Literarischer Herbst | Quetschkartoffeln gegen Trübsinn
Liebe deutsche Literaturverlage,
das Problem ist: Bald treffen wieder eure schrecklichen, wahlweise trottel- oder KI-generierten Herbstvorschauen ein. Und man kann nichts dagegen tun. Oft sehen eure Verlagskataloge nicht nur identisch aus, sie kündigen die jeweiligen Neuerscheinungen auch immer zuverlässig mit denselben ausgeleierten Leerformeln an (»wahnsinnig gut geschrieben«, »ein atemberaubendes Stück Literatur«, »ein wichtiges Buch, das mitten ins Herz zielt«, »wie eine Achterbahnfahrt«, »mutiges Bekenntnis« usw.). Die meisten der mit solchem Baukasten- und Fertigteildeutsch angepriesenen Novitäten sind innerhalb von Sekunden identifizierbar als der handelsübliche Vollkäse, der hierzulande als »Literatur« durchgeht und auch als solche verkauft wird.
Auf den Buchumschlägen dann die erwartbaren Bilder: blonde junge Frau mit wehendem Haar im Weizenfeld; Rückenansicht einer dunkelhaarigen jungen Frau, die einem strahlenden blauen Himmel entgegengeht. »Besondere Empfehlung von (hier den Namen von irgendeinem beliebigen, illiteraten TV-Promi-Dulli einsetzen)«. »Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch Artikel von Juli Zeh und Caroline Wahl.« Denn die »Zielgruppe« will logischerweise immer denselben armseligen Scheiß lesen. Man könnte ja verstört werden von einem Buch, um Gottes willen. Das darf keinesfalls geschehen. Man fragt sich beim Blättern in diesen Prospekten unwillkürlich, wer spießiger, schamloser, geschmackloser und literaturferner ist: die Leute, die in den Verlagen sitzen, oder die Buchkäufer.
Keine Sorge, ich habe schon verstanden: Es geht heute in eurem Business, wie ihr eure finsteren Machenschaften wohl nennt, längst nicht mehr um so vorgestrige, von der Welt abgehakte Dinge wie Qualität (falls das je der Fall war). Die durchschnittliche Marktfähigkeit (um mal in eurem Jargon mit euch zu sprechen) von Buchtiteln wie der Fantasy-Kitsch-Reihe »Flammengeküsst« und anderen auf 800 Seiten ausgewalzten Groschenheften, die sich lesen, als habe man eine KI darum gebeten, sämtliche existierenden Standardphrasen (»Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen«, »sie spürte seine erwachende Männlichkeit«) darin unterzubringen, gibt euch recht. Auch der achthundertzweiundsiebzigste »Heimatkrimi«, sei er auch noch so unbeholfen heruntergenudelt, verkauft sich ja wie die sprichwörtliche ofenwarme Semmel. Warum also irgendwas ändern an »knisternder Spannung und großen Gefühlen«, wie ihr eure handelsübliche Lesestoffmischung aus Schmonzetten und Schmachtfetzen (»Herbstprogramm«) nennt? Das ist schließlich das Zeug, das die normalen Leute anscheinend lesen wollen.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine bessere Zukunft nicht andere Literatur verdienen würde. Sicher ist jedenfalls: Wenn man eure Verlagsprogramme durchblättert, bekommt man den Eindruck, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Bibliotheca Augusta von einer Werbe- und Marketing-Agentur gemanagt und das Literaturarchiv Marbach von Mario Basler geleitet wird.
Ja, mir ist auch diese Tatsache bekannt: Mit eurem Gewerbe steht es derzeit nicht zum Besten. Kein Mensch liest mehr etwas, das länger ist als eine Glückskeksweisheit. In solchen Zeiten hat es Peter Weiss’ »Die Ästhetik des Widerstands« natürlich schwer, logo. Ästhetik hin, Widerstand her, die Leute haben nun mal keine Zeit: Sie müssen 60-Stunden-Wochen schuften oder gehen täglich zwei bis dreieinhalb miesen Drecksjobs nach, um ihre demnächst vermutlich stündlich steigende Miete zu bezahlen. Wer soll denn da noch Zeit finden, um zu lesen? Und in dem Fitzelchen Zeit, das noch bleibt, will man gefälligst entspannen, den Kopf abschalten, eine Auszeit nehmen. Bücher sollen dann dienen als aus Wörtern bestehendes Schmusetuch für die Seele, als effektives Work-Life-Balance-Tool. Lesen als Wohlfühl- und Wellness-Aktivität, als Schaumbad-Ersatz. Und dafür eignen sich Romane von Elfriede Jelinek oder Gisela Elsner leider nicht gut. Selbst Studenten haben heutzutage ja keine Zeit fürs Lesen, weil sie mit Chillen, Bingewatching, dem Erfinden neuer Pronomenvarianten und Pro-Hamas-Demos vollständig ausgelastet sind.
Darüber hinaus gilt insgesamt: Sprachliche Präzision, intellektuelle Redlichkeit, Fragen der Ästhetik und der literarischen Form, literaturhistorische Bildung – das sind so Old-School-Sachen, die möglicherweise Opa und Oma mal wichtig fanden, aber heute angesichts des eingangs angedeuteten Marktgeschehens auf eurem Sektor der Unterhaltungsindustrie sozusagen für den Arsch sind.
Doch jetzt, wo wir gerade von eurem Desinteresse an Sprache und euren lukrativen Umtrieben in Sachen Bevölkerungsverblödung sprechen, noch kurz eine andere Frage, um deren Beantwortung ich höflich bitte: Die 2012 verstorbene US-amerikanische Autorin und Filmemacherin Nora Ephron, die vor allem mit ihren Filmerfolgen »Harry und Sally«, »Schlaflos in Seattle« und »E-Mail für dich« bekannt geworden ist, schrieb am Beginn ihrer Karriere den autobiografisch grundierten Roman »Heartburn«, der 1983 erschien und wenige Jahre später auch verfilmt wurde. War es unbedingt nötig, diesem tragikomischen Prosawerk, das heute zu Recht als eine Art moderner Klassiker der US-Literatur der 80er Jahre gilt, in der deutschen Übersetzung den Titel »Quetschkartoffeln gegen Trübsinn« zu geben?
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