Die „Vasa“ kämpft ums Überleben: Neues Stahlskelett soll Schwedens Nationalschatz retten

Als im Jahr 1626 die „Vasa“ auf Kiel gelegt wurde, war das eine Machtdemonstration: Der mächtige Dreimaster sollte als eines der größten und bestausgerüsteten Kriegsschiffe seiner Zeit den Anspruch Schwedens als Großmacht untermauern. Dummerweise hatten sich die Konstrukteure bei der Berechnung des Schwerpunkts ganz gewaltig verkalkuliert: Die „Vasa” war oben zu schwer und unten zu leicht, und bereits auf ihrer Jungfernfahrt kenterte sie nach gerade einmal 1200 Metern – und versank im Hafen von Stockholm.
Jetzt, fast 400 Jahre später, droht der „Vasa” dieses Schicksal erneut. Denn dem imposanten Wrack – 1961 aus der Tiefe geborgen und seit 1990 in einem eigenen Museum ausgestellt – fällt es immer schwerer, sein eigenes Gewicht zu tragen. „Langsam, aber sicher sinkt das Schiff in sich zusammen“, sagt Magnus Olofsson, der dafür zuständig ist, dieses einzigartige Kulturerbe für künftige Generationen zu bewahren. Er ist wild entschlossen, seinem Auftrag gerecht zu werden.
Doch auch wenn die „Vasa“ alle Ewigkeit überdauern soll – ordentlich mühen muss sich Olofssons Team bereits für wesentlich kürzere Zeithorizonte. Derzeit werkeln sie an einem besonders aufwendigen Restaurierungsvorhaben: Vereinfacht ausgedrückt wird in das Schiff ein Skelett aus einem besonders leichten und korrosionsbeständigen Spezialstahl eingebaut. Damit sollen die historischen Holzpaneele besser zusammengehalten werden.

Die ersten neuen Stützen wurden im Jahr 2024 montiert. Bis 2028 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Quelle: Anneli Karlsson/Vasamuseet/SMTM
Und auch die äußere Halterung, in der der riesige Rumpf des Schiffs ruht, wird komplett erneuert: Satt 17 werden es künftig 27 Stützen sein. Sie sollen die fragile Konstruktion dann an noch mehr Stellen ganz sanft in sich betten, beschreibt der Fachmann. Im Unterschied dazu übten die bisherigen Lagerstellen nämlich sogar noch Druck auf das dunkle Eichenholz aus, und genau das dürfe nicht sein. Mehr als zehn Jahre lang wurde getüftelt, bis man ein besseres Tragesystem entwickelt hatte.
Dessen Einbau ist absolute Millimeterarbeit. „Wir machen das Stück für Stück, und alles ist sehr genau geplant“, sagt Olofsson. Und all das passiert, während das Museum fürs Publikum komplett geöffnet bleibt. Mehr als eine Million Besucherinnen und Besucher aus aller Welt pilgern alljährlich hierher. Nur jetzt, im recht kurzen schwedischen Sommer, ruhen die Arbeiten und die Restauratoren können einmal ausspannen, bevor wieder rangeklotzt wird.
Denn pünktlich zum 400-jährigen Jubiläum der schicksalsträchtigen „Vasa”-Jungfernfahrt am 10. August 2028 soll das Projekt abgeschlossen sein. Die Kosten für die umfassenden Maßnahmen werden sich bis dahin auf umgerechnet fast 18 Millionen Euro belaufen – mindestens. Viel steuern dazu private Spender bei, gilt die „Vasa“ doch als ein nationaler Schatz besonderer Güte.

