Das Ende von Colbert, der Aufstieg von Shane Gillis – Amerikas Comedy hat den Sender gewechselt


Als der Sender CBS im Juli die Entlassung von Stephen Colbert bekanntgab, sorgte das für Erstaunen in den Wohnzimmern Amerikas. Colbert war über die letzten zwei Jahrzehnte zum Gesicht der amerikanischen Late-Night-Welt herangewachsen, zum Parodisten konservativer Standpunkte, zur Stimme der linken Satire.
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Niemand schien so unangreifbar wie der landesweit erfolgreichste Late-Night-Moderator Stephen Colbert. Doch das Problem liegt weniger beim Gesicht der Branche als bei ihren Buchhaltern.
Wie die meisten Programme im traditionellen Fernsehen rentiert auch die «Late Show» nicht mehr. Wie das «Wall Street Journal» berichtet, soll die Sendung noch «bis vor wenigen Jahren» profitabel gewesen sein. In jüngerer Zeit verlor CBS mit Colberts Sendung offenbar jährlich 40 Millionen Dollar.
Das Budget für die Show umfasst eine Live-Band, einen Mitarbeiterstab von 200 Personen und ein geschätztes Jahresgehalt von 20 Millionen Dollar für Colbert. Gleichzeitig sanken die Werbeeinnahmen für Late-Night-Segmente bei den Sendern ABC, CBS und NBC laut Zahlen der Branchenplattform Guideline von 439 Millionen Dollar im Jahr 2018 auf 221 Millionen im Jahr 2024.
Ein ganz anderes Bild zeichnet sich in einer neuen Form der Komik. Auf einem Beistelltisch in einem schwach ausgeleuchteten Bürozimmer liegen Papierstapel, zwei halbvolle Wassergläser und mehrere Mikrofonkabel. Das eine führt zum populären Komiker Louis C. K., das andere zu Shane Gillis. Sie sitzen auf einem Sofa und einem Bürostuhl und debattieren, welcher Präsident wohl das grösste «asshole» war.
Mit solch uneitlen Gesprächen erreicht Gillis, 37, heute ein Millionenpublikum. «Matt and Shane’s Secret Podcast» zählt zu den meistgehörten der Welt, sein eigenes Comedy-Special auf Netflix zu den meistgesehenen. Auf der Plattform Patreon unterstützen ihn 120 000 Fans monatlich mit einem selbstbestimmten Geldbetrag – ohne die Einnahmen durch die Streamingdienste Spotify oder Apple Music mitzurechnen, fliesst so monatlich mehr als eine halbe Million Dollar in die Kassen des Comedians.
Von seinem Wohnzimmer aus verdient Shane Gillis so viel wie ein Primetime-Fernsehstar. Das grosse Geld scheint den Sender gewechselt zu haben.
Bill Streicher / USA Today Sports
Colbert und Gillis verbindet wenig. Doch wissen sie beide, was es heisst, entlassen zu werden. 2019 erreichte Gillis die Spitze der amerikanischen Comedy-Szene, als er bei der Kultsendung «Saturday Night Live» angestellt wurde. Ausschnitte aus einer alten Podcast-Episode kursierten daraufhin im Internet, in denen Gillis ein diskriminierendes Schimpfwort in einem Witz über Asiaten nutzte. Fünf Tage nach seiner Anstellung wurde er entlassen.
Die grossen Sender wandten sich ab. In der alten Comedy-Welt hätte das sein Ende bedeutet. Doch Gillis machte ausserhalb der Studios weiter. Er trat in bescheidenen Klubs auf, produzierte seinen Podcast, wuchs über Youtube und die sozialen Netzwerke. Besondere Beachtung brachten ihm Auftritte bei Joe Rogan, dem wohl berühmtesten Podcaster der Welt. Genau wie Gillis hat auch Rogan seine Wurzeln in der Stand-up-Comedy. Es folgten eigene Shows, Sponsorenverträge, Moderationen.
Ein solcher Moderationsauftritt sorgte jüngst für gemischte Gefühle. Für den Sportsender ESPN begleitete Shane Gillis das Publikum durch den Abend der Espy-Gala, wo die herausragendsten Sportlerinnen und Sportler der USA ausgezeichnet werden, unter ihnen natürlich auch Stars des Frauenbasketballs.
«Die vierfache All-Star-Basketballerin Brittany Hicks ist hier. Applaus für Brittany, Leute!», sagte Gillis, ungewohnt adrett in Anzug und Krawatte gekleidet. Das Publikum applaudierte feierlich, als die Kameras eine Frau im Saal auf die Bildschirme projizierten. Dann die Pointe: «Ich mach nur Spass – das ist die Frau meines Freundes. Ich wusste, keiner von euch kennt Spielerinnen der Frauen-NBA. Unglaublich, dass ihr dafür geklatscht habt.» Während im Saal voller WNBA-Stars das Gelächter eher bescheiden blieb, wurde der Ausschnitt online tausendfach gefeiert.
Das Glück politischer AmbivalenzGillis Aufstieg vom Podcast-Komiker zum Moderator der grossen Galas –ein Job, den oft Late-Night-Moderatoren übernehmen – steht für einen Wandel: Die amerikanische Komik entsteht nicht mehr in den Studios Manhattans, sondern während zwangloser Gespräche auf dem Sofa, umgeben von ein paar Mikrofonen und einer Kamera. Comedians brauchen nicht mehr um die Gunst der grossen TV-Executives zu buhlen, viel eher um die der grossen Podcaster unserer Zeit.
Auch die politische Dimension ist Teil dieser Verschiebung. Colberts «Late Show» erlangte grosse Teile ihrer Beliebtheit vor allem während der ersten Amtszeit Donald Trumps. Colbert avancierte zu einem der lautesten Kritiker des Präsidenten, zu einer Art moralischem Hofnarr der Demokraten. Die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung, die Donald Trump 2024 erneut wählte, zählt entsprechend selten zu Colberts Publikum.
Shane Gillis ist hingegen politisch schwer einzuordnen. Er attackiert politische Überkorrektheit ebenso wie konservative Selbstgewissheiten, scherzt über mexikanische Einwanderer, bevor er Donald Trumps Marotten parodiert. Und bespielt damit die Matcha-Bar in Kalifornien genauso wie das Steakhouse in Texas.
Nach Stephen Colberts Abschiedsankündigung versammelten sich die Schwergewichte der Late-Night-Szene in seinem Studio, dem Ed Sullivan Theater in New York. John Oliver, Jimmy Fallon, Seth Meyers, Jon Stewart – alle sassen im Publikum der nächsten Show. Als wollten sie an der Beerdigung ihres Freundes teilnehmen. Aber es war nicht nur Colberts Beerdigung; in gewisser Weise war es die von ihnen allen.
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