Projekt „Halle“: Die Osterweiterung des Berliner Verlages

Wir haben nie versprochen, nicht in den Osten zu expandieren. Wir haben versprochen: Weltoffenheit, Diskursfreiheit sowie lokale Verankerung. Und diese reicht bald von den Mittelgebirgen bis zur Ostsee.
Die Motivation unseres Engagements für den Berliner Verlag im Jahr 2019 speiste sich aus zwei Aspekten: Einerseits wollten wir helfen, die offensichtliche Diskrepanz zwischen Lebens- und Medienwirklichkeit zu schließen, anderseits der systematischen Diskreditierung und Abwertung ostdeutscher Perspektiven entgegenwirken.
Mit Blick auf die Situation im Jahr 2025 hat unser Engagement in erster Näherung wenig bewirkt. Medien und Politik haben sich weiter in ihren Blasen verkapselt. Selten in der deutschen Geschichte war der Unterschied zwischen Wahlversprechen (keine neuen Schulden und Reduktion von Steuer und Abgabenlast) und Regierungsrealität nach einer Wahl (höchster Schuldenhaushalt der deutschen Geschichte bei weiter steigender Steuer- und Abgabenlast auf weltweit führendem Niveau bei weiterem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit) so eklatant wie nach der Bundestagswahl 2025.
Auch hat die systematische Abwertung ostdeutscher Perspektiven trotz hehrer Worte des Bundespräsidenten Steinmeier, der diversen Ostbeauftragt:innen und des Baustarts eines Wiedervereinigungstempels in Halle keine Milderung erfahren. Süddeutsche, FAZ und Spiegel sind auch heute nicht in der Lage, in ihren Redaktionen soziologische, wirtschaftliche und kulturelle Differenzen im Osten Deutschlands aufzugreifen und angemessen zu berücksichtigen.
Gleiches gilt für die Berichterstattung über globale Entwicklungen: 15 Prozent der Weltbevölkerung leben im Westen, 85 Prozent in von uns abweichenden gesellschaftlichen Strukturen. Die Berichterstattung in Deutschland fokussiert zu 90 Prozent auf Perspektiven des Westens. Nur 10 Prozent der Berichte richten sich auf die 85 Prozent außerhalb des Westens. Diese ungenügend ausbalancierte publizistische Situation in Deutschland zieht weitreichende Konsequenzen nach sich, die sich in der argumentativen, mittlerweile auch wirtschaftlichen Defensive nicht nur Deutschlands zeigen.

Nach sechs Jahren müssten wir als Verlag also in erster Näherung konstatieren, gescheitert zu sein. Doch in zweiter Näherung zeigt sich eine andere Perspektive: Wir sehen zunehmenden Mut, mitunter Renitenz und ostdeutsches bürgerliches Engagement. Auf Leserseite existiert wachsender Wille, den Berliner Kurier, die Berliner Zeitung oder die Weltbühne zu lesen. Es besteht unsererseits die Renitenz, den Leitmedien über Open Source abweichende Lebenswirklichkeiten entgegenzuhalten. Und dann gibt es noch das enorme bürgerliche Engagement, das dem Berliner Verlag die Türen außerhalb Berlins öffnet, was sich zum Beispiel daran ablesen lässt, dass Dresdner Bürger uns regelrecht darum baten, das Angebot der Berliner Zeitung auf Dresden und Sachsen zu erweitern. Das Bedürfnis nach unabhängiger Berichterstattung wächst auch außerhalb Berlins.
Wir sind also alles andere als gescheitert. Der Berliner Verlag ist mittlerweile eine unabhängige Medien-Plattform für aufgeklärte, selbstbestimmte und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Und nicht nur in Ostdeutschland, sondern weit darüber hinaus, wie die Zahlen der im Mai wieder aufgelegten Weltbühne belegen. Sie wird mittlerweile in zwölf europäischen Ländern gelesen, und der größere Teil der deutschen Leserschaft lebt im Westen dieses Landes.
Im Ergebnis haben wir entschieden, die Therapie nicht abzusetzen, sondern die Dosis zu erhöhen.
Deswegen haben wir nach dem Roll-out der Weltbühne das Projekt „Halle“ initiiert. Denn wie schon der Dresdner Erich Kästner, ein früher Autor der Weltbühne, schrieb: „Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.“
Mutige BerichterstattungDas Projekt „Halle“ ist der Versuch, der herabsetzenden Sicht auf Ostdeutschland in der Medienelite (alles Nazis oder Kommunisten, pfui!), der wachsenden Selbstbedienungsmentalität in politischen Strukturen (die Grüne Annalena Baerbock in New York) und dem Unvermögen der Politik, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, ein unabhängiges, selbstbestimmtes Medium als Plattform für demokratische Meinungs- und Willensbildung entgegenzustellen. Als loyale Opposition, die den Mächtigen in Politik und Medien auf die Finger schaut, die Themen setzt und den Diskurs fördert, statt neue (Brand-)Mauern aufzubauen – was häufig nur geschieht, um persönliche Vorteile zu sichern.