Die größten Schwierigkeiten bereitet den Restauratoren das hohe Heck der „Vasa“, das mit etlichen Figuren besonders reich verziert ist.
Quelle: Karonina Kristensson, Vasamuseet/SMTM
Die größten Schwierigkeiten bereitet den Museumsverantwortlichen das hohe Heck der „Vasa“, das mit etlichen Figuren besonders reich verziert ist. Das lässt sich nur schwer abstützen, sagt Olofsson, weil das Holz hier sehr porös ist. Und generell sei das Schiff an dieser Stelle von Anfang an schlecht gebaut gewesen. „Für die ‚Vasa’ wäre es das Beste, wenn es hier drin keinen Sauerstoff gäbe und wenn es komplett dunkel und sehr kalt wäre“, sagt er. „Etwa minus 60 Grad wären gut.“ Denn nur unter solchen Bedingungen würden alle chemischen Prozesse, die dem Holz zusetzen, auf Dauer gestoppt.
Magnus Olofsson,
Projektleiter im Vasamuseum
Seit gut zwei Jahrzehnten sorgt immerhin eine leistungsstarke Klimaanlage für konstante 18 Grad, und auch die Feuchtigkeit in der nur spärlich beleuchteten Halle wird genauestens reguliert. Auch sonst wird nichts unversucht gelassen, was der Erhaltung des Schiffs guttut: Zwischen 2011 und 2018 wurden beispielsweise 5000 rostige Eisen- gegen Edelstahlbolzen ausgetauscht. Halten sollen sie für mindestens 150 Jahre. Schon diese Maßnahme hat das Gesamtgewicht des Schiffs immerhin um gut acht Tonnen reduziert.
Wie viel die „Vasa“ in Gänze wiegt, das wisse man übrigens bis heute nicht, sagt Olofsson. „Wir schätzen ihr Gewicht auf 800 bis 1200 Tonnen.“ Auf Grundlage dieser Annahme habe man die neuen Schiffsstützen konzipiert, und da in diesen Sensoren verbaut sein werden, die das Schiff genaustens überwachen, wird man die Last sehr bald genau beziffern können.
Der Bau des Schiffs „Vasa“ wurde von König Gustav II. Adolf in Auftrag gegeben. Benannt ist sie nach der Wasa-Dynastie, die von 1523 bis 1654 auf dem schwedischen Thron saß und der auch eine bekannte Knäckebrotmarke ihren Namen zu verdanken hat. Kiellegung war 1626 in Stockholm. Der mächtige Dreimaster hatte zehn Segel und ist 69 Meter lang. Ausgerüstet war das Schiff mit sage und schreibe 64 Kanonen. Bereits auf ihrer Jungfernfahrt am 10. August 1628 brachte eine Windböe die „Vasa“ zum Kentern, weil der Schwerpunkt des Schiffs viel zu weit oben lag. Am 25. August 1956 wurde ihr Wrack per Zufall wiederentdeckt. Schnell entwickelte man die Idee, die Überreste der „Vasa“ zu bergen. 333 Jahre nach ihrem Untergang war es schließlich so weit: Im April 1961 holte man mehr als 14.000 Einzelteile an Land. Die Holzstücke wurden aufwendig konserviert und wie ein riesiges Puzzle wieder zu einem Schiff zusammengesetzt.
Der Einbau der neuen Stützen sowie des Stahlskeletts bringt zudem noch einen weiteren Riesenvorteil mit sich: Der Dreimaster kann in diesem Zuge ganz behutsam ein wenig aufgerichtet werden. „Die ‚Vasa‘ neigt dazu, zu kentern und zu sinken“, beschreibt der Projektleiter das Problem. Es ist zwar nur eine leichte Ahnung, aber doch neigt sich das Kriegsschiff ein wenig nach Backbord. Auf Dauer wächst sich selbst dieser kleine Haltungsschaden zu einem echten Problem aus und wird nun korrigiert.

„Für die ‚Vasa’ wäre es das Beste, wenn es hier drin keinen Sauerstoff gäbe und wenn es komplett dunkel und sehr kalt wäre", sagt Magnus Olofsson. „Etwa minus 60 Grad wären gut.“
Quelle: Anneli Karlsson, Vasamuseet/SMTM
Die laufenden Sicherungsarbeiten gelten als die größte Herausforderung seit der Bergung des Wracks aus dem Meer und der arbeitsintensiven Konservierung der Artefakte. Über siebzehn Jahre wurde das Holz damals mit der Chemikalie Polyethylenglykol besprüht. Neun weitere Jahre musste es dann trocknen.
Für einen Schreckmoment sorgten im April dieses Jahres zwei Umweltaktivisten, als sie auf das Schiff geklettert sind. Museumsdirektor Lars Amréus verurteilte den Vorfall unmittelbar aufs Schärfste. „Solche Aktionen haben in Museen oder im Kultursektor insgesamt nichts zu suchen“, schimpfte er. Bislang seien glücklicherweise keine Schäden am Schiff festgestellt worden.
Auch Schwedens Kulturministerin Parisa Liljestrand empörte sich: „Ehrlich gesagt, bin ich stinksauer“, brach es aus ihr heraus, als sie vom Protest der Aktivisten Wind bekam. Die „Vasa“ sei einer der wichtigsten und beliebtesten Kulturschätze des Landes und dürfe auf gar keinen Fall der unnötigen Gefahr einer grob fahrlässigen Beschädigung ausgesetzt werden.

Hübsch verziert: An der "Vasa" gibt es reichlich Skulpturen.
Quelle: Anneli Karlsson, Vasamuseet/SMTM
Die Aktivistengruppe „Återställ våtmarker“ (sinngemäß bedeutet das so viel wie „Rettet die Feuchtgebiete“) hat sich 2022 gegründet. Ihr Hauptanliegen ist, den Torfabbau in Schweden zu stoppen. Mitglieder der Gruppe haben für dieses Ziel im Königreich bereits vielfach Straßen blockiert – ähnlich wie hierzulande die „Klimakleber“. Auch mit dem radikalen Netzwerk „Extinction Rebellion“ gab es bereits eine Zusammenarbeit.
Ihren bisher aufsehenerregenden Coup ist den Aktivisten im Frühjahr 2023 gelungen, als sie im live übertragenden nationalen ESC-Vorentscheid „Melodifestivalen“ den Auftritt der Sängerin Loreen störten. Sie musste ihn abbrechen und das spätere Gewinnerlied „Tattoo“ noch ein zweites Mal anstimmen.
Eine zweite „Vasa“ indes gibt es nicht – jedenfalls nicht in diesem fabelhaften Erhaltungszustand. Im Dezember 2021 wurde zwar das Wrack eines ihrer Schwesterschiffe in den Schären vor Stockholm gefunden, aufgrund des wesentlich sauerstoff- und salzhaltigeren Wassers am Fundort ist von der „Äpplet“ jedoch sehr viel weniger übrig als von der „Vasa“.
Richtig gute Segeleigenschaften soll auch die „Äpplet“ nach zeitgenössischen Quellen nicht gehabt haben, und das, obwohl die Schiffsbaumeister bei ihrer Konstruktion bereits Lehren aus dem Untergang der „Vasa“ gezogen hatten. Maritime Archäologen erhoffen sich anhand einer genaueren Untersuchung des Wracks nun wichtige Erkenntnisse über die genauen Änderungen am Bauplan.
rnd