Die Hitzewelle in Hessen gefährdet Senioren, Kitas müssen schließen

Die Meteorologen haben schon vor Wochen vor einem möglicherweise extrem heißen Sommer gewarnt. Jetzt ist er da. Und mit rekordverdächtigen Temperaturen herrschen geradezu tropische Verhältnisse im Rhein-Main-Gebiet.
Die Hitze belastet Ältere mit Vorerkrankungen besonders. Weil sie auch weniger Durst empfinden, trinken sie nicht genug. In Seniorenheimen wie dem Hufeland-Haus in Frankfurt ist man darauf vorbereitet: Mit 45 Kilogramm Wassermelonen und 1000 Wassereis soll die geringe Trinkbereitschaft umgangen werden. Bereits seit 2003 müssen alle Einrichtungen ohnehin einen Hitzeaktionsplan haben, sagt Geschäftsführer Markus Förner. Darin ist etwa festgehalten, wo es kühlere Aufenthaltsräume gibt, dass die Temperatur gemessen wird und dass immer wieder Getränke angeboten werden. Wichtig sei dabei, respektvoll zu bleiben und nicht zu sehr zu drängen, sonst verliere man das Vertrauen der Bewohner. Generell gelte, dass man an heißen Tagen seinen Bewegungsradius und seine Aktivitäten einschränken sollte. Während die Heime auf ihre Bewohner achten, sind allein lebende Senioren derzeit besonders gefährdet. Nach ihnen zu schauen, ist deshalb die beste Fürsorge, die Angehörige und Nachbarn leisten können.
Um kurz vor zehn Uhr kommt am Dienstagmorgen die E-Mail der Kita-Leitung: Wegen der Hitzewarnung wird die Einrichtung der Diakonie schon um 13 Uhr geschlossen. Alle Eltern sind aufgerufen, ihre Kinder bis dahin abzuholen. Die Träger gehen unterschiedlich mit der Hitze um. Das Diakonische Werk schließt seine Einrichtungen am Dienstag und Mittwoch früher, andere Träger dagegen reduzieren die Öffnungszeiten nicht. „Es gibt keine Anweisung des Stadtschulamts, das entscheiden die Träger selbst“, stellt eine Sprecherin des Bildungsdezernats klar. In den Elternchats der Einrichtungen der Diakonie herrscht helle Aufregung – und auch etwas Unverständnis, denn oft haben es die Kinder in kühlen Kitaräumen angenehmer als zu Hause. „Ein Großteil der Eltern steht nun etwas fassungslos da, denn interessanterweise sehen die Arbeitgeber im Großraum Frankfurt für die nächsten zwei Tage aufgrund eines Phänomens, das sich Sommer nennt, keinen Grund, ihren Bediensteten hitzefrei zu gewähren“, schreibt eine Mutter. Auch in den Schulen wird man erfinderisch, um die Situation für Lehrer und Kinder erträglich zu machen. Grundschulkinder dürfen Waschlappen zur Kühlung mitbringen. Viele Schulen verlegen den Unterricht in den Park oder auf schattige Spielplätze. Gut, dass in wenigen Tagen die Ferien beginnen.

Die Hitze am Frankfurter Hauptbahnhof ist kaum auszuhalten, das Gedränge immens. Tausende wollen nach einem anstrengenden Arbeitstag mit dem Zug nach Hause. Aber die Bahn macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Auf der Strecke zwischen Frankfurt und Marburg fallen gleich mehrere Verbindungen aus. Die Wartenden auf dem Bahnsteig sind genervt. Dann keimt Hoffnung auf. Pünktlich um 17.18 Uhr fährt der Regionalexpress nach Kassel ein. Zu früh gefreut: Weil die Klimaanlage defekt ist, müssen alle wieder aussteigen, dann wird der Zug ganz aus dem Verkehr gezogen. „Nichts funktioniert in diesem Land“, beschwert sich ein Mann. Die Schlange vor dem Informationsstand der Bahn wird immer länger. Um 18.10 Uhr fährt ein Zug der Hessischen Landesbahn mit 20 Minuten Verspätung und – immerhin – funktionierender Klimaanlage los. Nur ein kleiner Trost für eine Lehrerin, die mit ihren Schülern in Gießen drei Stunden warten musste. In Marburg kommt der Zug wegen zwei außerplanmäßigen Zwischenstopps erst 30 Minuten später als vorgesehen an. Das wundert am Abend dieses heißen Tages aber auch schon niemanden mehr.
