Der Berliner Senat stoppt Pollerprojekte – das ist reine Augenwischerei

Autofreie Friedrichstraße? Abgewickelt. Neue Radwege? Eingestampft. Tempo 30 auf Hauptstraßen? Zurückgedreht. Und jetzt auch noch das Aus für die Poller-Projekte im Bezirk Mitte. Was ein bisschen klingt wie „Mission erfüllt“ ist die Bilanz von zwei Jahren Berliner Verkehrspolitik, genauer gesagt: CDU-geführter Verkehrspolitik.
Mit bemerkenswerter Konsequenz hat sich die CDU an der verkehrspolitischen Handschrift von Rot-Grün abgearbeitet – und den Grünen ihr Herzensressort entrissen, um systematisch zurückzubauen, was unter dem Schlagwort „Verkehrswende“ begonnen hatte.
Denn es war unter anderem genau diese Verkehrspolitik, die der CDU vor zwei Jahren den überraschenden Wahlerfolg brachte. Die Grünen um ihre Frontfrau und damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch hatten damit gefühlt die halbe Stadt gegen sich aufgebracht, weil sie mehr Bullerbü wagen wollten, genützt hat die Polarisierung am Ende vor allem Kai Wegner. Jetzt wird der Anti-Grünen-Wahlkampf von Wegners CDU Stück für Stück in den Berliner Straßenverkehr umgesetzt.
Dass die Partei dabei einen Konflikt mit ihrem Koalitionspartner SPD riskiert, der einst Pollerbü mitgetragen hat, wird zu verkraften sein. Bisher arbeiten Wegner und Co. immer noch deutlich geschmeidiger und unfallfreier miteinander, als es einst SPD, Grüne und Linke taten.

Doch beim genaueren Hinsehen sind viele dieser Verkehrs-Stopps eher Symbolpolitik. Wer glaubt, jetzt verschwinden alle Poller, irrt. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Bei dem aktuellen Beschluss zu den Pollern geht es nur um den Bezirk Mitte und dort auch nur um die Poller, die dort im Rahmen eines Projekts bereits aufgebaut wurden. Das bedeutet: Kein einziger dieser rot-weißen Pfähle wird abgebaut – weder in Mitte noch sonst wo. Und es bedeutet auch, dass jeder Bezirk weiterhin sogenannte Kiezblocks zur Reduzierung von Durchgangsverkehr durch die Wohnquartiere oder sogar noch weitergehende flächendeckende Verkehrsberuhigung finanzieren kann, wenn es dort denn dafür Mehrheiten gibt. Da hat der Senat nicht mitzuentscheiden.
Doch eines fehlt komplett, eine Idee der CDU, wie sie denn den Straßenverkehr in Berlin organisieren will. Beispiel Friedrichstadt: Natürlich gab es gute Gründe, den Verkehrsversuch mit der Fahrradrennbahn in der Mitte zu beenden. Die scheinbar willkürlich gewählte Sperrzone blieb immer ein Fremdkörper, der mehr Ärger produzierte, als er Lust zum Flanieren weckte. Dafür ist die Friedrichstraße derzeit einfach zu unattraktiv. Für eine echte Fußgängerzone hatte sich schon damals viel eher der Hackesche Markt angeboten – und tut dies bis heute noch. Passiert ist dort aber noch gar nichts.
Und wo bleibt eigentlich die gleichzeitig mit der geöffneten Friedrichstraße versprochene „Verkehrspolitik aus einem Guss“, die Lösung für die historische Mitte rund um den sanierten Gendarmenmarkt? Alle bisherigen Maßnahmen werden der 1-a-Lage nicht gerecht. Das gilt übrigens auch für den Checkpoint Charlie, bis heute eine der Top-Adressen für Berlin-Touristen. Ein Verkehrskonzept dafür gibt es nicht.
Berliner Verkehr: Keine Lösung für absurd billige ParkvignettenDasselbe gilt für die neue Festsetzung der Gebühren für das Anwohnerparken. Dass die bisherigen 10,20 Euro pro Jahr – das sind etwa 2,8 Cent pro Tag – absurd niedrig und allein die Kosten für die Kontrolle deutlich höher sind, hat nicht zuletzt Kai Wegner längst erkannt. Dass es noch immer keinen Plan für ein Parkkonzept „aus einem Guss“ gibt, ist ein Armutszeugnis.
Aber eines fehlt auf jeden Fall: Die CDU hatte zu Beginn der Koalition eine entideologisierte Verkehrspolitik versprochen, und auch Kai Wegner sagt bei wirklich jeder Gelegenheit bis heute, er wolle eine Verkehrspolitik machen, die „alle Verkehrsteilnehmer“ in den Blick nimmt. Was ist davon übrig geblieben? Immer nur Nein zu sagen zu Maßnahmen der Vorgänger, reicht definitiv nicht aus. Und den anderen permanent Ideologie vorzuwerfen, fällt irgendwann unweigerlich auf einen selbst zurück.
Berliner-zeitung