Zwei Serien über Mozart: So war‘s bestimmt nicht

Mit der historischen Faktenlage ist das bekanntlich so eine Sache. Wer sich in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur oder Sport, aber auch zu Hause, bei Freunden, am Arbeitsplatz, ach eigentlich überall äußert, sollte ihr tunlichst die Treue halten. Ansonsten gibt es nur Ärger oder fast noch schlimmer: falschen Applaus. Historische Fernsehunterhaltung dagegen sollte sich von allzu korrekter Geschichtsschreibung mindestens ebenso tunlichst fernhalten. Gibt ansonsten nur Gemäkel oder fast noch schlimmer: miese Einschaltquoten.
Denn wer, bitte schön, möchte die Vergangenheit schon so erzählt bekommen, wie sie wirklich – also tatsächlich echt – war? Allein schon die Sprache! Ende des 18. Jahrhunderts redeten die Menschen in Österreich zum Beispiel so antiquierte Mundart, dass heutzutage selbst Eingeborene kaum „Sachertorte“ verstünden. Es ist deshalb ein Dienst am Publikum, wenn Sky die Figuren seiner neuen Originalserie „Amadeus“ durchweg akzentfreies Hochdeutsch reden lässt.
Ein Dienst am Entertainment ist demgegenüber, worum es in der Adaption des gleichnamigen Theaterstücks geht. An der reinen Realität war der Showrunner Joe Barton jedenfalls ebenso wenig interessiert wie sein Vorgänger Miloš Forman. Gut 40 Jahre zuvor, die Generation X erinnert sich lebhaft, hatte der tschechische Hollywood-Regisseur ein oscarüberhäuftes Meisterwerk aus Peter Shaffers Bühnenwerk gemacht. Tom Hulce spielte „Amadeus“ seinerzeit als infantiles Genie, das der Hofkomponist Antonio Salieri (F. Murray Abraham) mithilfe des eigenen Requiems in den Tod treibt. Tolle Story. Nur leider weitestgehend erfunden.
Nun walzt Sky die bittersüße Unterhaltungslüge von Formans Kinoformat auf Serienlänge aus. Und damals wie heute hat die Legende eines neidzerfressenen Rachefeldzugs mehr mit der Fantasie des russischen Schriftstellers Alexander Puschkin als mit Tatsachen zu tun. Aber egal. Wenn Salieri Mozarts Witwe Constanze auf seinem Sterbebett den Mord an ihrem Mann schildert, geht es nicht um geschichtliche Authentizität. Es geht um gutes Historytainment. Und das liefert „Amadeus“ in Bestform.
Ebenso präzise wie prachtvoll ausgestattet, zieht das musikalische Wunderkind gegen den Willen seines strengen Vaters von Salzburg nach Wien. Und wie 1984 bei Forman, macht auch in der Version von 2025 der Emporkömmling dem Platzhirsch Salieri Rang und Stellung streitig. Letzterer startet darum einen Kleinkrieg gegen ersteren, der nach knapp fünf Stunden für beide furchtbar endet. Und wie Julien Farino diese Eskalation mithilfe seiner Ko-Regisseurin Alice Seabright und Kostümdesignerin Lisa Duncan in Szene setzt, ist absolut fantastisch aussehende Geschichtsfiktion ohne wissenschaftlichen Anspruch auf Wahrhaftigkeit.

Dafür sorgt nicht nur der völlig frei interpretierte Antonio Salieri, den Paul Bettany wider jede Quellenlage als gesellschaftlich intriganten, sexuell abgründigen Choleriker zeichnet. Auch Will Sharpes Titelheld könnte kaum weiter vom Original entfernt liegen. Schon optisch unterscheidet die japanische Herkunft den „White Lotus“-Star augenscheinlich von Mozarts mitteleuropäischem Stall. Dass er von giggelnden Groupies in Wien empfangen wird, ehedem ungebräuchliche Wörter wie „fantastisch“ oder „Melange“ benutzt und von einem Schwarzen Privatdetektiv verfolgt wird, ist ähnlich farbenblind wie die Referenzgröße „Bridgerton“, an der sich „Amadeus“ spürbar orientiert.
Trotzdem ist Bartons Geschichtsvergessenheit noch lange nichts gegen das zweite Biopic innerhalb von zwei Wochen. Seit ein paar Tagen nämlich zeigt die ARD-Mediathek „Mozart/Mozart“. Und verglichen mit der britischen Amadeus-Interpretation, ist die deutsche ungefähr so plausibel wie Hochadelsberichte im „Goldenen Blatt“ oder Donald Trumps Pressekonferenzen. Dafür ersinnt der Hauptautor Andreas Gutzeit die eigernordwandsteile Theorie, wegen seines destruktiven Sex’n’Drugs’n’Rock’n’Roll-Lifestyles habe sich Wolfgangs musikalisch vergleichbar begabte Schwester Maria Anna regelmäßig für ihren Bruder ausgegeben – Auftritte inklusive.

