Abendlicht über dem British Empire – ein vielschichtig-raffiniertes Panorama des Malaysiers Tan Twan Eng


Sie sind alle wieder da. Als wären sie nicht längst schon tot. Oder bloss erfunden. Oder sogar beides: literarisch zu Tode gekommen. Tan Twan Eng hat sie in seinen neuen Roman hinübergerettet: Da ist zunächst das englische Paar Lesley und Robert Hamlyn, das auf der Insel Penang in der Strasse von Malakka lebt. Man kennt sie aus Erzählungen des Weltreisenden William Somerset Maugham.
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Auch Maugham selbst tritt in «Das Haus der Türen» auf. 1921 war er tatsächlich auf Penang. Im Roman logiert er für einige Wochen bei den Hamlyns, also quasi bei seinen eigenen Figuren. Für den malaysischen Autor Tan Twan Eng sind die Herrschaften alle gleichermassen lebendig. Das hätte Maugham sicher gefallen, basierten doch viele seiner eigenen Geschichten auf Realien. Wahrscheinlich auch die fiktiven Hamlyns.
Gleichsam ein AsylHistorisch belegt ist auf jeden Fall Lesley Hamlyns Freundin Ethel Proudlock, die 1911 einen Mann erschoss und dafür zunächst zum Tode verurteilt wurde. Von ihrem Fall erfuhr Maugham auf seiner Reise und schrieb darüber die Erzählung «Der Brief» (1926). Anders als bei Maugham firmiert die Schützin bei Tan aber unter ihrem echten Namen, was das verwirrende Gefühl vermittelt, bei ihm im realitätsnäheren Backstage-Bereich der Maughamschen Erzählung zu sein. Zugleich bietet Tan der unglückseligen Ethel in seinem Roman der offenen Türen gleichsam ein Asyl.
Eine literarische Aufenthaltserlaubnis erhält auch der chinesische Revolutionär Sun Yat-sen, der sich vor dem Ersten Weltkrieg tatsächlich mehrfach im malaysischen Penang aufhielt, um unter den Straits-Chinesen Geld für seinen Aufstand gegen die Qing-Dynastie zu sammeln. In Tans Roman ist er nicht nur mehrfach zu Besuch bei den aus Maughams Erzählungen stammenden Hamlyns, sondern auch bei den Huttons, die man wiederum aus Tan Twan Engs Romandebüt «The Gift of Rain» kennt.
So weit, so kompliziert. Bei der Lektüre empfiehlt es sich, die gleichwertige Existenz aller Figuren – der historisch verbürgten und hier nur einfach fiktionalisierten wie auch der Maughamschen und hier somit doppelt fiktionalisierten Charaktere – erst einmal anzuerkennen. Dann entfaltet sich ein vielschichtiges Erinnerungsgewebe: ein sinnliches Kolonialpanorama aus Penanger Perspektive sowie ein eindrucksvolles Geflecht aus offiziellen und inoffiziellen Privatbeziehungen.
Nominiert für den Booker PrizeDiese Perspektive ist nicht nur deshalb durchaus selten, weil Penang weder Singapur noch Kuala Lumpur und also Provinz ist, sondern auch weil malaysische Autorinnen und Autoren international generell wenig rezipiert werden. Tash Aw (geboren 1971) und Tan Twan Eng (geboren 1972) sind sicherlich die beiden bekanntesten.
Tan hat bisher drei Romane vorgelegt: den noch nicht übersetzten Roman «The Gift of Rain», anschliessend «Der Garten der Abendnebel» und nun «Das Haus der Türen». Sie alle spielen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sei es unter einer mild beschriebenen englischen Kolonialherrschaft, sei es unter japanischer Besetzung, die als deutlich traumatischer erlebt wird. Alle drei Romane waren aufgrund ihrer erzählerischen Eleganz – trotz etwas biederen Dialogen – nominiert für den Booker Prize, was ein ganz erstaunlicher Erfolg ist.
In seinen Romanen geht es Tan stets um Formen der Rettung, oft durch Kunst, teilweise auch erst postum. Sehr interessant! Vielleicht ist ihm dies als ausgebildetem Anwalt ein Bedürfnis. So schenkt er dem Autor William Somerset Maugham ein zweites und dessen Figuren sogar ein drittes Leben. Tan Twan Eng spielt in seinem Werk ein trostreiches literarisches Spiel. In «Das Haus der Türen» treibt er es am weitesten.
Tan Twan Eng: Das Haus der Türen. Roman. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Dumont-Verlag, Köln 2025. 352 S., Fr. 34.90. – William Somerset Maughams «Der Brief. Erzählung» ist enthalten in «Gesammelte Erzählungen in zwei Bänden». Diogenes-Verlag, 2005.
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