Doku »HANNAH ARENDT« im Kino | Die eigene Existenz in Frage stellen
Dieser Film ist wie ein philosophisches Seminar, das in Leben und Werk von Hannah Arendt einführt. Es macht überaus anspruchsvolle Angebote mitzudenken, sich auf die gefährliche Reise der Selbsterkenntnis zu begeben, »ohne Geländer«, wie es der existenzialistische Furor bei Hannah Arendt vorlebt.
Die Dokumentaristen Jeff Bieber und Chana Gazit vereinfachen in »Hannah Arendt – Denken ist gefährlich« nichts und zeigen die Paradoxe, aus denen ihr streitbares Werk gemacht ist. Hier ist alles im Fluss, im Übergang in Unbekanntes, denn Denken ist überschreiten dessen, was vor uns liegt. Was dabei überschritten wird? Alles bloße Meinen, jene mitgeschleppten Vorurteile, über die es tiefer nachzudenken gilt. Dabei gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur ein überzeugend oder nicht überzeugend begründetes Urteil.
Wir gehen hier von Lebensstation zu Lebensstation Hannah Arendts, hören Zeitzeugen, sehen Originaldokumente. So entsteht auch optisch ein eigener Sog – die Bilder wandern mit, von Königsberg über Marburg, Jerusalem nach New York. Nina Hoss spricht die Arendt-Texte zurückhaltend, sodass sie Raum für Eigenes lassen. Auch Ausschnitte aus der legendären »Zur Person« Sendung von Günter Gaus aus dem Jahre 1964 sind hier montiert. Als Gaus sie als Frau vorstellt, die im Kreis der Philosophen von sich reden macht, dementiert sie vehement: Sie sei keine Philosophin, sondern betreibe politische Theorie. Gaus beharrt darauf, dass er sie dennoch für eine Philosophin halte. Dagegen könne sie nichts machen, kontert Hannah Arendt, aber sie habe für sich die Philosophie endgültig verabschiedet. Wie seltsam diese apodiktische Auskunft, und Gaus will das auch nicht einfach akzeptieren, fragt – nun selbst in bester Philosophen- oder auch einfach Journalistenmanier – nach, will wissen, warum. Und hat gleich einen wunden Punkt erwischt, denn da ist vor allem ein großes Unbehagen bei ihr spürbar, das sich jedoch nicht rational begründen lässt. So scheint es hier jedenfalls.
Hannah Arendt, 1906 in Hannover in einer säkularen jüdischen Familie geboren und in Königsberg aufgewachsen, kam mit 18 Jahren nach Marburg zum Philosophiestudium. Die Marburger Universität galt als eine Hochburg des Neukantianismus. Aber jetzt sorgte dort ein Philosoph für Furore, der die traditionellen Muster von Philosophie zertrümmerte und den Existenzialismus begründete: Martin Heidegger.
Wie sichert man die Demokratie gegen jene, die ihre Macht- und Profitinteressen rücksichtslos durchsetzen wollen?
Wer sich zuerst in wen verliebt hat, ist unklar. Jedenfalls fällt der 35-jährige verheiratete Familienvater Heidegger vor der jungen Studentin auf die Knie, und sie hebt ihn zu sich auf: ein schönes Bild. Danach sind sie für ein oder zwei Jahre ein Liebespaar. Wäre Hannah Arendt nicht eine solch starke Persönlichkeit, könnte man schlicht von einer Affäre des Professors mit seiner Studentin sprechen. Das Verhältnis bleibt geheim und wird es bis nach Hannah Arendts Tod bleiben. Erst 1982 wird es bekannt.
Die jüdisch-amerikanische Theoretikerin, die nicht Philosophin genannt werden will, sondern eher noch Journalistin, und jener Philosoph Heidegger, der sich den Nazis auf üble Weise andiente, sogar Mitglied der NSADP wurde: Wie geht das zusammen? 1933 emigriert Hannah Arendt auf abenteuerliche Weise über Frankreich in die USA. So überlebt sie. Im gleichen Jahr hält Heidegger seine berüchtigte Rektoratsrede, mit der die Gleichschaltung des Akademischen mit der NS-Ideologie beginnt. Man ist auch das Resultat seiner Entscheidungen.
In New York arbeitet Hannah Arendt für jüdische Organisationen, schreibt für den »Aufbau«. 1949 reist sie nach Deutschland, notiert: »Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, dass niemand über die Toten trauert.«
Und sie trifft jemanden, von dem man nicht vermutet, dass sie ihn wiedertreffen will: Martin Heidegger. Inzwischen hat er Lehrverbot und kein Einkommen mehr. Was sie miteinander sprechen, weiß man nicht, nur dass Hannah Arendt von ihm etwas zu erfahren sucht, scheint klar. Warum trifft sie jemanden, der sich so exponiert auf die Seite des Verbrechens gestellt hatte? Vermutlich, weil sie eigensinnig ist und immer etwas über Menschen und ihre Motivation zum Handeln erfahren will – und sich dabei nicht um die öffentliche Meinung schert. Aber was ist aus ihrer Liebe geworden? Deren Basis, das Vertrauen, ist zerstört. Würde sie es sonst später Gaus gegenüber so vehement ablehnen, als Philosophin angesprochen zu werden?