Mit schriftlichem Verweis auf die „Vorstellungskraft“ anstelle historischer Tatsachen, machen Story House Pictures und The Dreaming Sheep Company zwar bereits im Vorspann deutlich, dass Gutzeits Writers Room die beurkundete Vergangenheit anno 1791 allenfalls als Kulisse ernstnimmt. Wie die vielfach preisgekrönte Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim („Die Zweiflers“) der Tatsachenlage sechsmal 45 Minuten lang Beine macht, degradiert die Realität allerdings zur prachtvoll verkleideten Statistin.
Während Amadeus (Eren M. Güvercin), von allen nur „Wolferl“ genannt, zur Zeugung eines französischen Thronfolgers mit Königin Marie Antoinette (Verena Altenberger) ins Bett steigt, startet seine Schwester (Havana Joy), von allen nur „Nannerl“ genannt, allen Ernstes ein Techtelmechtel mit Salieri (Eidin Jalali). Immerhin denkbar wäre, dass Österreichs Kaiser Joseph II. (Philipp Hochmair) beide Rivalen einst zum Wettstreit um die beste Volksoper aufgerufen hatte. Darüber hinaus aber ist absolut alles an „Mozart/Mozart“ inszenatorischer Unfug.
Die Emmy-prämierte Kostümbildnerin Daiva Petrulyté („Tschernobyl“), von der Andreas Gutzeit bereits seine rasend unterhaltsame RTL-Anmaßung „Sisi“ ausstatten ließ, verpasst dem Popstar Amadeus schon mal Perlenohrringe plus Spiegelsonnenbrille, wenn er von sich und seiner Musik berauscht ins Publikum springt. Wobei es hier wirklich schwierig wird. Denn der Sound von „Sisi“-Komponistin Jessica de Rooij verrührt die Wiener Klassik zu einer klumpigen Powerpop-Soße im „DSDS“-Stil, von der selbst Dieter Bohlen Zahnweh bekäme.
Spätestens an dieser Stelle also dürften ältere Semester die jüngeren mit „Mozart/Mozart“ allein lassen und lieber „Amadeus“ schauen. Nicht nur, dass dessen Soundtrack grundsätzlich auf Originalkompositionen beruht; Hauptdarsteller Sharpe erweist sich obendrein als exzellenter Pianist, der am Klavier nicht gedoubelt werden muss. Bei aller Übertreibung mit leichtem Hang zur Obszönität bleibt Joe Barton also doch ein Stück näher am Boden der Tatsachen. Nur: Als Empfehlungskriterium taugt das wenig – dafür sind Zielgruppen und Stilmittel schlicht zu verschieden.
Während das Erste mit der kompletten Dekonstruktion tradierter Genre-Standards die Generationen Y bis Z adressiert, richtet sich Sky eher an ihre (und deren) Eltern. Historytainment-Fans mittleren bis gehobenen Alters, die auch der ARD-Saga „Charité“ etwas abgewinnen, Biopics wie „Levi Strauss“ oder dem „Oktoberfest 1900/1905“. Authentisch in der Ausstattung, dürfen die Charaktere darin durchaus moderner agieren als belegt, dabei aber nicht total überdrehen. Joe Bartons „Amadeus“ ist demnach handgemachter Rock’n’Roll für analoge Bildungsbürger, Andreas Gutzeits Mozart dagegen technoider Punkrock für digitale Bilderstürmer. Vor allem aber ist beides: Geschmackssache.
Mozart/Mozart, 6x45 Minuten, ARD-Mediathek
Amadeus, 5x50 Minuten, Sky und Wow
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