Am Backofen riskiert keiner sein Leben – gerade darum erobert die TV-Show «The Great British Bake Off» England und die Welt

Versprochen werden «klebriger Ruhm, Teigkatastrophen und Gebäckchaos», geliefert wird zwischen Zucker, Butter und Mehl auch ein Einblick in die britische Seele.
Marion Löhndorf, London
Mel Lehmann / Love Productions / Channel 4
Ein weisses Zelt auf einer grünen Wiese ist kein Ort für harte Wettkämpfe. Aber es eignet sich bestens als Schauplatz für eine besonders langlebige Sendung des britischen Fernsehens.
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Im «Great British Bake Off» konkurrieren jeweils um die zwölf Teilnehmer darum, wer die schönsten und schmackhaftesten Backwaren aus dem Ofen ziehen kann. Eine Fernsehidee, die an Einfachheit kaum zu überbieten ist. Aber sie ist dermassen populär, dass sie inzwischen auch weltweit Fans anzieht – in Amerika und Kanada etwa.
Britische GutmütigkeitNichts am «GBBO» ist spektakulär oder laut oder grossartig. Die sachverständigen Juroren mögen im Vereinigten Königreich bekannt sein, zur internationalen Prominenz zählen sie nicht: Derzeit sind es Prue Leith und Paul Hollywood.
Zu den Juroren gesellen sich die Moderatoren, Noel Fielding und Alison Hammond, ebenfalls keine Namen von globalem Wiedererkennungswert. Im Laufe der fünfzehn Staffeln haben die Juroren- und Moderatorenteams mehrfach gewechselt. Sie witzeln very British, aber auf eine eher gutmütige Art.
Die Kontrahenten an den Backöfen wachsen dem Publikum regelmässig im Lauf der zehn Folgen einer Staffel ans Herz. Sie alle sind Amateure. Bevor sie im Fernsehen um die Wette backen dürfen, müssen sie Screen-Tests bestehen und sich einer psychologischen Bewertung unterziehen, damit mögliche optische und seelische Katastrophen vermieden werden. Die Gefahr ernsthafter Zusammenbrüche ist zwar ohnehin gering, aber man weiss ja nie.
Wie beim Dorffest von einstErfunden wurde das Format von der Fernsehproduzentin Anna Beattie, die damit auch gleich eine Spur von exportfähiger englischer Tradition vermittelte. Beattie liess sich von den klassischen Backwettbewerben auf dem Land inspirieren: «Ich fand die Idee von Dorffesten und altmodischen Backwettbewerben, bei denen die Leute einfach nur einen guten Kuchen backen wollten, toll.»
Auch wenig trendige Werte wie handwerkliche Geschicklichkeit konnten dabei gefeiert werden. Es dauerte ein paar Jahre, bis die Sendeanstalten – die Show lief zuerst bei der BBC, später auf Channel Four – anbissen.
Die Serie, die das Flair englischer «village fairs» nachempfindet, wird in mit pastellfarbenen Wimpeln geschmückten Festzelten in malerischen Gärten gedreht. Das Ambiente trägt bei zu ihrem nostalgischen Trost-Charakter. Ebenso wie das meist süsse und oft bunte und dekorative Gebäck, das dabei hergestellt wird. Eskapismus aus der Kuchenform. Die Website der Sendung stellt Hunderte von Rezepten bereit, so dass die Zuschauer ihre Begeisterung für die Show auch praktisch ausleben können.
Humor und Zucker statt harte KämpfeBeim Backen im weissen Zelt wird nicht hart gekämpft oder böse gefoult. Die Teilnehmer haben in der Regel Humor und können über ihre kleineren Unfälle bei der Verfertigung von Kuchen und anderen Teig-Waren lachen. Ebenso wie über grössere Fehlkalkulationen bei der Vorbereitung, die zu misslungenen Ergebnissen führen. Manchmal gibt es auch Flüche und Tränen, aber so richtig schlimm wird es nie, was schön ist in einer Welt, in der das Schlimme Fahrt aufzunehmen scheint.