In bester Tradition freier, demokratischer Gesellschaften wollen wir den Wettbewerb um die bessere Idee, das bessere Konzept und die höhere Effizienz stimulieren und nicht einschränken. Wir wollen den Rechtsstaat kultivieren, die Unabhängigkeit und Objektivität freier Gerichte fördern und die Individualität und das Streben nach Glück höher werten als kollektivistische Gleichmacherei auf niedrigem Niveau.
Daher arbeiten wir daran, der Bitte jener Dresdner Bürger zu entsprechen. Wir werden in den nächsten Wochen in den Hauptstädten der ostdeutschen Bundesländer nach dem publizistischen Konzept der Berliner Zeitung lokale Zeitungen herausbringen: in Dresden, Erfurt, Magdeburg, Potsdam und Schwerin.
Sie werden eine 360-Grad-Berichterstattung aus der Welt, offene Debattenformate und lokale Inhalte für die Menschen vor Ort anbieten, eingebettet in die übergreifende, diskursoffene Berichterstattung aller anderen Titel des Berliner Verlages. Im ersten Schritt Montag bis Freitag in Online- und ePaper-Ausgaben sowie in einer gedruckten Ostdeutschen Allgemeinen Wochenendausgabe. Die Verantwortung für die Berichterstattung aus der Welt übernimmt Harald Neuber, für die übergreifenden Debattenformate Thomas Fasbender. Für die Besetzung der lokalen Redaktionen suchen wir engagierte, mutige Mitarbeitende.
Wir freuen uns auf den medialen WettbewerbSobald wir eine kritische Masse an Print-Abonnenten gewinnen können, liefern wir ergänzend zu den digitalen Kanälen gedruckte Zeitungen unter der Woche aus. Dies werden wir von der Nachfrage abhängig machen. Die Berliner Zeitung wird sich in dieses Konzept einordnen, dazu übergeordnete Themen sowie die Berliner Zeitung am Wochenende einbringen.Um den größeren organisatorischen Anforderungen gerecht zu werden, wird die BVDZ-Holding, deren Name noch aus der gescheiterten Übernahme des Berliner Verlages durch den Tagesspiegel vom Beginn der Zweitausenderjahre stammt und welche die Anteile am Berliner Verlag hält, in „Neue Deutsche Medienholding“ umbenannt. In der Neuen Deutschen Medienholding werden zukünftig alle medialen Angebote des Berliner Verlages gebündelt.
Zudem werden wir nach erfolgreicher Implementierung, die sich sicherlich einige Zeit hinziehen und maßgeblich vom Erfolg des Projekts „Halle“ abhängig sein wird, beginnen, die Governance der Neuen Deutschen Medienholding weiterzuentwickeln. Nach der erfolgreichen Sanierung des Berliner Verlags, dem Übergang in die Wachstumsphase und dem nun eingeleiteten Schritt in die Überregionalität planen wir, die Gesellschafterstruktur anzupassen.
Ein Medienunternehmen sollte demokratisch legitimiert sein, um Interessenkonflikte zu vermeiden. In Anlehnung an die 50+1-Regel im deutschen Profifußball werden wir perspektivisch den Gesellschafterkreis für interessierte Bürgerinnen und Bürger öffnen, um demokratische Teilhabe zu gewährleisten.
Doch im unmittelbar nächsten Schritt werden wir mit Mitarbeitern beginnend in Dresden, danach in Erfurt, Magdeburg, Schwerin und Potsdam unabhängigen Journalismus aufbauen und es gleichzeitig allen Menschen vor Ort ermöglichen, ihre lokale Lebenswirklichkeit in Form von Beiträgen über das etablierte Format „Open Source“ beizusteuern oder über das neue Format „Open Table“ unkompliziert Impulse für redaktionelle Themen zu übermitteln.
Die freie Presse ist ein hohes Gut einer demokratischen GesellschaftWir haben die Erfahrung gemacht, dass andere Pressehäuser auf unsere Initiativen selten objektiv reagieren. Wir rechnen auch diesmal mit unsachlichen Berichten und Unterstellungen. Es ist die Kehrseite der Pressefreiheit, wenn sich Etablierte ihrer medialen Macht bedienen und fairen, offenen Wettbewerb behindern.
Doch werden diese erwartbaren Berichte unsere Motivation nicht schmälern, einen besseren Journalismus zu gestalten, der auf Mittel der Diskreditierung, der Spaltung und interessengeleiteten Parteilichkeit verzichtet. Die freie Presse ist ein hohes Gut einer demokratischen Gesellschaft und bringt große Verantwortung mit sich, der es zu entsprechen gilt.
Im Osten Deutschlands durften wir während und nach der Wende erleben, dass selbst eklatante Interessenkonflikte gewaltfrei miteinander ausverhandelt werden können. Bei allen Herausforderungen, vor denen Deutschland, die EU und Europa derzeit stehen, könnten die Transformationserfahrungen der ostdeutschen Gesellschaft wertvolle Hilfe sein.
Das Projekt „Halle“ ist daher ein Angebot an interessierte, freie und mutige Bürgerinnen und Bürger, ihre individuellen Erfahrungen einzubringen. Wir freuen uns auf den medialen Wettbewerb in den neuen Märkten außerhalb Berlins, und wir freuen uns auf Ihre Unterstützung.
Sie finden weiterführende Informationen hier.Holger Friedrich ist Verleger der Berliner Zeitung.
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