Sie thematisiert nun das Thema Totalitarismus. Wie der Staat die Tendenz verfolgt, immer mehr Macht der öffentlichen Kontrolle zu entziehen. Unter Hitler und Stalin war die Machtausübung totalitär geworden, der Staat regierte rücksichtslos mit den Mitteln des Terrors. Aber was, so fragt sie sich, passiert in einem demokratischen Staat wie den USA, den sie anfangs für einen Hort der Freiheit hielt? Ende der 40er Jahre beginnt hier die Kommunistenverfolgung unter McCarthy, die gesellschaftliche Atmosphäre ist vergiftet. Während des Vietnamkriegs passiert ähnliches – Kritiker der herrschenden Politik werden reflexartig zu Feinden erklärt. Wie sichert man die Demokratie gegen jene, die ihre Macht- und Profitinteressen rücksichtslos durchsetzen wollen? Darüber denkt sie immer aufs Neue nach.
Bedenkenswert, was sie zum Thema medialer Manipulation sagt. Es werden viele abgezweckte Lügen verbreitet, die sogar als Lügen erkennbar sind, niemand glaubt sie. Dennoch haben sie eine fatale Konsequenz: Die Flut von Fake-News führe dazu, dass niemand mehr irgendetwas für wahr halte, die herrschende Apathie dem Weltgeschehen gegenüber lasse der Politik freie Hand. Aber ohne widerspruchsbereite Bürger gibt es keine Demokratie.
Sie selbst nimmt sich die Freiheit, Tabus zu brechen – und muss dann mit massiver Kritik leben. Als sie 1961 als Berichterstatterin zum Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator des Holocaust, nach Jerusalem reist, ist sie schockiert davon, hier einen unscheinbaren Buchhalter zu erleben, der immer wieder erklärt, er habe nur Befehle befolgt. Das gewöhnliche Gesicht des Massenmords! Sie konstatiert: »Eichmann war kein Macbeth.« Das Böse, so folgert sie, wie es in der industriellen Judenvernichtung in Auschwitz zu Tage trat, war nicht dämonisch, es war banal. Gerade das, die Abwesenheit eines persönlichen Motivs, lässt das Verbrechen so maßlos werden.
Sie veröffentlicht den Text »Eichmann in Jerusalem«, in dem sie ihre These von der »Banalität des Bösen« begründet – und erlebt einen Proteststurm von Opfern des Holocaust und ihren Angehörigen. Dieser Massenmörder sei ein lächerlicher »Hanswurst« und kein judenhassender Überzeugungstäter?
Hannah Arendt leidet unter der Abwendung vieler ihrer jüdischen Freunde. Dabei wollte sie doch nur anhand Adolf Eichmanns einen neuen Typus Täter charakterisieren, einen Täter ohne persönliche Motive, der gerade darum keinerlei Skrupel kennt: den Schreibtischtäter.
Sie verhält sich bis zu ihrem Tod 1975 in New York immer wieder als Philosophin mit dem Temperament einer Schlagzeilenmacherin, die all die vorhanden Widersprüche forciert, bis hin zur ganz persönlichen Frage: Was hättest Du getan? Und sie konstatiert im Zusammenhang mit ihrer Ablehnung der Kollektivschuldthese eine moralische Verwirrung, die darin bestünde, dass sich etwa im Nachkriegsdeutschland die Unschuldigen schuldig fühlten, während die meisten Verbrecher keine Reue zeigten. Und sie forciert noch weiter, jeden Anflug von Selbstgerechtigkeit bei sich selbst austreibend: »Wer hat je behauptet, dass ich, indem ich ein Unrecht beurteile, unterstelle, selbst unfähig zu sein, es zu begehen?«
Es scheint, Hannah Arndts Denken, gleich ob Philosophie, Essay oder politische Theorie, ist von bedrängender Gegenwärtigkeit. Darum ist auch diese Dokumentation »Denken ist gefährlich«, die anschauliche Diskurs-Brücken zu ihren Texten baut, überaus wertvoll.
»Hannah Arendt – Denken ist gefährlich«, Deutschland/USA 2025. Regie: Jeff Bieber & Chana Gazit, Buch: Jeff Bieber & Maia E. Harris. 86 Min. Jetzt im Kino.
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