Für die richtige Seelentemperatur sorgt auch das Moderatoren- und Jurorenteam, das oft zu gnädigeren Befunden über die Resultate kommt als die Hobbybäcker und -bäckerinnen selbst. Die treten ihre Produkte schon einmal wütend in die Tonne – wo ehrgeizig gebacken wird, kann manches schiefgehen.
Aber schliesslich geht es nicht darum, die Welt zu retten. Oder sich möglicherweise den Hals zu brechen. Die Sendung spricht jenen Teil der Zuschauerschaft an, der wenig Interesse daran hat, Reality-Show-Teilnehmer in Auto-Stunts wie in «Top Gear» oder in Extremsituationen wie in «I’m a Celebrity . . . Get Me Out of Here» kreischen zu sehen.
Am Backofen riskiert keiner sein Leben – wie der Cricketer Freddie Flintoff, der in einer «Top Gear»-Folge schwer verletzt wurde. «Keine Schimpfwörter, kein Blut, keine Gewalt. Einfach ein herrlicher, unterhaltsamer Abend», kommentierte eine Leserin der «Times» bündig.
Auch der Peinlichkeitswert ist überschaubar. Zumal man geteilter Meinung darüber sein kann, ob ein gigantisches Gebäck in Gestalt eines durchaus wiedererkennbaren Löwen nun grandios oder lächerlich sei. Das «Löwenbrot», in der sechsten Staffel von einem graubärtigen Mann namens Paul Jagger produziert, gehört zu den immer noch gerühmten Höhepunkten der «Great British Bake Off»-Shows.
Die Show ist nicht gerade eine Parodie auf die skandalheischenden Reality-Shows, in denen mehr auf dem Spiel steht, was die körperliche, seelische und geistige Verfassung der Opponenten betrifft. Aber ein kleiner Seitenhieb ist es schon, wenn der «Bake Off»-Sender Channel Four selbstironisch für die neue Staffel wirbt: «Machen Sie sich bereit für klebrigen Ruhm, Teigkatastrophen und Gebäckchaos.»
Kleine Kontroversen gibt es dochSelbst die «Kontroversen», die es im Laufe der Show gab, sind vergleichsweise überschaubar. Wobei die politische Korrektheit auch vor dieser Sendung in ihrer rüschengestärkten Harmlosigkeit nicht haltmacht. Wenn es um die Umsetzung von Rezepten fremder Länder geht, ist der Vorwurf der kulturellen Aneignung generell nie weit.
Die Mexikaner zum Beispiel waren wütend, weil die Namen ihrer Backwaren falsch ausgesprochen wurden. Und als die Moderatoren dabei auch noch in Sombreros und Ponchos erschienen, etikettierte der Restaurantkritiker der «New York Times» dies als «casually racist», beiläufig rassistisch. Einmal wurde den Moderatoren vorgeworfen, sich über deutsche Akzente im Englischen lustig zu machen – und das in einem Land, das das «German bashing» noch bis vor zwanzig Jahren als Nationalsport betrieb.
Die Jurorin Prue Leith geriet in die Schusslinie von Gruppen wie der Wohltätigkeitsorganisation für Essstörungen «Beat», weil sie über einige Backwaren gesagt hatte, sie seien «die Kalorien nicht wert». «Beat» wies darauf hin, dass der Verweis auf den Kaloriengehalt von Lebensmitteln für Menschen, die an Essstörungen litten (oder dafür anfällig seien), potenziell schädlich oder belastend sein könne. Daraufhin räumte Leith ein, dass der Ausdruck potenziell problematisch sei.
Angesichts der langen Laufzeit der Sendung, die 2010 erstmals ausgestrahlt wurde, sind die Stolpersteine auf ihrem Weg überschaubar. Nichts spricht gegen weitere Jahrzehnte von Backwettkämpfen unter dem weissen Zelt auf der immergrünen Wiese.
nzz.ch