäben sich aus dem aktuellen Gutachten aber nicht.
Justizsenatorin Badenberg: Die AfD-Spitze ist vorsichtig gewordenEiner der Gründe dafür sei, dass die in dem fast 1.100-seitigen Gutachten gesammelten Zitate und Aussagen aus den vergangenen Jahren vielerlei Quellen habe. „Wenn ein einfaches AfD-Mitglied sich extremistisch äußert, kann das nicht ohne Weiteres der Bundespartei zugerechnet werden“, sagt Badenberg. Die Personen an der Spitze der Partei seien im Laufe der Jahre vorsichtiger geworden.
Dennoch fordern Politiker von Linken, Grünen, SPD und teils auch CDU ein Verbotsverfahren auf Grundlage des Gutachtens. Ihr gehe das zu schnell, sagt die 50-jährige Verwaltungsjuristin. Im Übrigen warne sie davor, „die Arbeit des Verfassungsschutzes zu politisieren“. Die Behörde entscheide autonom, welche Gruppierungen, Vereine oder Parteien sie auf ihre mögliche Verfassungsfeindlichkeit hin untersuche. Und so müsse es bleiben. Die Innenministerien von Bund und Ländern dürften nur die Dienstaufsicht für das Amt ausüben, nicht jedoch die Fachaufsicht. Soll heißen: Es dürfe keine Weisungen geben.
Doch ist das realistisch? Und wie verträgt sich Badenbergs Appell der Unabhängigkeit der Geheimdienstsphäre mit der so offensichtlichen auch personellen Verknüpfung mit der Politiksphäre? Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit gibt es genug.
So wechselte Hans-Georg Maaßen, nachdem er von seinen Aufgaben als Präsident des Bundesamtes freigestellt wurde, nahtlos in die Politik und wollte für die CDU in Thüringen in den Bundestag kommen. Inzwischen ist Maaßen aus der CDU ausgetreten und seit ihrer Gründung im Februar vergangenen Jahres Parteivorsitzender der Werteunion.
Maaßens Nachfolger im Amt, Thomas Haldenwang, kündigte im November 2024, anderthalb Monate vor seinem lange geplanten Ausscheiden als oberster Verfassungsschützer an, für die CDU für den Bundestag zu kandidieren. Am Ende scheiterte er, weil er das Direktmandat im Wahlkreis Wuppertal I verfehlte.
Und auch Badenberg selbst ging solch einen Weg. Nach fast 18 Jahren im Bundesamt, wo sie federführend für die AfD-Verfahren und am Ende Vizepräsidentin war, wechselte sie nach Berlin in die Politik.
Auf die Frage, nach der Legitimität solch offensichtlicher Nähe, blieb Badenberg ausweichend. Es dürfe niemandem verwehrt werden, nach seiner Tätigkeit im Verfassungsschutz in die Politik zu wechseln. Sie plädiere für eine gewisse Karenzzeit.
AfD-Gutachten: Innenminister wollen Konsequenzen beratenDoch wie geht's jetzt weiter? Im Juni tagt in Bremerhaven die Innenministerkonferenz der Länder. Eines der Ziele ist es, ein möglichst einheitliches Vorgehen bei den Konsequenzen aus dem Gutachten zu finden. So sei zu prüfen, inwieweit die Höherstufung Auswirkungen auf AfD-Mitglieder und -Funktionäre im öffentlichen Dienst hat. Zum Beispiel könnte bereits eine Mitgliedschaft das Aus für eine Neueinstellung in gleich mehreren sicherheitsrelevanten Bereichen – etwa beim Verfassungsschutz selber, aber auch bei anderen Behörden – bedeuten.
So fordert zum Beispiel der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter ein striktes Vorgehen gegen AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst. „Die Hochstufung der Partei könnte und sollte Auswirkungen auf Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst haben, denn eine Mitgliedschaft in der AfD ist damit nicht vereinbar“, sagte der Politiker.
Senatorin Badenberg mahnt bei diesen Fragen generell zur Vorsicht. Dass sie Debatten über ein AfD-Verbotsverfahren für verfrüht halte, hatte sie bereits Anfang Mai gesagt, kurz nachdem die scheidende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Hochstufung öffentlich machte. Das gelte auch für den Umgang mit AfD-Mitgliedern.
Politiker, wie der Berliner Grünen-Fraktionschef Werner Graf, halten solche Aussagen für „erschreckend“, wie er am Donnerstag dem Tagesspiegel sagte. Die Senatorin sei viel zu defensiv. Er fordere, dass Badenberg „alle Möglichkeiten prüft und aufzeigt, die der Staat gegen Rechtsextreme im Staatsdienst hat“. Badenberg müsse sich „dieser Zukunftsaufgabe annehmen, statt die Opfermythen der AfD auch noch zu stärken“, so Graf.
Im Gespräch mit der Berliner Zeitung will Badenberg die Vorwürfe nicht im Detail kommentieren. Sie bleibt dagegen allgemein und schiebt Vorverurteilungen und Pauschalisierungen generell einen Riegel vor. „Die Höherstufung hat keine unmittelbaren dienstrechtlichen Konsequenzen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Verfassungstreue ist stets im Einzelfall zu prüfen. Es müssen jeweils Anhaltspunkte für verfassungsfeindliches Verhalten vorliegen“, sagt sie.
Und auch für die all die Linken, die jetzt das Gutachten für ihre Zwecke nutzen wollen, hat die frühere Top-Verfassungsschützerin klare Worte parat: „Es gibt keinen guten Extremismus.“
Berliner-zeitung