Bei den Bädern decken die bisher heißesten Tage des Jahres schonungslos die Defizite bei der Personalplanung der vergangene Jahre auf: Ausgerechnet jetzt muss das Dieburger Ludwig-Steinmetz-Bad seine Öffnungszeiten reduzieren. Es fehlt Personal. Der Erste Stadtrat Renee Exner verweist auf Lücken bei der Badeaufsicht, deshalb sei ein sicherer Betrieb nicht zu gewährleisten. Die Öffnungszeiten werden auf den Nachmittag von 12 bis 20 Uhr reduziert, am Wochenende soll das Bad immerhin wieder um zehn Uhr öffnen. Regulär wäre stets acht Uhr vorgesehen. Die Bäder in Frankfurt sind deutlich besser aufgestellt: Sieben städtische Freibäder gibt es – und dank der Bindung von zuvor über Fremddienstleister beschäftigtem Aufsichtspersonal ist die Lage in der Wasseraufsicht gut. Kürzungen der Öffnungszeiten sind kein Thema. An den zurückliegenden Wochenende haben bis zu 30.000 Menschen an einem Tag die Möglichkeiten zur Abkühlung genutzt. Da sind die aktuellen Hitzetage auch keine größere Herausforderung. Besonders glücklich dürfen sich die Mitglieder von Schwimmvereinen mit eigenem Bad schätzen – und manchmal auch ihre Freunde. Der Höchster Schwimmverein gestattet seinen Mitgliedern, an den besonders heißen Tagen ausnahmsweise Gäste in das idyllisch nahe der Nidda gelegene Vereinsschwimmbad mitzubringen.
Mineralbrunnenbetreiber wie das Familienunternehmen Hassia in Bad Vilbel und die Radeberger-Tochtergesellschaft Selters freuen sich über die Hitze. Denn die Kunden fragen mehr Mineralwässer und andere alkoholfreie Getränke nach. Die Betriebe laufen demnach auf Hochtouren. Da sie nur einen kleinen Teil des verfügbaren Wassers nutzen, geht ihnen der Rohstoff grundsätzlich nicht aus. So ist Hassia nach den Worten von Marketing-Geschäftsführer Stefan Müller „vollumfänglich lieferfähig“. Allerdings folge aus der großen Nachfrage eine andere Herausforderung: „Da die Verkäufe derzeit sprudeln, bitten wir Verbraucher, ihr Leergut zeitnah zurückzugeben, damit es bei den Flaschen und Kästen nicht zu einem vermeidbaren Engpass kommt.“ Durch eine umgehende Rückgabe werde vermieden, dass der Mehrwegkreislauf selbst bei Nachfragespitzen wie derzeit ins Stocken gerate.
Nicht direkt mit der Hitze dieser Tage zu tun haben Zahlen des AOK-Gesundheitsatlas – indirekt allerdings schon. Denn aufgrund der Daten zur Verbreitung von schwarzem und weißem Hautkrebs in Hessen erwarten die Experten eine deutliche Zunahme von Erkrankungen in den nächsten Jahrzehnten. Und außer der durchschnittlich längeren Lebenszeit der Menschen sehen sie als Hauptursache dafür auch die erhöhten Risiken durch die vom Klimawandel hervorgerufene „verstärkte Sonnenexposition“ der Menschen. Der Studie zufolge wird sowohl schwarzer als auch weißer Hautkrebs in den Ballungszentren in Südhessen viel seltener diagnostiziert als in ländlichen Regionen. Die Experten führen dies vor allem auf die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur zurück: Die Menschen in den Städten sind im Schnitt jünger.
Wenn es ganz dicke kommt, dann könnte an diesem Mittwoch der Hitzerekord geknackt werden. Der stammt in Frankfurt vom 25. Juli 2019 und steht an der offiziellen Wetterstation am Flughafen bei 40,1 Grad. Noch 0,1 Grad heißer war es damals am Palmengarten, aber diese Station ist wegen ihrer Innenstadtlage nicht mehr repräsentativ. In seinen aktuellen Vorhersagen schließt der Deutsche Wetterdienst in Offenbach einen solchen Wert auch für diesen Mittwoch nicht aus. „Höhepunkt der Hitzewelle mit Höchstwerten zwischen 36 und 39 Grad, im Süden vereinzelt bis 40 Grad“, lautet die Prognose. Sicher ist dagegen, dass es am Donnerstag kühler wird: Bei wechselnder Bewölkung und möglichen Schauern und Gewittern soll es maximal noch 30 Grad warm werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung