Antonin Dick | Gegen Unrecht, Unterdrückung und Ungeist
Der Großteil seiner Familie wurde in deutschen Konzentrationslagern ermordet. Andere gelten als verschollen. Jahre lang suchte Antonin Dick über das Internationale Rote Kreuz nach ihnen. »Bisher ergebnislos«, musste er vor über zwanzig Jahren konstatieren, in einem Essay im »nd«.
Antonin Dick ist 1941 in der englischen Emigrantenstadt Royal Leamington Spa im County Warwickshire geboren worden. Seine Mutter gehörte er zu den Mitbegründer*innen der Freien Deutschen Jugend in Großbritannien. Nach der militärischen Niederlage des NS-Reiches gehörte sie zu den vielen Antifaschst*innen, die ein neues antifaschistisches Deutschland aufbauen wollte. Befreundet war sie unter anderem mit dem Maler Oskar Kokoschka, aber auch mit dem späteren DDR-Diplomaten Horst Brie.
Der junge Antonin Dick studierte Theaterwissenschaft in Leipzig, war Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin und Regisseur am Theater in Gera. Doch schon früh störte er sich an den autoritären Strukturen in der DDR, rebellierte und erhielt 1982 wegen der Inszenierung eines pazifistischen Stücks Aufführungsverbot. Fünf Jahre später gründete er mit Gleichgesinnten die Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR, die sich mit den juristischen Fragen einer Ausreise aus dem Land befasste. Darüber geriet er in Auseinandersetzungen mit anderen DDR-Oppositionellen, die die DDR von innen heraus verändern wollten. Dick übersiedelte nach Berlin-West, vor allem aber auch, weil er seiner dort lebenden, inzwischen hochbetagten Mutter beistehen wollte. Sie starb 2012 im Alter von 101 Jahren. Nach ihrem Tod war es ihm ein wichtiges Anliegen, ihr antifaschistische Vermächtnis vor dem Vergessen zu bewahren (https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2017/10/gerettet_dick.pdf).
Dick engagierte sich auch mit künstlerischen Mitteln gegen Rassismus und den wieder erstarkenden Faschismus. Anfang der 1990er Jahre gründete er das Jakob van Hoddis Theater, benannt nach einem jüdischen Schriftsteller. Mit weiteren Künstler*innen wollte er an die von den Nazis gewaltsamen unterbrochenen Traditionen des jüdischen Kulturlebens anknüpfen. Als freier Theaterregisseur erlebte Dick das prekäre Leben eines linken engagierten Künstlers am eigenen Leibe. 2004 beteiligte er sich an den machtvollen Demonstrationen gegen Hartz IV und die Agenda 2010 des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder, auch in der Hoffnung, dass daraus eine neue emanzipatorische Bewegung entstehen könnte. Mit seinem Aufruf zur Bildung von Arbeitslosenräten lancierte er einen damals viel diskutierten Beitrag.
Dick selbst musste nach 2005 Grundsicherung beantragen und erlebte die Schikanen und Gängelungen eines Hartz IV-Empfängers. Auch darüber verfasste er verschiedene Texten, auch für das »nd«. Mit Entsetzen reagierte er auf den zunehmenden Antisemitismus, auch in Teilen der gesellschaftlichen Linken, der er sich bis zu letzte zugehörig fühlte. Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 erfüllte ihn mit Trauer. Dass die Aktion in manchen Teilen der linken Bewegung sogar als Befreiung gefeiert wurde, machte ihm Angst.
Aus gesundheitlichen Gründen musste sich Dick in den letzten Jahren aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Doch bis zum Schluss nahm er die politischen Verhältnisse als entschiedener Antifaschist bewusst wahr. Den 80. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation des Naziregimes konnte er nicht mehr erleben. Wie erst jetzt bekannt wurde, starb er still und leise Ende April im Alter von 84 Jahren. Mit ihm fehlt eine kluge und leidenschaftliche Stimme gegen Unrecht, Unterdrückung und faschistischen Ungeist.
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