Hitlers General: Erich von Mansteins Briefe verbinden Liebesbeteuerungen mit rassistischen Tiraden. Sie werfen ein neues Licht auf den Westfeldzug von 1940


Er war das operative Genie der Wehrmacht: Fritz-Erich von Lewinski, genannt von Manstein (1887–1973). Der Vater des «Sichelschnittplans», Eroberer von Sewastopol und Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, konnte zwar die 6. Armee in Stalingrad nicht entsetzen, dafür im März 1943 bei Charkow die Gegenoffensive der Sowjets kurzfristig ausbremsen. In der Schlacht im Kursker Bogen blieb er jedoch erfolglos.
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Manstein verweigerte sich dem militärischen Widerstand hartnäckig. Er liess Verbrechen von Wehrmacht und SS in seinem Befehlsbereich zu und hat die völkerrechtswidrige Kriegführung der Wehrmacht bewusst mitgetragen.
Mansteins Karriere endete nicht 1945. Nach der Verurteilung als Kriegsverbrecher und anschliessender Haft beriet er die junge Bundeswehr. Seine Memoiren «Verlorene Siege» (1955) stehen exemplarisch für die Rechtfertigungs- und Beschönigungsliteratur ehemaliger Generäle der Wehrmacht, die in Forschung und Öffentlichkeit lange Zeit fortwirkte.
Seit 2018 arbeitet der Münchner Historiker Roman Töppel an der Herausgabe von Mansteins privaten Kriegstagebüchern. Nun ist der erste Band erschienen. Er umfasst die Jahre 1939 bis 1941, also den deutschen Überfall auf Polen und den Westfeldzug. Manstein beteiligte sich daran als Stabschef der Heeresgruppe Süd bzw. A, dann als Kommandierender General eines Armeekorps. Die Ausgabe enthält in Töppels Kommentar nicht weniger als eine wesentliche Neubewertung des Westfeldzuges.
Bereits von Hitler im Jahr 1939 entworfenDer Münchner Historiker weist anhand neuer Quellen nach, dass Hitler bereits im Herbst 1939 für den Westfeldzug einen Plan entworfen hatte, wie Manstein ihn unabhängig davon, aber in ähnlicher Form 1940 vorlegte: Er sah einen Vorstoss motorisierter Verbände durch die Ardennen vor, um die alliierte Streitmacht in zwei Teile aufzuspalten. Winston Churchill bezeichnete das Vorgehen später als «Sichelschnitt». Gegen den Widerstand des Generalstabschefs des Heeres, Franz Halder, griff Hitler Mansteins Plan im Frühjahr 1940 auf, da er sich mit seinen eigenen früheren Überlegungen deckte.
Töppel hält es für wenig wahrscheinlich, dass Manstein, wie es immer heisst, von Halder zur Strafe für seine eigenmächtigen Planungen auf ein Truppenkommando weggelobt worden sei. Umso weniger, als sich doch Manstein selbst zuvor um einen Posten als Kommandierender General beworben habe.
Auch die Vorgänge rund um die sogenannten Halt-Befehle vom 16. und 24. Mai 1940, die den deutschen Vormarsch vor Dünkirchen stoppten und so Hunderttausenden alliierten Soldaten die Flucht nach England ermöglichten, deutet Töppel neu. Die alte These, Hitler habe sie absichtlich entkommen lassen, ist mittlerweile widerlegt. Töppel vermutet vielmehr, die Befehle könnten auf Gerd von Rundstedts Furcht zurückzuführen sein, seine Panzer könnten bei ihrem Vorstoss nach Dünkirchen von Süden her abgeschnitten oder mangels Infanterieunterstützung an der Küste aufgerieben werden.
Laut Töppel wären die Halt-Befehle nicht nötig gewesen, hätte Rundstedts Heeresgruppe, wie von Manstein gefordert, auch nach Süden offensiv operiert und wäre die aus Belgien ebenfalls zum Kanal stossende Heeresgruppe B stärker gewesen. Dass sich stattdessen Halder mit einer Abschwächung des ursprünglichen Planes durchsetzte, könnte ein heimlicher Sabotageakt des mit dem Widerstand liebäugelnden Generalstabschefs gewesen sein. Ein Beweis dafür fehle jedoch, so Töppel.
Liebesschwüre und rassistische InvektivenRüdiger von Manstein hatte den Nachlass seines Vaters Fritz-Erich in dessen Todesjahr 1973 dem Bundesarchiv überlassen, nicht aber die Tagebücher. Zwar zitiert Peter Hoffmann schon in seinem Stauffenberg-Buch von 1992 aus ihnen, aber erst um 2008 fertigte Rüdiger von Manstein von den Tagebüchern sowie dem Briefwechsel zwischen seinen Eltern eine Abschrift an; Töppel macht sie nun der Öffentlichkeit zugänglich.
Der Briefwechsel verrät bisweilen nichts von den kriegerischen Hintergründen. Am 5. Juni 1940 schreibt Jutta-Sibylle von Manstein an «Erli»: «Ich flehe dass Du behütet bleibst u. doch an einer Stelle bist die Dich befriedigt u. wo Du Dich auswirken kannst. Du mein so heiss geliebter Mann. – Man kann sonst so wenig sagen, nur Ströme von Liebe senden, die um Dich sind.» Wenige Tage später lässt sie ihn wissen: «Mein Herzlieb ich suche Dich mit den Gedanken durch die Nacht.»
Es sind romantische Liebesschwüre im Wechsel mit rassistischen Invektiven eines Generals, dessen Truppen später am Holocaust beteiligt waren und auch in Frankreich Kriegsverbrechen begingen: «Unsere Erdgegner sind teils Franzosen, teils Elsässer, teils richtige Neger. Die letztern sind entschieden am rabiatesten, und es ist eben eine Schande, dass diese Kerle gegen Weisse kämpfen dürfen. Wenn man diese Kerle dann als Gefangene sieht hat man wirklich Zweifel, ob es mehr Mensch oder Tier ist.»
Verschiedene Quellen belegen, so auch Töppel in dieser Edition, dass deutsche Truppenführer – offenbar sogar Hitler in einer Anweisung vom 23. Juni 1940 – zu einer rechtskonformen Behandlung kriegsgefangener Schwarzer aufgerufen haben.
An der Tatsache, dass Manstein nicht nur einfach rassistische Ressentiments hegte, sondern sich in den Dienst eines rassistischen Regimes stellte, das einen verbrecherischen Eroberungskrieg führte, ändert dies nichts. Manstein war zum einen ein brillanter Stratege, zum anderen konnte er privat sentimental sein. So nahe wohnten das Banale und die Brutalität beieinander. Die Folgebände der Edition werden Dokumente aus Mansteins Einsatz im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion enthalten.
Manstein. Kriegstagebücher und Briefe 1939–1941. Hrsg. von Roman Töppel. Verlag Brill Schöningh, Paderborn 2025. 674 S., Fr. 69.90.
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