Christoph von Dohnányi ist tot: Dirigent stirbt mit 95 Jahren

Hamburg. Er sollte wie sein Vater und sein älterer Bruder Klaus Jurist werden. Das zumindest wünschte sich seine Mutter. Wie gut, dass er nicht auf sie gehört hat. „Musik ist das Leben für mich“, sagte Christoph von Dohnányi, der Grandseigneur unter den deutschen Dirigenten, einmal in einem Interview.
Am Samstag starb der charismatische Orchesterleiter mit dem vollen weißen Haar im Alter von 95 Jahren in München. Das sagte seine Ehefrau der Deutschen Presse-Agentur. Er war einer der herausragenden Dirigenten seiner Generation, der bis ins hohe Alter seiner Berufung nachgegangen ist.
Geboren wurde Dohnányi am 8. September 1929 in Berlin in eine künstlerisch und politisch hoch engagierte Familie: Sein Vater war der Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi, der im KZ Sachsenhausen hingerichtet wurde, seine Mutter eine Schwester des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls von den Nationalsozialisten umgebracht wurde. Sein älterer Bruder ist der ehemalige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD).
Bereits mit 16 Jahren machte Christoph von Dohnányi Abitur und begann tatsächlich ein Jurastudium in München. Dann wurde die Leidenschaft für die Musik jedoch zu groß. 1951 legte er als bester Absolvent das Kapellmeister-Examen ab, später setzte er sein Musikstudium bei seinem Großvater, dem Komponisten Ernst von Dohnányi, in den USA fort.
1952 holte ihn Georg Solti als Korrepetitor an die Oper nach Frankfurt. Mit 27 Jahren wurde er in Lübeck jüngster deutscher Generalmusikdirektor. „Die Pflichterfüllung und das Gefühl für Verantwortung haben wir sehr früh von unseren Eltern erlernt“, erinnerte sich Bruder Klaus später in einem gemeinsamen Interview.

Seine Art, Musik zu machen, einem Orchester oder Opernhaus vorzustehen, war stets geprägt durch einen scharfen analytischen Blick, durch Sachlichkeit und rigorosen Präzisionswillen. Nach ersten Erfolgsjahren an der Frankfurter Oper übernahm Dohnányi von 1977 bis 1984 die künstlerische Leitung der Hamburgischen Staatsoper und kämpfte mit Leidenschaft und Bravour für ein modernes, zeitgemäßes Musiktheater. „Mit den Füßen auf dem Boden der Tradition, den Kopf frei für die Gegenwart“, lautete sein Motto. „Wir müssen die Tonalität kennen, um die Atonalität zu begreifen.“
Weitsichtig hatte er sich der damals jungen Garde unbequemer Regisseure wie Luc Bondy, Peter Mussbach, Achim Freyer oder Herbert Wernicke versichert, um Opernklassikern wie der „Zauberflöte“ und „Fidelio“ oder Meisterwerken der Moderne wie Alban Bergs „Wozzeck“ neue Strahlkraft zu geben. Getrübt wurde die glänzende künstlerische Bilanz jedoch durch Querelen mit den auf alte Rechte pochenden Philharmonikern und anderen Korporationen des Hauses.
Das Cleveland Orchestra, eines der berühmten „Top Five“ der USA, empfing den brillanten Schlagtechniker 1982 dagegen mit offenen Armen. Georg Szells fabelhaftes altes Musikcorps wusste Dohnányis europäisch tief verwurzelten Sachverstand und seinen intellektuell wie emotional hoch gespannten Gestaltungswillen angemessen, ja, empathisch zu würdigen. Bei den internationalen Spitzenorchestern wie den Wiener, Berliner oder New Yorker Philharmonikern war Dohnányi ohnehin als Gastdirigent hoch geschätzt, später kamen noch das Londoner Philharmonia Orchestra und das Orchestre de Paris dazu.
2004 kehrte Dohnányi, der in dritter Ehe verheiratet und Vater von fünf Kindern war – darunter der Schauspieler Justus von Dohnányi – als Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters nach Hamburg zurück. Eigentlich sollte er hier auch die Elbphilharmonie eröffnen, doch da sich der Bau um Jahre verzögerte, kam diese Ehre seinem Nachfolger Thomas Hengelbrock zuteil.
Vehement hatte sich Dohnányi für das spektakuläre Konzerthaus eingesetzt: „Ein solches Haus wird dem gesamten Musikleben einen großen Impetus geben. Billig ist das natürlich nicht. Aber wenn der Bau erst einmal da ist, wird kein Mensch mehr über die Kosten diskutieren“, war er überzeugt.
RND/dpa
rnd